Als habe er ein verstecktes Fenster aufgestoßen und unsere Sinne aufgetan – in unserem Innern wie in die uns umgebende Welt. Friedrich, der seit 1798 in Dresden lebte und hier auch 1840 starb, hat Bildfiguren geschaffen, die für immer in der Kunst aufgehoben sein werden. In Dresden wurde er zum großen Maler der Romantik, hier orientierte er sich an den Alten Meistern in der Gemäldegalerie, von hier aus erkundete er die nähere und weitere Landschaft, knüpfte er seine Kontakte mit der Kunstwelt, schuf er die Voraussetzungen, um als Wegbereiter der Moderne wirksam zu werden. Dresden ist nun auch nach Hamburg und Berlin die dritte Station im großen Retrospektiv-Projekt des 250. Jubiläumsjahres, wozu noch die Geburtsstadt Greifswald mit drei aufeinanderfolgenden Sonderausstellungen kommt und in Weimar ab November den Beziehungen Friedrichs zu Goethe und dem klassischen Weimar nachgespürt werden soll. Im kommenden Jahr reisen Friedrichs Werke nach New York, wo das Metropolitan Museum of Art die erste große Retrospektive in den Vereinigten Staaten präsentieren wird.
Aber zurück zur Dresdener Retrospektive, die genau im Umkreis des 250. Geburtstages stattfindet und den Titel „Wo alles begann“ trägt. Sie besteht aus zwei Teilen: Die Farbenpracht der Friedrichschen Gemälde, unter die drei Aspekte Natur, Religion und Politik gestellt, eröffnet sich im Albertinum, während die Feinheit der Zeichnungen im Kupferstichkabinett voll zur Entfaltung kommt. Der Maler hat eine Vision; was er – wie er sagt – „in sich gesehen“, was also ganz seinen Gefühlen und Empfindungen entspricht, gestaltete er im Bild. Seine Bildfiguren sind nicht nur die Rückenfiguren allein, die in ihrer vermittelnden Funktion als Stellvertreter des Betrachters wirken, in die sich der Maler aber auch oft selbst hineingesehen hat, sondern dazu gehören eben auch Baum und Wald, Fels und Weg, Höhle und Tor, Ruine und Grab, Mond und Wolken, Land und Meer, Tag und Nacht, Leben und Tod. Die Motive werden geradezu mit Bedeutung aufgeladen. Wirklichkeit wird so konzentriert, dass sie umschlägt in ein Bedeutungsfeld, das jenseits des Visuellen liegt. Manchmal scheint Friedrich die Tannengruppe wie eine gotische Architektur aufgebaut zu haben. Dann wieder steht der Himmel als imaginäre Wand da, von unermesslicher transparenter Gespanntheit. Seine Imagination hat der Maler in strenge Disziplin genommen. Den „inneren Sinn für Symmetrie“, den er vom Künstler forderte, kontrollierte er, indem er das Bild einer strukturellen Ordnung unterwarf.
„Das Kreuz im Gebirge (Tetschener Altar)“ (1807/08), eine Ikone der Dresdner Sammlung, lässt das Kruzifix an der Bergspitze zum Blickpunkt werden, welches das Sonnenlicht reflektiert. Dass ein Landschaftsgemälde als Altarbild dienen sollte, war in der Kunstgeschichte ohne Vorbild. Die über die Erde erhobene Kreuzigung ist eine Allegorie: Gott ist gegangen und die Erde ohne ihn in Dunkelheit versunken. Welchen Platz nehmen Christus und sein Opfer im Leben der Menschen ein?
Ganz anders „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“ (1819): Eingerahmt von entwurzelten Bäumen, stehen die Rückenfiguren – ein Fels hat ihnen den Weg versperrt – vor dem Abgrund, während das Mondlicht im Hintergrund wie eine Lichtquelle die ganze Bildfläche erfasst. Der Mond als Symbol der sich wandelnden Zeit und sich unendlich wandelnden Natur – dieses Licht am Horizont fasziniert und tröstet zugleich. Der ahnungsvollen Abendstimmung steht in anderen Bildern wiederum die verheißungsvolle Morgenstimmung gegenüber.
Die Rückenfigur in „Frau am Fenster“ (1822) stellt Caroline dar, die Frau des Malers, wie sie aus der dunklen Enge des Innenraums durch den Fensterausschnitt in das Licht draußen schaut. Friedrichs Bildmotiv nimmt sich gegenüber Johannes Vermeers „Brieflesendem Mädchen“ (1657/59) – in der Sammlung der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden – wie eine Drehung der Figur in eine seitliche Ansicht aus. Dagegen spiegeln sich die Konturen des „Wanderers im Nebelmeer“ (um 1818) in den vom Nebel eingehüllten Felsformationen wider, so dass man sich die Landschaft auch ohne Figur vorstellen könnte.
In dem Gemälde „Das Große Gehege bei Dresden“ (1832) behandelt Friedrich den Raum wie ein Panorama, dehnt ihn in unerreichbare Ferne, türmt ihn flächenartig in die Vertikale auf. Fein abgestufte Farbtöne reichen von hellem Gelb und Blau bis zu blassem Rosa und Olivbraun und vermitteln eine Abendstimmung von großer Stille und feierlicher Schönheit. Es ist der Nachglanz der untergegangenen Sonne, der den Himmel in atemberaubender Farbenpracht leuchten lässt, während die Erde bereits im Halbdunkel versunken ist. Der Maler verzichtet hier auf eine Verklammerung von Nähe und Ferne, Erde und Himmel durch ein überschneidendes Motiv, wie er es in den „Lebensstufen“ (1834), aber auch im „Abendstern“ (um 1830/33) verwendet hat.
Mit dem „Watzmann“ (1824-25) wie mit dem „Eismeer“ (1823-24) hat Friedrich Gegenden dargestellt, die er nie gesehen hat. Es sind visionäre Sinnbilder göttlicher Majestät und Unnahbarkeit. „Der Watzmann“: Während sich im Vordergrund die Felsklippen mit ihren Fichten und Kiefern in Helligkeit und Dunkelheit, in Bewegung erscheinen, erhebt sich dahinter ein gewaltiges Bergmassiv in ewiger Ruhe.
„Huttens Grab“ (um 1823) ist eine Erinnerung an die Befreiungskriege 1813: Im verfallenden Chor einer Kirchenruine steht am Monument des Ritters, der sich als Humanist wie auch in seinem Kampf gegen Rom auszeichnete, sinnend ein junger Mann in der alten Tracht der Burschenschafter. Der Konsolfigur mit Kreuz ist der Kopf abgeschlagen. Gerade in Kirchenruine und Friedhof hat der Maler die Veranschaulichung des Unzugänglichen, Nicht-Fassbaren gesucht.
Dagegen soll im Kupferstichkabinett der Arbeits- und Denkprozess Friedrichs in seinen Zeichnungen offengelegt werden. Hier hat er die Natur nicht mehr motivisch festgehalten, sondern sein „subjektives Empfinden der Natur als Raum der Stille“ festgehalten, wie es im Katalog heißt. Die Skizzenbücher enthalten vornehmlich Pflanzen-, Baum-, Fels- und Landschaftsstudien. Seine in der Natur aufgenommenen Bleistiftstudien führte Friedrich danach mit Feder oder Pinsel weiter aus, er überzeichnete und lavierte. Mit seinen brauntonigen Sepiablättern, die eine differenzierte Darstellung von Lichtstimmungen ermöglichten, erlangte er erste Anerkennung. In Zeichnungen, die panoramaartig angelegt sind, hat er die Perspektive verengt, räumliche Tiefe durch lockeres Strichwerk im Vordergrund und eine besondere Akzentuierung im Hintergrund erreicht.
Das tröstende, hoffnungsvolle Licht am Horizont lässt uns still werden. Das milde Licht der Gestirne färbt die gesamte Landschaft. Man muss erst in sich selbst hineintauchen, in die eigene Gefühls- und Empfindungswelt, um sich in diese Bilder einfühlen und sie verstehen zu können. In eine Welt, die vieldeutig zu betrachten und entziffern ist. In Friedrichs multivalenter Bildersprache sieht die neuere Forschung seine eigentliche Modernität.
Caspar David Friedrich – Wo alles begann. Dresden, Albertinum (10 – 18 Uhr, Do – Sa auch 18 – 21 Uhr, Mo geschlossen, bis 5.1.2025), Kupferstichkabinett im Residenzschloss (10 – 18 Uhr, Do bis 21 Uhr, Di geschlossen, bis 17.11.24). Katalog (Sandstein Verlag Dresden) 48 Euro.
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