Es ist der Tag nach dem unglaublichen Attentat auf Robert Fico, den slowakischen Ministerpräsidenten. Aus Banská Bystrica dringen zunächst widersprüchliche Nachrichten an die Öffentlichkeit – die ersten Operationen nach der schnellen Einlieferung ins Krankenhaus seien den Umständen gut verlaufen, die Lage des Patienten stabilisiere sich, sei aber weiterhin ernst. Später heißt es, der Patient sei außer Lebensgefahr! Andere Dinge sind indes schnell geklärt: Der Täter, ein 71-jähriger Mann, hat ganz auf eigene Faust gehandelt. Nach der Festnahme am Tatort hatte er – um seiner sinnlosen Tat überhaupt ein Motiv zu geben – etwas von Vorgängen um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der Slowakei gefaselt, den Fico zerstören wolle. Später sagte er den Ermittlern, er sei stolz auf seine Tat. Und Ficos Personenschützer, so ist immer wieder zu hören, müssten vieles auf ihre Kappe nehmen, denn der erste Schuss, der abgefeuert wurde, sei überraschend gewesen, doch die weiteren vier Schüsse, die den Ministerpräsidenten trafen, hätten ihr Ziel verfehlen müssen.
Die Kleinstadt Handlová – sie beherbergt um die 17.000 Seelen – war am 15. Mai 2024 bewusst gewählter Tagungsort für die Regierungssitzung, eine symbolische Geste an die eigene Wählerschaft, denn die ist weniger in der pulsierenden Hauptstadt zu finden, die findet sich verstreut hinter den Bergen in der Provinz. Nach Beendigung der Sitzungsrunde erwarteten hinter der Absperrung vielleicht 50 Personen ihren Ministerpräsidenten, der – wie es seine unkomplizierte Art ist – es sich einfach nicht ausreden ließ, die Hände der geduldig wartenden, zumeist älteren Menschen zu schütteln. Was sollte hier schiefgehen? Plötzlich fallen aus der kleinen Menschentraube die Pistolenschüsse, die friedliche Welt der slowakischen Provinz liegt in dieser frühen Nachmittagsstunde in Trümmern.
Fico hatte zuletzt im Herbst 2023 nach vorgezogenen Parlamentswahlen das Regierungsruder wieder übernehmen können. Seit Sommer 2006 kann er mittlerweile auf insgesamt elf Jahre im Amt des Ministerpräsidenten der kleinen Republik zurückblicken. Niemand sonst hat das politische Leben der Slowakei seit dem EU-Beitritt am 1. Mai 2004 so geprägt wie er. In dieser Hinsicht könnte er sich sogar ein wenig mit Viktor Orbán im benachbarten Ungarn messen, wenngleich der Vergleich kräftig hinkt, denn Ficos Position war selbst in den besten Tagen nie so dominierend wie die des Ungarn auf der anderen Seite der Donau. Im Herbst 2023 erreichten die von Fico geführten Sozialdemokraten der Smer-Partei gerade einmal 23 Prozent der abgegebenen Stimmen, doch im Bunde mit einer weiteren sozialdemokratischen Partei und mit den Nationalisten reichte es für die Regierungsbildung, da sich die Parteienlandschaft der Slowakei als eine über die Maßen zerklüftete erwies. Der Schulterschluss der Smer-Sozialdemokraten mit den Nationalisten auf der Regierungsbank ist allerdings nicht neu, denn bereits von 2006 bis 2010 und von 2016 bis 2018 regierte man gemeinsam. Allein daran wird deutlich, dass Fico etwas mit seinen Mitteln versucht, was woanders in mitteleuropäischen Ländern mal mehr, mal weniger erfolgreich versucht wird.
Ungarns Orbán hat den Begriff der illiberalen Demokratie seinerzeit ins Spiel gebracht, um die Frontstellung zu markieren – den scharfen innenpolitischen Kampf gegen die nach westeuropäischem Vorbild ausgerichteten Liberalen, die unter den herrschenden neoliberalen Vorzeichen immer ein leichteres Spiel zu haben scheinen. Während Polen und Ungarn den Angriff gegen die als „liberal“ ausgemachte Demokratie von nationalkonservativen Positionen führen, versucht es Fico mit einer sozialdemokratischen Variante, allerdings je nach Kräfteverhältnis im Bunde mit provinziellem Nationalismus. Eine weitere Variante steuerte in Tschechien Andrej Babiš bei, der meistens geschickt zwischen sozialdemokratischen und nationalkonservativen Varianten wandelte, dem es aber spektakulär gelang, zumindest den Sozialdemokraten und den Kommunisten das Wasser fast völlig abzugraben.
Hier soll allerdings jetzt nur festgehalten werden, dass Ficos Erfolge auf der politischen Bühne in Bratislava auch anderswo ihre – vielleicht besser beleuchtete – Entsprechung haben. In einer Reihe mit Orbán, Jarosław Kaczyński oder Babiš wäre er dann lediglich die sozialdemokratische Variante, die aber den Regelfall einer illiberal gedachten Demokratie weniger bricht, sondern lediglich bestimmten nationalen Eigenheiten folgt. Und dass die gesellschaftliche Stimmung kräftig polarisiert, mitunter gefährlich zugespitzt wird, ist in allen diesen Fällen durchaus eine feste Größe im Spiel, aus dem ein zusätzlicher innenpolitischer Gewinn erwartet wird. Insofern wirkt es wie ein kleines Hoffnungszeichen aus Bratislava, wenn die scheidende Staatspräsidentin Zuzana Čaputová und der designierte Staatspräsident Peter Pellegrini gemeinsam die verfeindeten politischen Lager zur Versöhnung aufrufen.
Auffällig zuletzt – um noch einmal auf die angesprochene Reihe von Orbán bis Fico zu schauen – sind die vielen Gemeinsamkeiten in der Frage des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Orbáns Position ist seit langem bekannt (siehe auch Blättchen 16/2022) Babiš hatte Anfang 2023 mit ausgesprochen Kreml-freundlichen Positionen – allerdings vergeblich – versucht, das Präsidentenamt in Prag zu erobern. Und in diesem Jahr hat Kaczyński sich klar und eindeutig hinter die Bauernproteste in seinem Land gestellt, die neben der EU-Landwirtschaftspolitik vor allem gegen die angebliche Gefahr einer „Ukrainisierung“ zielten.
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