26. Jahrgang | Nummer 24 | 20. November 2023

Wie weiblich ist die deutsche Außenpolitik?

von Michael Geiger

Am 1. März 2023 trat die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock vor die Öffentlichkeit und stellte Leitlinien zur Feministischen Außenpolitik vor.
Zu Beginn postulierte sie, dass „Feministische Außenpolitik“ kein Kampfbegriff sei, da er sich aus dem Grundgesetz ableite und dies schließlich kein „Gedöns“ sei. Lassen wir diese logisch nur schwer zu ertragenden „Unsauberkeiten“ beiseite und versuchen in konstruktiver Manier, den positiven Geist dieser Initiative zu erfassen. In einer seit Tausenden von Jahren patriarchalisch geprägten Gesellschaft, die auf Anhäufung von privatem Eigentum und dessen Verteidigung basiert, sind Machtfragen und Konkurrenz die „Triggerpunkte“, die alle Sphären der gesellschaftlichen Wirklichkeit durchziehen. Dem ein Gegengewicht entgegenzusetzten kann nur unterstützt werden.
Die vorgezeichnete Initiative des Auswärtigen Amtes ist keine deutsche Erfindung.
Spätestens seit der Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates aus dem Jahr 2000 mit der Agenda „Frauen, Frieden, und Sicherheit“ fand das Thema Eingang in die Gestaltung außenpolitischer Beziehungen. Mit dieser Resolution wurde die Bedeutung von Genderverhältnissen und Genderidentitäten für die Entstehung, den Verlauf und die Bearbeitung bewaffneter Konflikte und Kriege offiziell anerkannt. Bis heute blieb allerdings die Bestimmung dessen, was das „feministische Element“ einer staatlich formulierten Außenpolitik im Einzelnen sei, weitestgehend offen. Das wiederum ist nicht verwunderlich, da der Begriff (nicht das Wort!) tief verwoben ist mit Fragen der Weltanschauung, des Menschenbildes, den unterschiedlichen Wertesystemen eines Volkes, den Riten und Traditionen ethnischer Gruppen.

Nicht selten wird die Geburtsstunde einer feministischen Außenpolitik in direkten Zusammenhang mit Schweden gebracht, wo 2014 eine feministische Regierung ausgerufen wurde. Ende 2022 verkündete der neue schwedische Außenminister Tobias Billström, dass Schweden nun das feministische Label ablege, die Grundsätze der Politik jedoch beibehalten werde. Wenn in Betracht gezogen wird, dass Schweden 2023 um Aufnahme in das militärische Paktsystem der NATO ersuchte und dieses atlantische Bündnissystem offen über eine weltweite Ausweitung seines Aktionsradius nachdenkt, wird das feministische Element eher konterkariert.

Beim Nachdenken darüber, was denn nun das „feministische Element“ einer staatlichen Außenpolitik sei, geriet mir zufällig das Buch eines renommierten Unternehmensberaters in die Hand. Der Titel lautet „Das Arroganz-Prinzip“, Untertitel „So haben Frauen mehr Erfolg im Beruf“. Auf dem Buchrücken wird dem Autor attestiert: „Der Mann, dem mächtige Frauen vertrauen.“ Das ganze Buch behandelt Ratschläge, wie Frauen die Reaktionsmuster der Männer besser kopieren und verinnerlichen können. Kapitelüberschriften wie „Die Eroberung des Büros“, „Die Überlegenheit ohne Worte“, „Die als Mann verkleidete Frau“, „Die Zähne der Chefin“, „Die zehn Gebote der Arroganz“ kennzeichnen einen Ratgeber für Frauen im Haifischbecken des Kampfes um Rechte, Repräsentanz und mehr Ressourcen. Diese drei „R“ sind es, die laut Auswärtigem Amt die Leitlinien der „Feministischen Außenpolitik“ ausmachen. Die drei „R“, so betonte die Ministerin, sollen uns leiten.

Wenn aber diese drei „R“ auch durch machiavellistische Grundübungen zu erreichen sind, indem Frauen den Männern nacheifern, sie kopieren oder gar übertreffen, dann ist dem Frieden und einer Welt frei von Gewalt nicht geholfen. Im Gegenteil. Wenn Frauen befähigt werden, wie Männer zu handeln, sich als „weibliche Machiavellis“ zu positionieren, dann löst das keines der Probleme, die mit der Forderung nach einer „feministischen Außen- und Sicherheitspolitik“ intendiert werden. Der Kampf um knappe Ressourcen, um Rechte und Repräsentanz wird noch unerbittlicher und der Einsatz der Machtmittel entfernt sich noch mehr vom eigentlichen Zweck einer friedlichen und gewaltfreien Welt.

Was tun? Was komplett fehlt, sowohl in den Leitlinien als auch in der Mehrzahl der Papiere, die in einem „Call for papers“ vorab abgerufen wurden, ist ein viertes „R“, die Antwort auf die Frage nach einer grundsätzlichen Erneuerung der Regeln internationaler Konfliktlösungen. Nicht der „Dresscode“, dass „Terrain“, „Quoten“ oder die Sprache werden die entscheidenden Veränderungen bringen, sondern der „Gamechanger“ werden andere Konfliktlösungsstrategien sein, andere Regeln.

Was sagt die Literatur dazu? Es gibt im Einzelnen keine einheitliche Auffassung, aber doch deutliche Mehrfachnennungen, wodurch sich weibliche Kompetenz tendenziell auszeichnet. Ohne Rangfolge werden folgende Fähigkeiten immer wieder genannt:
Erstens ist die Fähigkeit, unterschiedlichen Subjekten gleiche Rechte zuzubilligen, eine herausgehobene weibliche Eigenschaft. Fairness und Reziprozität müssen in der Evolution wie ein mächtiges Sicherungssystem im unbekannten Terrain gewirkt haben. Die feministische Forderung nach Gleichberechtigung wurde gelebt. In der Politik ist das die Ausnahme. Das „Recht des Stärkeren“ konterkariert Gleichberechtigung. US-amerikanische Politik basiert auf diesem exzeptionalistischen Ansatz, wonach dem „Auserwählten“ etwas gestattet sei, was alle anderen eben nicht dürfen. Wenn deutsche Außenpolitikerinnen wie Ursula von der Leyen China belehren möchten, wie die Volksrepublik „Wirtschaftsförderung“ ihrer Elektroautos zu betreiben habe, und das angesichts der 5000 Förderprogramme, die es allein in Deutschland gibt, dann ist das eher ein Pochen auf „maskuline“, das heißt asymmetrische Rechte des vermeintlich Stärkeren. Hier war deutsche Außenpolitik schon einmal femininer. Altkanzler Helmut Schmidt stellte im Zusammenhang zur Politik gegenüber der VR China bereits vor Jahren lakonisch fest, dass man die Grundsätze der Marktwirtschaft und die Vorzüge des Wettbewerbs nicht nur so lange anerkennen dürfe, wie einem diese zum Vorteil gereichen.

Zweitens zählt die Fähigkeit, sich in die Lage eines anderen zu versetzen, ohne Zweifel zu den Stärken der weiblichen Psyche. Empathie ist eine elementare Voraussetzung, um ausgleichend und vermittelnd wirken zu können. Jedes zweiwertige Denken in „Gut“ und „Böse“ fördert konfrontatives Verhalten und schließt Kompromisse aus. Deutsche Außenpolitik hat sowohl im Ukraine-Konflikt als auch im Gazastreifen kläglich versagt. Im Nahen Osten bedurfte es erst des US-amerikanischen Außenministers Antony Blinken, dass auf das Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung verwiesen wurde. Im Ukraine-Konflikt gab es internationale Bemühungen um Vermittlung, an denen jedoch keiner der Staaten beteiligt war, die sich offiziell zu einer feministischen Außenpolitik bekannt haben. Allein das stimmt eher nachdenklich als optimistisch.

Drittens spielt das Vertrauen in der internationalen Politik eine entscheidende Rolle. Vertrauen ist eine Art „Vorschuss“ auf zukünftige Entwicklungen. Häufig sind nur so Blockaden aufzulösen. Vertrauen entsteht nur, wenn ein Minimum an Respekt gezollt wird. Wird der Verhandlungspartner von vornherein diskriminiert, dann sind gleichberechtigte Gespräche so gut wie ausgeschlossen. Wenn ein Verhandlungspartner, der von der Mehrheit der Weltgemeinschaft geachtet wird, als Diktator diffamiert wird, dann ist dies eher einem mittelalterlichen Ausgrenzungsritual geschuldet als einem Markenzeichen für Female-Foreign-Policy (FFP).

Viertens ist auch die Suche nach Gemeinsamkeiten und weniger das Benennen von Trennendem ein Markenzeichen von Weiblichkeit. Jede Gemeinschaft, angefangen von der kleinen Zelle einer Familie, bedarf der Anerkennung von Gemeinsamkeiten. Interessant ist, dass die Volksrepublik China die atlantische Losung von „strategischer Partnerschaft und gleichzeitiger systemischer Rivalität“ ablehnt. Verfechter einer feministischen Außenpolitik dürften sich nicht darüber wundern, dass auf die Drohgebärde einer „systemischen Rivalität“ nicht mit Wohlgefallen reagiert wird. Es sei denn, die Absicht besteht in Einschüchterung. Aber das ist wohl eher nicht typisch für weibliche Konfliktlösung.
Fazit: Wir waren mit Walter Rathenau und seinem Rapallo-Vertrag vor 100 Jahren und der Bilanz der deutschen Ostverträge vor rund 50 Jahren mit Hans-Dietrich Genscher schon einmal weit näher an einer feministischen Außenpolitik als heute. Das gilt zumindest für das vierte „R“.