27. Jahrgang | Nummer 3 | 29. Januar 2024

Wie Mao in deutsche Köpfe kam (XIII)

von Wolfram Adolphi

Nach dem Überfall Deutschlands auf Polen am 1. September 1939 finden sich in der deutschen Inlandspresse kaum noch Hinweise auf Mao Zedong. Erst im Sommer 1945 wird sein Name wieder auftauchen – dann freilich häufig, denn alle werden begreifen, dass er aus der weiteren Entwicklung Chinas nicht wegzudenken sein wird.

Aus dem Jahre 1940 können zwei Mao-Fundstellen genannt werden. Die eine ist das Buch „Chinas Erneuerung. Der Raum als Waffe“, erschienen im Societäts-Verlag Frankfurt am Main, geschrieben von Lily Abegg, Korrespondentin der Frankfurter Zeitung. Das Buch ist eine Eloge auf den Nazi-Bewunderer Tschiang Kai-schek [Jiang Jieshi], der – Abegg zitiert den Nazi-Bewunderer Sven Hedin – „durch die Jahrtausende als einer der größten der Weltgeschichte weiterleben“ werde. Und es ist eine Beschwörung der von der Realität 1940 schon überholten Hoffnung, dass sich ein von Jiang geführtes China und Japan „ohne weitere Opfer bald wieder einigen“ werden. Weil Abegg aber Expertin genug ist, um zu wissen, dass der Widerstand der Kommunisten gegen eine solche von ihnen als Unterwerfung verstandene Einigung längst zu einem strategischen Faktor geworden ist, widmet sie auch ihnen ein paar nähere Betrachtungen. So nennt sie unter den Parteigründern „Mau Dsȇ-dung [Mao Zedong]“, den heutigen „politischen Führer der Partei“, „Dschu Dȇ [Zhu De]“, den „Oberbefehlshaber der Achten Feldarmee“, und „General Dschou En-lai [Zhou Enlai]“, den „Verbindungsmann zur Regierung“, dazu „seltsamerweise auch Tschen Gung-bo [Chen Gongbo] und Dschou Fo-hai [Zhou Fohai], die beiden bekanntesten Mitarbeiter von Wang Ching-wei [Wang Jingwei], die im vergangenen Winter mit ihm aus Dschungking [Chongqing] geflohen [und zu den Japanern übergelaufen – W. A.] sind“.

Nach einem Exkurs über die Geschichte des Kampfes der Guomindang gegen die Kommunisten berichtet Abegg, dass es sich bei „den Soldaten und den Parteimitgliedern“ vor allem um „an Strapazen gewöhnte Bauernhorden ohne den geringsten städtischen Einschlag“ handele, und ihre Lebensweise im „kommunistischen Gebiet in Nordschensi [Nord-Shaanxi]“ sei „so primitiv und ärmlich, daß manche Studenten und andere Bürgersöhne, die in einem Anflug von Begeisterung“ dorthin gezogen seien, „etwas enttäuscht und teilweise auch angekränkelt und elend“ zurückgekommen seien, „weil sie die sehr einfache und gleichförmige Kost und die Unterbringung ohne jede Bequemlichkeit nicht ausgehalten“ hätten. Ein „ausländischer Besucher Yenans [Yan’ans]“ habe gar berichtet, „daß Mau Dsȇ-dung, der oberste Führer der Kommunisten, sich während des Gesprächs nachlässig die Läuse aus seinem Gürtel gesucht habe“. Zugleich konstatiert sie, dass „die Kommunisten […] einen beträchtlichen Zustrom von Jugend aus allen Schichten“ erhielten, und zwar nicht allein aus „sozialer Not“, sondern auch als „Aufbäumung gegen die bestehende gesellschaftliche Ordnung“. Der Einfluss der Kommunisten sei schon so groß gewesen, dass „der Verkauf von roten Schriften und Büchern wie ‚Das Leben Mau Dsȇ-dungs‘ oder ‚Mit den roten Truppen im Kampf gegen die Japaner‘“ von der Regierung „eine Zeit lang geduldet“, dann aber „wieder verboten“ worden sei.

Erstaunlich klarsichtig arbeitet Abegg heraus, dass „hinter der Haltung und den Forderungen“ der Kommunisten keineswegs „der Kreml“ stehe. „Die Sowjetrussen“ seien „vor allem an dem Krieg gegen Japan und damit an einem einigen China unter starker Führung interessiert“, weshalb ihnen auch daran liege, „daß Tschiang Kai-schek [Jiang Jieshi] seine Macht behielt“.

Die zweite deutschsprachige Fundstelle im Jahre 1940 ist das Heft 7 der in Moskau herausgegebenen Zeitschrift Internationale Literatur. Deutsche Blätter. Dort war auf den Seiten 17 bis 24 ein Aufsatz unter dem Titel „Mao Tse-Dun“ zu lesen. Verfasst war er von Emi Sjao [Emi Xiao, Xiao San], einem Kampfgefährten Maos, der schon in Changsha gemeinsam mit ihm zur Schule gegangen war. Die Übersetzung aus dem Russischen hatte Alfred Kurella besorgt.

„Abends“, so beginnt Emi Sjao, „fiel der Schatten der Duntaischanberge [Dongtaishan] auf den Mondsee, in dessen Mitte die Dunschan [Dongshan]-Schule lag. Ich stand mit Mao Tse-Dun auf der Steinbrücke und wir unterhielten uns, auf die Brüstung gelehnt. ‚Wie alt bist du?‘ ‚Zwölf. Und du?‘ ‚Und ich bin fünfzehn‘, antwortete Mao Tse-Dun. Schon seit einigen Tagen waren mir unter der Menge der Schüler sein klares Gesicht, sein freundlicher und aufmerksamer Blick, seine Jacken und Hosen aus grobem Stoff aufgefallen. Er ähnelte nicht den anderen Schülern, die schöne lange Überröcke mit breiten Gürteln und schwarzen Seidenpantoffeln trugen. Ich spürte in ihm etwas Verwandtes, weil auch meine Kleidung nicht nach der neusten Mode war, und weil man uns beide verlachte. Im Gespräch kamen wir einander noch näher.“

„Den Tiefen des Volks entstammend“, heißt es am Schluss, „und mit lebendigem Empfinden für die Nöte des Volks begabt, genießt Mao Tse-Dun unter den Volksmassen Chinas eine außerordentliche Popularität. In seinen politischen Reden zitiert er häufig Wendungen aus Hunderten von Volksliedern der chinesischen Bauern, die er auswendig weiß. Er ist selbst Dichter. Er hat in klassischen Versen von dem großen Heereszug der chinesischen Roten Armee erzählt. Seine Worte sind immer einfach und überzeugend. Diese Einfachheit ist das Resultat der großen politischen Reife Maos und seines vielseitigen Wissens. Wenn man ihn in seiner Kindheit in seiner Familie als den ‚Gelehrtesten‘ bezeichnete, so können wir ihn jetzt mit Recht einen der größten Gelehrten unseres Landes nennen. Ursprünglich Autodidakt, hat er sich eine abgeschlossene klassische Bildung, ein tiefes marxistisches Wissen zu eigen gemacht. […] Mao Tse-Dun ist ein wirklicher Führer des Volks.“

(Die Schreibweisen des jeweiligen Originals wurden beibehalten.)

                                                                                   Wird fortgesetzt.