Triumphierend die Meldung des Tages vom 23. August 1939 in der Frankfurter Zeitung, dem längst gleichgeschalteten Blatt liberaler Provenienz: „Die Reichsregierung und die Sowjetregierung sind übereingekommen, einen Nichtangriffspakt miteinander abzuschließen.“ Von einer „historischen Wendung“ wird gesprochen, denn die „außenpolitische Isolierung Deutschlands“, die schicksalsschwer begonnen habe, nachdem Reichskanzler Caprivi den von seinem Vorgänger Bismarck eingefädelten Rückversicherungsvertrag mit Russland nicht mehr erneuerte, und die „den verantwortlichen Staatsmännern des Zweiten Reiches im Weltkrieg zum Verhängnis geworden“ sei, finde nun ein Ende: „Heute ist es wieder eine Wendung in den Beziehungen Deutschlands zu Russland. Die – freilich in einem ganz anderen Sinne – das politische Gesamtbild Europas grundlegend verändert. Reichsaußenminister von Ribbentrop fliegt im Auftrag Adolf Hitlers nach Moskau, um dort einen Nichtangriffspakt abzuschließen, dessen Grundlagen in vorangegangenen Verhandlungen bereits geklärt und festgelegt worden sind.“
Diese Wende in den deutsch-russischen Beziehungen, so das Blatt, berühre „alle in der heutigen Weltlage aufgeworfenen und erörterten Fragenkreise“, was sich am ehesten ermessen lasse, „wenn man sich einen kurzen Augenblick daran erinnert, wie Europa und die Welt gestern noch aussahen“. Die Vorwürfe richten sich gegen die „Einkreisungspolitik der Westmächte“, weil die Spannungen „ungeheuer verschärft“ worden seien, „die aus dem Widerstand gegen die ernsthafte und ehrliche Anerkennung deutscher Lebensinteressen erwuchsen“. Die Westmächte hätten sich in Fragen eingemischt, die allein Deutschland und Polen etwas angingen – Danzig und der Korridor! Die Entscheidung „über die Entfesselung eines europäischen Krieges“ sei nach diesem Treiben „denselben Polen in die Hand gegeben“ worden, „die im Vertrauen auf den Beistand der Einkreisungsmächte ein großzügiges deutsches Friedensangebot starrsinnig abgelehnt hatten und auch weiterhin ihren längst fällig gewordenen Beitrag zu einer Lösung deutscher – nicht englischer, nicht französischer, sondern deutscher – Lebensinteressen verweigerten, zu einer Lösung sogar, die auch berechtigte Lebensinteressen der Polen nicht vernachlässigte“.
Kurzum, jetzt sei nur noch die „Überraschung der Westmächte“ festzuhalten, die „Gefangene ihrer eigenen Vorurteile geworden“ seien: „Die Warnung wurde nicht gehört oder nicht verstanden. Umso stärker wirken jetzt die Tatsachen“. Und herausgestrichen wird demonstrativ der Friedenscharakter, denn der „neue Vertrag zielt nicht auf jene Beistandspakte, die im Stile der Einkreisungsmächte auch mit den kompliziertesten Formeln nicht verschleiern können, dass Verabredungen zu einem Kriege gegen andere getroffen werden.“ Jetzt werde für Deutschland und Sowjetrussland das Tor zum friedlichen Nebeneinander aufgestoßen: „Der neue Pakt kann sich auch auf eine politische Tradition berufen, die sich in vergangenen Jahrhunderten für beide Länder in entscheidenden Abschnitten ihrer Geschichte bewährt hat.“ Entsprechend heißt es geradezu emphatisch: „Die Wiederherstellung einer alten Freundschaft, die auf gemeinsamen politischen Interessen beruht, trifft in beiden Völkern auf freundliche Sympathien, die nie ganz erloschen sind.“ Eine Bedrohung für andere gehe von dem Pakt zwischen Berlin und Moskau selbstredend nicht aus: „Diese Freundschaft wird sich auch als ein hervorragendes Instrument für eine klare und dauerhafte Ordnung des europäischen Friedens erweisen. In diesem Sinne haben sich auch die Einkreisungsmächte mit der neuen Wendung der Dinge auseinanderzusetzen.“
In Polen herrsche „Ratlosigkeit“, so ist der Bericht aus Warschau überschrieben. „Die bevorstehende Unterzeichnung eines deutsch-russischen Nichtangriffspaktes ist den Warschauer politischen Kreisen völlig überraschend gekommen und hat größte Bestürzung hervorgerufen.“ Aus Moskau heißt es im Korrespondentenbericht: „In Moskau empfindet man die neue Gestaltung des Verhältnisses zwischen Deutschland und der Sowjet-Union als einen geschichtlichen Wendepunkt.“ Der Korrespondent geht auf die gescheiterten Verhandlungen Moskaus mit Paris und London ein: „Wenn es die in protokollarischen Fragen sehr empfindsamen Russen seinerzeit den Engländern und Franzosen verübelten, dass sie bei der Wahl ihrer Unterhändler mit Moskau allzu viele Rücksichten mitsprechen ließen, so hat der Entschluss des Reichaußenministers, selbst nach Moskau zu kommen, von vornherein sympathisch berührt. Dieser Beschluss erleichtert der Sowjetregierung ihre außerordentlich weitreichende politische Entscheidung, die den Anfang für eine Vereinigung des deutsch-sowjetrussischen Verhältnisses auf lange Sicht bildet. Die Entwicklung in den letzten Tagen hat gezeigt, dass auf beide Seiten das Bedürfnis nach einer Klärung der Beziehungen bestand.“
Soweit zum 23. August 1939. Die anschließenden Wochen stürzen die Welt in das schrecklichste Kriegsdrama aller Zeiten. Nach der raschen Vernichtung Polens zu Beginn feiern deutsches wie sowjetisches Militär an der in ihrem Freundschaftspakt festgelegten Demarkationslinie gemeinsam den Untergang des Bastards von Versailles, wie Polen verächtlich bezeichnet wird. In der aktualisierten Auflage vom Oktober 1939 unterrichtet „Knaurs Weltatlas“ den beflissenen Leser: „Im September 1939 zerbrach dieser in Versailles einst geschaffene polnische Staat. Statt willkürlicher Zerrissenheit werden im Gebiet des ehemaligen Versailles-Polen in Zukunft klare Verhältnisse herrschen, nachdem durch den deutsch-sowjetischen Grenz- und Freundschaftsvertrag eine Abgrenzung der beiderseitigen Reichsinteressen geschaffen wurde.“
Schlagwörter: Deutschland, Jan Opal, Nichtangriffspakt, Polen, Sowjetunion, Zweiter Weltkrieg