Für Zhang Xueliang, den rebellierenden Marschall, endete der „Xi’an-Zwischenfall“ mit einer Verurteilung durch die Guomindang und einem bis 1990 andauernden, ab 1949 auf der Insel Taiwan abgesessenen Hausarrest. Er ging 1990 nach Haiwaii, wo er 2001 hundertjährig verstarb. General Yang Hucheng wurde 1949 in Nanjing durch die Guomindang hingerichtet. Jiang Jieshi hat beiden Männern ihre Tat, die sich für den antijapanischen Widerstand am Ende als so unerhört bedeutsam erweisen sollte, nicht verziehen.
In der faschistischen deutschen Presse sorgten die Xi’an-Ereignisse für eine gewisse Verunsicherung. Wie würde es weitergehen mit China? Die Sächsische Volkszeitung war am 30. Dezember 1936 einerseits davon überzeugt, dass „Tschangsueliang [Zhang Xueliang] bzw. seine Hintermänner“ das mit der Gefangennahme Jiang Jieshis beabsichtigte „politische Ziel nicht erreicht“ hätten. Weder sei es zum „Bruch mit Japan“ gekommen noch zur „politischen Entmachtung des Generalissimus“, und das sei wichtig, denn es habe ja doch die „Vermutung“ gegeben, dass „hinter dem Handstreich Tschangsueliangs Moskau stände [sic]“, und „Moskau“ verfüge erstens „in der Person des roten chinesischen Generals Mao in der Provinz Kansu [Gansu]“ über „einen eifrigen Parteigänger“ und habe zweitens am „offenen Bruch zwischen Nanking [Nanjing] und Tokio seit langem mehr als ein platonisches Interesse“. Andererseits müsse Japan seinen Druck auf China wohl „mildern“, denn „die Verhandlungen in Sianfu [Xi’an]“ hätten gezeigt, wie „eng“ für Jiang Jieshi „die Grenzen des Nachgebens durch die Macht der Tatsachen und die Stimmung des nationalen China gezogen“ seien. Damit war die Interessenlage Nazi-Deutschlands durchaus getroffen: Den Antikominternpakt, den es am 25. November 1936 mit Japan abgeschlossen hatte (und der im Artikel ungenannt blieb), wollte es nicht als anti-nationalchinesisch, sondern ausschließlich antikommunistisch verstanden wissen. Man wünschte, dass die „Spannungen zwischen den beiden ihm befreundeten Ländern“ (also China und Japan) einer „Lösung von Dauer“ zugeführt würden, und vertraue dabei „auf die Stabilität“ der von Jiang Jieshi geführten Regierung. Sei diese gefährdet, würde „vor allem die Komintern ein dankbares Feld ihrer Unterminierungsarbeit finden“.
In diese Kerbe des Antikominternkurses schlug am 4. Januar 1937 mit einer Vehemenz, die erstens die ganze Welt in den Blick nahm und zweitens Mao Zedong als Inkarnation des „kommunistischen Bösen“ etablierte, im Führer. Hauptorgan der NSDAP Gau Baden ein Autor „K. aus Shanghai“. Die Freilassung Jiang Jieshis dürfe „über die Tatsache, daß der Aufstand von Schensi [Shaanxi]“ – gemeint ist der „Xi’an-Zwischenfall“ (Xi’an ist die Provinzhauptstadt von Shaanxi) – „von Moskau planmäßig herbeigeführt war, nicht hinwegtäuschen“. Die „unterirdische Arbeit der Kominternagenten in China“ sei „wieder stark fühlbar geworden“; „durch die Mongolei“ seien „immer wieder Agenten der Komintern in die Provinzen Shansi [Shanxi] und Schensi [Shaanxi] gekommen, wo sie unter stillschweigender Unterstützung Maos ihre verhetzende Arbeit verrichten, mit dem Zwecke, China gegen Japan aufzuwiegeln.“
„In Schensi [Shaanxi]“, schrieb K. weiter, seien „wie nirgends“ sonst „die Voraussetzungen für den Bolschewismus gegeben“, und das genau sei ja der Zweck der Reise Jiang Jieshis im Dezember 1936 nach Xi‘an (wo er dann verhaftet wurde) gewesen: die „vollständige Unterdrückung“ der dortigen „moskowitischen Revolutionsversuche“. Es befinde sich in Schensi „eine bekannte Hochschule“, deren Studenten sich „durch die unermüdliche Arbeit der Moskauer Agenten leicht beeinflussen“ ließen, und so habe „Moskau“ geplant, „den Boden in Schensi so zu revolutionieren, daß nachher der General Mao mit Begeisterung von den Schensitruppen und Studenten aufgenommen würde.“ Damit aber nicht genug: Angesichts einer „zunehmenden Revolutionierung von französisch Tonkingchina“ (gemeint ist das kolonialisierte Vietnam) wachse „die Gefahr“ von Angriffen auf Nationalchina auch von Süden her, und daher sei es „von größter Wichtigkeit, daß der Kampf gegen Moskau in China mit eiserner Energie geführt“ werde. „Wenn Europa“, so schloss K. seinen Text, „noch nicht durch den Brand in Spanien weit genug die Augen geöffnet wurden“, so müsste das „erste Aufflammen der bolschewistischen Fackel in China“, wie es sich mit dem „Aufstand in Schensi“ gezeigt habe, „nun bald Lehrmeister der Gefahren sein, die der ganzen Welt von Moskau drohen“.
Dass K. durchgängig von „Schensi [Shaanxi]“ schrieb, lässt ahnen, dass er vom tatsächlichen Sowjetgebiet in der Grenzregion der Provinzen Shaanxi, Gansu und Ningxia, wie es im Ergebnis des „Langen Marsches“ ohne Einschluss der Provinzhauptstadt Xi’an entstanden war, keine Kenntnis hatte. Aber auch wohlwollende Beobachter wussten diesbezüglich nichts Genaues – wie etwa jener Donald B. Hawkes, der am 21. Dezember 1936 den Leserinnen und Lesern der deutschen antifaschistischen Exilzeitung Pariser Tageszeitung/Quotidien de Paris die Erstaunlichkeit mitzuteilen hatte, dass man „in Europa“ zwar durchaus schon von „größeren kommunistischen Truppenverbänden“ in China gehört habe, „von der Existenz einer richtigen Sowjetregierung […] allerdings noch kaum.“ Dennoch sei diese vorhanden, und sie sei „sogar unendlich viel stärker, als es die chinesische Regierungspresse je hat wahrhaben wollen“. Ihre genaue Verortung schuldig bleibend, wusste Hawkes doch zu berichten, dass diese „kommunistische Gebietsregierung“ von einem Mann namens Mao Tse Tung [Mao Zedong] geführt würde, politisch „vollständig antijapanisch“ eingestellt sei, Gebiete „über viermal so groß wie Großbritannien“ zu kontrollieren behaupte, weiter sich rühmte, „die 19. Marscharmee Tschang Kai Scheks [Jiang Jieshis] kommunistisch vollständig unterminiert zu haben, so dass sie als aktiver Faktor gegen die chinesische Rote Armee nicht mehr in Betracht komme“, und schließlich „bei der Nankinger [Nanjinger] Nationalregierung schon längst ihre Bereitwilligkeit für den Fall eines Krieges gegen Japan angemeldet“ habe.
Wird fortgesetzt.
Schlagwörter: Antikominternpakt, China, Japan, Jiang Jieshi, Mao Zedong, Wolfram Adolphi