Olaf Scholz wird höchstwahrscheinlich in die bundesdeutsche Geschichte als „Übergangskanzler“ zwischen Angela Merkel und Friedrich Merz eingehen. Der Sozialdemokrat hatte andere Pläne und ein anderes Selbstbild. Er träumte von einem sozialdemokratischen Jahrzehnt und das Ampel-Bündnis überhöhte sich als Fortschrittskoalition. Nach 16 Jahren christdemokratisch geführter Regierungen wollten SPD, FDP und Grüne die Fenster aufreißen und das Land durchlüften. Was im höchsten Maße nötig war!
Es heißt jetzt: Den Partnern sind die politischen Gemeinsamkeiten ausgegangen. Hatten sie jemals welche? Ist nicht von Anfang an vieles übertüncht und zugedeckt worden? Mit viel Geld! Das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom November 2023 machte einen Strich durch die Ampel-Rechnung: 60 Milliarden Euro fehlten plötzlich. Wofür die Ampel überhaupt Geld ausgeben wollte, welche Impulse der schlingernden Wirtschaft helfen sollten, wie viel Sozialstaat gerecht und bezahlbar wäre, ob Wohlhabende stärker belastet werden müssten, wie viel in den Klimaschutz zu investieren wäre – auf diese und andere Fragen gaben die drei Parteien grundsätzlich unterschiedliche Antworten. Wenn nicht schon vorher hätte spätestens nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil die „Fortschrittskoalition“ auf neue Füße gestellt werden müssen – die genuine Verantwortung des Kanzlers. Er gefiel sich im Gegenteiligen: Er wurde nicht müde, zu beteuern, dass niemand betroffen sein werde: You’ll never walk alone.
Scholz ist an sich selbst gescheitert und die Ampel an der harten, teils unvorhersehbaren Realität. Die Koalition fand erhebliche Altlasten der Merkel-Regierungen vor und startete noch in der Pandemie. Im Februar 2022 überfiel Putin die Ukraine und erschütterte das europäische, gar das Weltgefüge. Scholz rief die „Zeitenwende“ aus, die außer einem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr folgenlos blieb; das richtige politische Zeichen blieb Floskel. Die fehlenden Gaslieferungen aus Russland konnte die Regierung einigermaßen kompensieren; hätte aber Scholz den Menschen nicht damals eröffnen müssen, dass wir nie mehr in den „günstigen“ Zustand früherer Jahre würden zurückkommen können? Er sah es anders: „Das wäre sogar falsch, wenn man die längere Perspektive in den Blick nimmt.“ Bekämpfung des Klimawandels und seiner Folgen, Abschied von der Karbonwirtschaft, höhere Militärausgaben – alles zum Nulltarif? Der scheidende Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour nannte das Bündnis denn auch unlängst eine „Übergangsregierung“.
Oben war von Scholzens Selbstbild die Rede. Ich halte es für den Hauptgrund seines Scheiterns. Im Wahlkampf zur Bundestagswahl 2021 gab er sich von sich selbst überzeugt: „Der wirtschaftskompetenteste Kanzler, den man kriegen kann, heißt aber Olaf Scholz.“ Um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: In der Coronakrise hat er tatsächlich, damals noch Finanzminister unter Merkel, schnell und umsichtig reagiert und massive Hilfs- und Konjunkturpakete aufgelegt. Wir erinnern uns an die „Bazooka“, das erste Rettungspaket im Frühjahr 2020, und dann den „Wumms“, das zweite Konjunkturpaket im Sommer; alles „clevere Versuch, Geldpolitik, die keine Munition mehr hatte, durch Fiskalpolitik zu imitieren“. Ihm wurde assistiert, diese Reaktion sei auch dafür verantwortlich, „dass derzeit alles auf eine kräftige Erholung 2021 hindeutet“. Zu der es aber nicht kam …
Scholz hat eine bemerkenswerte Eigenschaft – den Umgang mit Niederlagen: Er ignoriert sie. Nach seiner gescheiterten Kandidatur um den SPD-Parteivorsitz feilte er unverdrossen an seinem Plan zur Eroberung des Kanzleramtes. Erfolgreich. Schon im November 2009 ließ er als Fraktionsvize im Bundestag und SPD-Bundesvize keinen Zweifel an seinen Ambitionen: „Wer bei mir Führung bestellt, muss wissen, dass er sie dann auch bekommt.“ Dass so ein Spruch Kritiker regelrecht provoziert, liegt nahe: „Und so zeigt Olaf Scholz nicht mal im Abgang Führungsstärke. Wer bei ihm Führung bestellt, bekommt: gar nichts“, so der CDU-Politiker Jens Spahn. Auch nach der Pleite gibt Scholz sich siegessicher – die momentanen Umfragewerte von 16 Prozent hält er für eine „aufholbare Größe“.
Man sollte sich auch erinnern, dass sich Scholz, als er von 2002 bis 2004 Generalsekretär der SPD war, den Spottnamen „Scholzomat“, eine Anspielung auf seine monotonen, uninspirierten Reden, redlich erworben hatte. Er selbst empfand die wenig schmeichelhafte Zuschreibung später „als sehr treffend“. Die öde Wahrheit: Scholz blieb und bleibt der Sprachautomat, der er immer war; mit „Erinnerungslücken“. Das wurde bei seinen Cum-Ex-„Auskünften“ überaus klar; man musste annehmen, dass Scholz die Menschen für unwissend oder blöd hält.
Scholz pflegte eine strategische Zweideutigkeit im Hinblick auf den Ausgang des Ukrainekrieges; wenn er nicht selbst „rote Linien“ dessen zog, was mit ihm keineswegs zu machen sei. Er ignorierte eine Binsenweisheit jeder Sicherheitspolitik, den Gegner über die Art möglicher Gegenmaßnahmen im Unklaren zu lassen; genannt „strategische Ambiguität“ – Abschreckung durch Intransparenz. So brauchte es Monate, bis er sein Nein zur Taurus-Lieferung meinte erklärt zu haben. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ist Kronzeuge; er machte den untauglichen Versuch, mit folgendem Kauderwelsch Scholz dann „wirklich zu erklären“: „Wenn der Bundeskanzler sehr bald darstellen wird, was ihn bisher und vielleicht auch zukünftig von der Lieferung von Taurus abgehalten hat, dann wird vielleicht der ein oder andere erkennen, dass die Wortmeldungen, die in den vergangenen Monaten und Jahren gewesen sind, offensichtlich auch keine Grundlage haben, zumindest kein politisches Verständnis.“
Doch Scholz kann auch entschlossen: „Um es klipp und klar zu sagen: Als deutscher Bundeskanzler werde ich keine Soldaten unserer Bundeswehr in die Ukraine entsenden. Das gilt.“ Oha, klang markig und zugleich beruhigend. Nur: Niemand hatte gefordert, deutsche Soldaten aufs Schlachtfeld zu schicken. Scholz wandte einen bewährten Populismus-Trick an: Er weist eine Forderung zurück, die nie erhoben worden war.
Wie tickt der Mann mit dem „schlumpfigen Grinsen“? Eine Selbstanalyse oder auch nur das leise Eingeständnis eines kleinsten Fehlers angesichts des politischen Scherbenhaufens ist bis dato von Scholz nicht zu hören. Auch das nichts Neues. Als das schon zitierte Bundesverfassungsgerichtsurteil verkündet war, der Haushalt wankte, die Finanzprobleme immens waren – und das durch handwerkliche Fehler –, hätte Scholz sich entschuldigen können, ja müssen. Bei den Abgeordneten im Bundestag. Und bei den Menschen. Er entschied sich, das Gegenteil zu tun. Emotionslos las er vom Papier ab: Mich trifft keine Schuld. Und das ausgerechnet von dem Mann, der Bundestagswahlkampf mit dem Wort „Respekt“ gemacht hatte.
Scholz agiert abgehoben. Er glaubt, allein den Überblick zu haben. Er hat die Gabe, seinem Gegenüber das Gefühl zu vermitteln: „Ich weiß, dass ich alles besser weiß.“ Für einen Bundeskanzler ein unglücklicher Wesenszug. Den der SPD-Kanzlerkandidat Scholz noch zu verbergen wusste, als er auf den Plätzen des Landes für seine Politik des Respekts warb.
Scholz’ oft kurze Antworten überdecken nicht selten, dass er eigentlich nichts zu sagen hat. Auf die Frage nach der „irregulären Einwanderung“ tat Scholz kund, dass seine Regierung dabei sei, ein Problem zu lösen, „dass noch keine Regierung der Welt hat lösen können“. Auf dem G7-Gipfel in Elmau antwortete er auf die Frage, ob er konkretisieren könne, welche Sicherheitsgarantien die G7 der Ukraine gäben, mit „ja, könnte ich“; und schwieg. Scholz hat nicht begriffen – das ist der entscheidende Vorwurf, der ihm zu machen ist –, dass Sprache das zentrale Werkzeug der Politik ist! Um Menschen – wie es so schön heißt – mitzunehmen.
Scholz zwischen Merkel und Merz: Mit Merkel begann Deutschlands Abschwung; die Infrastruktur verlotterte und Probleme wurden ausgesessen. Merz wird mit ziemlicher Sicherheit der nächste Kanzler. Bei ihm ist zu befürchten, dass der frühere Blackrock-Manager Businesserfahrung für Wirtschaftskompetenz hält.
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