In der Nacht vom 13. auf den 14. April hat der Iran von seinem Territorium aus mit Drohnen, Marschflugkörpern und auch einigen Raketen Israel angegriffen. Es war dies der erste direkte Angriff dieser Art.
Zuvor gab es Angriffe, etwa seitens der Hisbollah von Südlibanon aus. Der Westen betrachtet diese, wie auch schiitische Milizen in Irak oder die Hamas in Palästina und die Huthi im Jemen, als Stellvertreter des Iran. Das aber dürfte eine starke Vereinfachung sein. In Bezug auf den Terror-Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 sind sich Kenner der Szenerie eigentlich einig, dass der nicht mit dem Iran abgestimmt und schon gar nicht von diesem veranlasst war. (Bereits aus der Kriegsgeschichte Deutschlands im ersten und zweiten Weltkrieg weiß man, dass wesentlich schwächere Verbündete, etwa Österreich-Ungarn im ersten oder Finnland und Ungarn im zweiten Weltkrieg, stets ihren eigenen Kopf hatten und nicht einfach auf Knopfdruck aus Berlin funktionierten.) Insofern sollte man, zumal bei den komplizierten Mächtekonstellationen im Nahen und Mittleren Osten, nicht von verkürzten Interpretationen ausgehen.
Aus iranischer Sicht war der Angriff vom 13. April 2024 eine „Vergeltung“ für den Luftangriff Israels auf die iranische diplomatische Vertretung in Damaskus am 1. April. Der völkerrechtliche Schutz diplomatischer Einrichtungen erstreckt sich auch auf militärischen Auseinandersetzungen.
*
Exkurs: Während des völkerrechtswidrigen Jugoslawien-Krieges der NATO hatte diese am 7. Mai 1999 auch die chinesische Botschaft in Belgrad bombardiert, wobei mehrere Personen zu Tode kamen. Die US-Regierung und die NATO-Verantwortlichen heuchelten, das sei Folge eines Irrtums gewesen – der britische The Observer und die dänische Zeitung Politiken berichteten im Oktober 1999, dass es sich nicht um ein Versehen, sondern um Vorsatz gehandelt hatte. Unabhängig davon hatten sich US-Präsident Bill Clinton, seine Außenministerin Madeleine Albright und NATO-Vertreter in aller Form entschuldigt; die USA zahlten mehrere Millionen Dollar an China, offiziell als „freiwillige Reparationszahlung“, für die Entschädigung der Hinterbliebenen und für die materiellen Schäden an den Einrichtungen. Damit war die politische Beilegung dieses Vorganges eine Bestätigung – auch durch die USA – der Unverletzlichkeit einer Botschaft selbst im Krieg. Das wussten die israelischen Verantwortlichen am 1. April.
Die Bombardierung in Damaskus war ein klarer und offensichtlicher Bruch des Völkerrechts.
*
Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz (SPD) twitterte kurz nach dem iranischen Angriff ihr Bedauern über die vielen Opfer der Kriege in der Ukraine, Israel und Gaza und schrieb: „Warum musste diese Situation noch provoziert werden? Bombardierung der iran. Botschaft hat Nahost weiter gefährdet.“ Den israelbezogenen Eiferern in Deutschland war dies eine „Opfer-Täter-Umkehr“. Im Internet wurde sie beschimpft, sie würde die Erklärung des Teheraner Regimes übernehmen. Den Tweet löschte sie, zeigte sich aber nicht „einsichtig“, wie Die Welt meinte, was wiederum „unwürdig und befremdlich“ sei.
Ähnlich erging es dem Nachrichten-Redakteur Ingo Zamperoni von den ARD-Tagesthemen. Er begann seine Anmoderation am späten Abend des 13. April mit den Worten: „Es muss den Verantwortlichen in Israel sehr klar gewesen sein, dass dieser Zwischenfall [am 1. April – P.P.] nicht ohne Folgen bleiben würde.“ Auch hier der Vorwurf einer „Täter-Opfer-Umkehr“, suggeriert werde, Israel sei selbst schuld an der iranischen Attacke oder habe den Angriff zumindest provoziert. Die ARD solle sich entschuldigen. Was der Sender in der Sache verweigerte.
Führende westliche Politiker verurteilten einhellig den iranischen Angriff. US-Präsident Biden befand diesen als „dreist“ und sagte Israel seine „unerschütterliche“ Unterstützung zu. Der britische Premier Sunak nannte den Angriff gefährlich und rücksichtslos. Der EU-Außenbeauftragte Borrell sprach von einer „beispiellosen Eskalation“. Bundeskanzler Scholz meinte: „Mit dieser unverantwortlichen und durch nichts zu rechtfertigenden Attacke riskiert Iran einen regionalen Flächenbrand“. Dass Israel mit seinem Angriff gegen die iranische Botschaft in Damaskus einen solchen Flächenbrand riskiert haben könnte, kam ihm offenbar nicht in den Sinn. Keiner der führenden Staatenlenker des Westens hat diesen Völkerrechtsbruch ernsthaft verurteilt. War dies „nur“ eine Fehlperzeption? Oder Ausdruck westlich-israelischer Hybris?
Insgesamt, so Mitteilungen von Militärs, soll der Iran 300 Drohnen und Raketen gegen Israel abgefeuert haben. 99 Prozent seien abgefangen worden, darunter auch durch militärische Kräfte der USA, Großbritanniens und Frankreichs. Darüber hinaus soll Jordanien Drohnen abgeschossen haben, die über sein Territorium flogen; Saudi-Arabien hatte seinen Luftraum für geschlossen erklärt.
Rasch war von „neuen Allianzen“ die Rede. Das dürfte Hoffnungsdenken sein: Die Differenzen zwischen Persern und Arabern sind Jahrhunderte alt, der religiöse Bruch zwischen Schiiten und Sunniten besteht fast so lange wie der Islam. Zudem haben Jordanien wie Ägypten Friedensverträge mit Israel, die sie nicht wegen iranischer Aktionen aufs Spiel setzen wollen. Außerdem ist Hilfe für die geschundenen Menschen in Gaza nur durch Kooperation mit Israel und nicht durch mehr Krieg zu erreichen.
Von iranischer Seite wurde nach dem Angriff erklärt, man habe seine Freunde 72 Stunden vor der Operation informiert. Ferner waren die USA informiert, so dass Israel ebenfalls Zeit hatte, sich vorzubereiten. Auch die lange Flugzeit der Drohnen eröffnete Spielraum für Abwehrmaßnahmen. Der iranische Außenminister Amirabdollahian betonte, Iran habe sein „Recht auf Selbstverteidigung“ wahrgenommen. Die Angriffe seien begrenzt, eine einmalige Vergeltungsaktion gewesen. Den Umfang der Operation habe man auf Einrichtungen beschränkt, die von Israel für den Angriff auf die Botschaft in Damaskus genutzt wurden. Insgesamt sei der Angriff ein Erfolg gewesen.
Der Nahostexperte Andreas Böhm (Universität Sankt Gallen) betonte die symbolische Bedeutung der iranischen Geschosse. Die weltweit übertragenen Bilder der fliegenden Angriffsdrohnen über der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem, einem Heiligtum der ganzen islamischen Welt, symbolisierten den Iran als den „eigentlichen Unterstützer der palästinensischen Sache“. Zugleich sei eine Rakete exakt in jener israelischen Air Base eingeschlagen, von der aus der Angriff auf die Botschaft in Damaskus ausging. Was meinte: „Passt auf, wir können euch auch härter treffen“. Der Iran hat Israel vor weiteren Angriffen gewarnt. US-Präsident Biden betonte, dass 99 Prozent der Drohnen und Raketen abgewehrt wurden. Ministerpräsident Netanjahu solle das „als Sieg nehmen“ und keine weiteren Angriffe gegen Iran starten. An solchen würden sich die USA auch nicht beteiligen.
In der israelischen Regierung dagegen war inzwischen wieder die Rede von „Vergeltung“ und „Rache“. Rache aber ist eine Kategorie aus dem Alten Testament, nicht des Völkerrechts. Wie es auch kein Recht auf einen Präventivkrieg oder -angriff gibt. Es liegt jetzt an Israel, nicht weiteres Öl ins Feuer zu gießen. Klar ist, dass die Antwort des Iran auf eine kriegerische Antwort Israels wesentlich härter ausfallen würde. Die vorhersehbare Folge wäre eine Erhöhung der Gefahr eines großen Krieges. Die Eskalationsdominanz liegt aber bereits jetzt nicht mehr bei Israel.
„Schlafwandler“ in der Außenpolitik, die am Ende nicht mehr beherrschen, was sie selbst tun, sind kein Privileg des alten Europas. Hinzu kommt, dass Netanjahu den „Wünschen“ Bidens absichtsvoll nicht folgt. Sei es, weil die einstige Weltmacht ihren Willen nicht mehr durchzusetzen vermag, sei es, weil er auf einen Präsidenten Trump wartet. Der ließ ihm in der Vergangenheit freie Hand.
Schlagwörter: Eskalationsdominanz, Iran, Israel, Krieg, Palästina, Peter Petras, USA