Welchen Weg wollen wir gehen? Kalter Krieg, Weltkrieg oder globale Kooperation?
In ihrem neuen Buch „Die Traumwandler“, erschienen Ende letzten Jahres bei C.H. Beck, entwerfen die erfahrenen Politikberater Josef Braml und Mathew Burrows drei Szenarien für die nahe Zukunft unseres Planeten.
Wer sich bei dem Titel „Die Traumwandler“ an Christopher Clarks Buch über Europas Schlafwandeln in den Ersten Weltkrieg erinnert fühlt, liegt richtig. Denn genau darauf nehmen Braml und Burrows Bezug und konstatieren heute eine ähnliche Entwicklung wie damals. Beide Autoren schöpfen dabei aus ihren Erfahrungen in verschiedenen transnationalen Institutionen. Braml war bei der Weltbank und in der Stiftung Wissenschaft und Politik aktiv. Der Deutsche gilt inzwischen als USA-Experte und ist aktuell Direktor Europa der Trilateralen Kommission – einer einflussreichen globalen Plattform für den Dialog zwischen Amerika, Europa und Asien. Der US-Amerikaner Burrows, lange für das US-Außenministerium und die CIA tätig, ist aktuell Fellow am Stimson Center in Washington D.C., einer gemeinnützigen, überparteiliche Denkfabrik, die Probleme für den globalen Frieden analysiert.
Ihr Buch entwirft drei Szenarien, wie sich das Verhältnis zwischen China und den USA entwickeln könnte. Dabei nehmen sie auch die Rolle Europas und die der Länder des globalen Südens in den Blick. Anhand vieler Quellen, Zitate und Beispiele schaffen die Autoren auch bei dem Laien ein Verständnis dafür, wie Innen- und Außenpolitik zusammenhängen und worauf politischer Entscheidungen gründen, ohne diese zu rechtfertigen. Vielmehr wird dabei nach Alternativen zu den herrschenden Denkmustern gefragt.
Ausgehend vom Ukrainekrieg und dem erneuten Aufschwung des militärischen Denkens in Sieg und Niederlage, beschreibt das Buch in einem ersten Szenario den neuen kalten Krieg, dessen Schwelle schon überschritten scheint. Sehr kenntnisreich legen Braml und Burrows die Mechanismen, Zwänge und Ziele der Großmächte dar, die ein zweites, „das hässliche Szenario“ erneut in den Bereich des Möglichen rücken: einen dritten Weltkrieg. Das ein solcher, als Atomkrieg, sich am Streit um Taiwan entzündet, sei eine reale Gefahr, vor der die Autoren eindringlich warnen.
Dies erscheint meines Erachtens umso notwendiger in einer Zeit, in der viele Politiker und viele Medien hierzulande uns alle wieder kriegsertüchtigen wollen, gegen Russland, gegen China … Diese Ertüchtigung geschieht auch in demokratischen Gesellschaften zuallererst mental, um eine solche Politik zustimmungsfähig zu machen. Daher wird der gefährliche Traum genährt, Atommächte ließen sich besiegen, ohne mit ihnen unterzugehen. Gleichzeitig, so diagnostizieren Braml und Burrows, herrsche bei den westlichen Eliten eine fatalistische Stimmung, als sei ein Krieg mit China wie ein manichäischer Konflikt quasi unvermeidbar. Dabei, so machen die Autoren deutlich, handelt es sich lediglich um einen Wettstreit zweier Großmächte. So wird Jo Biden zitiert, der vor der Presse verkündetet, er werde verhindern, dass China „das reichste Land der Welt und das mächtigste“ wird. Da es hier nicht um die Rangelei zweier Alphamännchen geht, sondern um das Schicksal der Menschheit, bleibt die berechtigte Frage, lässt sich solch ein Konflikt auch friedlich lösen? Was passiert, wenn dies nicht geschieht, zeigt die erneute Eskalation des Nahostkonflikts seit dem Terrorangriff der Hamas.
Daher ist es das wirkliche Verdienst dieses Buches ein drittes, „das gute Szenario“ ausführlich ins Blickfeld zu rücken: Eine neue, eine kooperative Globalisierung. Dies erscheint heute umso notwendiger, da jeder, der auch nur von einer perspektivisch notwendigen Verständigung und Zusammenarbeit mit Ländern wie Russland und China spricht, allzu oft als „Helfershelfer des absolut Bösen“ markiert wird.
Braml und Burrows lassen zwar keineswegs die geopolitischen Ambitionen Chinas außer Acht, doch gehen sie bei ihren Analysen nicht (nur) „ins Ausland […], um nach Monstern zu suchen, die es zu zerstören gilt“. Vielmehr lasten sie beispielsweise wirtschaftliche Probleme und soziale Verwerfungen nicht allein der chinesischen Wirtschaftsmacht an, sondern sie verweisen auch auf innerstaatliche Ursachen, wie den Einfluss mächtiger Konzerne auf das politische Handeln. „Insbesondere im Bereich Medien, Informationstechnologie, Finanzdienstleistungen, Verteidigung und Ölindustrie“ machten „Oligopole“ den Staat „zum Spielball von Einzelinteressen“. Als logische Konsequenz wird ein „stärkerer Westen“ nicht allein unter wirtschaftlichen oder militärischen Aspekten betrachtet, sondern auch demokratiepolitisch. So konstatieren die Autoren einen Niedergang westlicher Demokratien, belegt insbesondere am Beispiel der USA. Nimmt man nur die aktuellen Vorgänge hierzulande – zum Beispiel um den Brandenburger Verkehrsminister, der mal eben zu Mercedes Benz wechseln will oder eine Abteilungsleiterin des Bundesfinanzministeriums , die Superreichen „Werkzeugkästen“ zur Steuervermeidung erläutert – dann begreift man, die deutsche Demokratie ist nicht nur von rechts, sondern auch von oben gefährdet.
Es brauche, so die Autoren, einen „proaktiven Staat […], in dem niemand genug Macht hat, um andere zu dominieren“. Eine „allzu freie Wirtschaft und (illiberale) Demokratien“ aber würden das Risiko bergen „nach außen hin Gewalt anzuwenden.“
Was jedoch im Interesse aller Menschen läge, wird mit drei Schlüsselfaktoren benannt: Eine Deeskalation des Ukrainekriegs (und des Taiwankonflikts), eine kooperative Weltwirtschaftsordnung und die Bewältigung der Klimakrise. Wie die Faktoren global miteinander zusammenhängen und dennoch erreichbar sind, legen die Autoren überzeugend dar.
So erscheint mir als das absolut Gute des Buches, sein Plädoyer für eine stabile Weltwirtschaftsordnung, die statt auf Konfrontation und Ausgrenzung auf Zusammenarbeit aller Staaten basiert, und zwar auf Augenhöhe, insbesondere mit den Ländern des globalen Südens. Erst dies, so das Fazit des Buches, ermögliche es, die großen Krisen dieses Jahrzehnts, den Klimawandel und die Weltkriegsgefahr, zu entschärfen. Und so ist dieses ermutigende Buch zurecht „den Friedenstiftern dieser Welt“ gewidmet.
Josef Braml, Mathew Burrows: Die Traumwandler. Wie China und die USA in einen neuen Weltkrieg schlittern, C.H.Beck, München 2023, 198 Seiten, 18,00 Euro.
Schlagwörter: China, Josef Braml, kalter Krieg, Mathew Burrows, Reinhard Stöckel, USA