Aufgefallen war mir die Häufung des Terminus einmal mehr nach dem Attentat auf den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico. Der durfte medial gar nicht erwähnt werden, ohne dass man das Wort „umstritten“ vor seinen Namen setzte. Die permanent gestreamten Massen wissen dann sofort Bescheid, was von so einem zu halten ist.
Das Vokabel soll auf die Sprünge helfen. Das tut es auch. Hätte es einen Anschlag auf Olaf Scholz oder Emmanuel Macron gegeben, kein Medium hätte solch ein Wort in Stellung gebracht. Keines. In letzter Instanz suggeriert es hier sogar, dass Fico das Attentat wohl selbst zuzuschreiben sei. Wer solch „umstrittene“ Politik macht, darf sich nicht wundern, nicht nur medial, sondern ganz real abgeknallt zu werden. Nun geht es hier gar nicht darum, Fico zu benoten. Der sozialdemokratische Politiker mit autoritären Tendenzen bedarf auch nicht unbedingt unserer Sympathie. Indes das Wort „umstritten“ hat im Kontext des Attentats absolut nichts zu suchen.
„Umstritten“ fungiert jedenfalls als Tarnbegriff für „ablehnenswert“ oder gar „verabscheuungswürdig“, kurzum solch einer ist nicht satisfaktionsfähig. Und diese Einschätzung wird nicht als Kommentar vorgebracht, sondern als demokratisch formatierter Konsens präsentiert. – Natürlich ist Fico umstritten. Doch wer ist das nicht? Von der Leyen? Van der Bellen? Man kann also auch mit Wahrheiten lügen, indem man solch einen ob dieser Rubrifizierung in die Schublade der Üblen steckt.. Es sind billige Tricks, die hier greifen, ohne auch nur irgendetwas zu begreifen. Sie fördern nicht Erkenntnis, es handelt sich vielmehr um die kategorische Delegimitation missliebiger Exponenten. Um Frontpropaganda. Hurtig klebt man ihnen das Adjektiv „umstritten“ an, schon ist es um sie geschehen. Ein lapidares Wort fungiert als Droge und Katapult. Urteil meint Verurteilung.
Wer nicht gehorcht ist draußen. Wer nicht spurt, bekommt ein Adjektiv oder auch ein Substantiv (z.B. Machthaber) verpasst, das apriori punziert. Worte setzen ein entsprechendes Wording in Gang. Das Vokabular, das als Vokabulatur durchaus System hat, dreht auf und durch. Das scheinbar unschuldige Wort „umstritten“ wird zu einem scharfen Terminus, je öfter wiederholt, desto schärfer. Und weil er andauernd sich der Reprise erfreut, kann er von Publikum gar nicht als Meinung wahrgenommen werden, sondern das Gesagte gilt (wie es so schön dumm heißt) als „in Stein gemeißelt“. Wenn so etwas immer gesagt wird, dann kann es nur stimmen, denn sonst würde es nicht so oft gesagt werden. Inzwischen hört man, selbst wenn es tatsächlich nicht gesagt wird, das „umstritten“ gleich mit.
Subtile Attribute entfachen große Wirkung. „Umstritten“ macht übrigens nur Sinn, wenn die anderen als „unumstritten“ zu gelten haben. Die werden zwar als solche nicht expliziert angeführt – das wäre zu viel der Affirmation und eher peinlich – aber implizit wird es doch so verfügt und aufgefasst. Die „Unumstrittenen“ werden als legitimiertes Personal zugelassen. Neben den ökologischen und ökonomischen, den politischen und militärischen Krisen, erleben wir auch eine exzessive verbale Misere. Von ihr ist täglich zu hören und zu lesen.
Die Plappermaschinen ordinären Unsinns verschaffen sich Oberluft. Der sprachliche Unrat stinkt zum Himmel. Auch wenn es nur kleine Dreckspatzen sind. So riecht das Aroma des Zeitgeists. Die Journaille produziert den dafür notwendigen Kot. Er ist Dünger auf den Feldern gemeingefährlicher Ignoranz. „Wir müssen die liberale Demokratie in unserem Wortschatz führen“, sagte sinngemäß der scheidende Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka in seiner Abtrittsrede. Von Bundespräsident Van der Bellen und seinem selbstgefälligen Geschwätz erst gar nicht zu reden. Wir haben getrimmt zu werden. So ganz auf den nunmehr „liberale Demokratie“ genannten Kapitalismus festgezurrt, besteht für uns die Welt aus Haltung und Befolgung contra Abweichung und Verfolgung. Die Kanoniere rüsten auf. Seien sie Journalisten oder Präsidenten. Die Werte hoch!
Übernahme aus Streifzüge, Nr. 90, Herbst 2024.
Schlagwörter: „umstritten“, Franz Schandl, Politik, Sprache, Werte