Mehr als drei Jahrzehnte standen sie im schriftlichen Gedankenaustausch: Stefan Zweig und Felix Salten. Marcel Atze und Arturo Larcati haben die 81 erhaltenen Briefe, die die beiden Autoren zwischen 1903 und 1939 gewechselt haben, jetzt in einer mustergültigen Edition vorgelegt. Hervorzuheben ist die umfangreiche Kommentierung, die den Briefwechsel nicht nur im Kontext des damaligen Literatur- und Kulturbetriebes verortet, sondern vor allem auf das zeithistorische und politische Umfeld eingeht.
Mit gegenseitiger Sympathie, davon zeugen ihre Schreiben, verfolgten die Briefpartner das jeweilige literarische Vorankommen des anderen. Salten, zwölf Jahre älter als Zweig, galt schon früh als der „Starjournalist“. Daneben veröffentlichte er Erzählungen und Essays, zudem versuchte er sich als Librettist und Drehbuchautor. Doch erst mit seiner 1922 veröffentlichten Tiergeschichte „Bambi“ – 20 Jahre später von Walt Disney in Szene gesetzt – sollte er einen Welterfolg landen. Zweig betrat 1901 mit dem Gedichtband „Silberne Saiten“ die literarische Bühne. Es folgten Novellen und Theaterstücke, er übersetzte Werke von Baudelaire, Verlaine sowie Verhaeren, und er arbeitete eng mit dem Verleger Anton Kippenberg (siehe Blättchen 8/22) zusammen. Zu den bekanntesten Büchern gehören ohne Zweifel bis heute seine zahlreichen biographischen Arbeiten.
Die sicherlich interessanteste und nicht unbedingt nur als historisch abzutuende Diskussion zwischen den beiden erwuchs aus der Veröffentlichung von Zweigs Essay „Die Monotonisierung der Welt“ in der Wiener Neuen Freie Presse vom 31. Januar 1925. Mit Anklängen an Walter Rathenaus „Mechanik des Geistes“ und an Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ hatte er darin erklärt: „Alles wird gleichförmiger in den äußeren Lebensformen, alles nivelliert sich auf ein einheitliches kulturelles Schema.“ Dieses aus Amerika überschwappende „Phänomen unserer Zeit“ sei, so Zweig, eine Gefahr für die kulturelle Vielfalt in Europa. Acht Tage später reagierte Salten auf Zweigs „Trauerrede“. Bereits die als Frage formulierte Überschrift seiner Entgegnung machte seinen Standpunkt klar: „Monotonisierung der Welt?“ Mitnichten. „Niemals vorher ist diese Welt vielgestaltiger, niemals bunter, reicher, großartiger gewesen, als eben jetzt“, schrieb Salten. In einem unmittelbar darauf abgesandten Brief bedankte sich Zweig bei Salten. Sah er es doch als äußerst erfreulich an, „dass Sie mein (nur andeutender) Aufsatz zu einer Discussion angeregt hat und wenn sich auch unsere Meinungen recht antipodisch gegenüberstehen, so verlebendigt eine Discussion doch immer das Thema“.
Die Debatte zwischen Stefan Zweig und Felix Salten (die beiden Texte sind im Übrigen neben anderen Dokumenten vollständig im Anhang des Buches abgedruckt) traf offenbar einen Nerv. Am 25. März 1925, sechs Wochen nach der Veröffentlichung von Saltens Artikel, meldete sich Ann Tizia Leitich, die USA-Korrespondentin der Neuen Freien Presse, zu Wort. Zweig sah sich durch die von ihr vorgebrachten Argumente in seiner Auffassung bestätigt und dankte ihr mit den Worten: „Sie sagen im Grunde das, was ich selbst so sehr empfinde, – dass Amerika stark seinen Weg ins Neue geht, während wir hier in Europa unser Altes nicht bewahren, das Neue nicht verdauen können.“
Im Mai 1939 brach die Korrespondenz zwischen Zweig und Salten ab. Beide hatten zu diesem Zeitpunkt Österreich bereits verlassen, der eine lebte in Großbritannien, der andere in der Schweiz.
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Insgesamt neun Texte von Stefan Zweig aus den Jahren 1940 bis 1942, zwei davon bisher unveröffentlicht, versammelt das jüngst von Volker Michels herausgegebene Insel-Bändchen „Die Kunst, ohne Sorgen zu leben“. Ausgehend von alltäglichen, zumeist von ihm selbst erlebten Begebenheiten thematisiert Zweig in diesen Miniaturen zeitlos gültige Muster menschlichen Erkennens und sozialer Verhaltensweisen.
So stellt er uns in der titelgebenden Geschichte Anton vor. Einen Mann, der ihm „zwei der schwersten Dinge auf Erden gezeigt“ hat: zum einen „wie man durch innere Souveränität sich der stärksten Macht dieser Erde, dem Geld, entziehen kann“ und zum anderen „wie man mitten unter Menschen zu leben vermag, ohne einen einzigen Feind zu haben“. Wenn sich Zweig in späteren Jahren Sorgen um seine Einkünfte machte, dachte er oft an Anton, „der ruhig und vertrauensvoll in den Tag lebte, weil er nicht mehr wollte als genug für diesen einzigen Tag“. Eine ähnliche Einsicht, die Bedeutung des Geldes betreffend, brachte die Zeit der Inflation mit sich. Im Rückblick auf diese Jahre erkannte Zweig: „Unsere wirkliche Sicherheit liegt nicht in dem, was wir besitzen, sondern in dem, was wir sind und was wir aus uns machen.“
Letzteres funktioniert allerding nur im Wechselspiel mit der Geschichte, die uns so manches Mal zu überrollen scheint. Ganz aktuell liest sich in diesem Zusammenhang der im Februar 1941 entstandene Text „Die Angler an der Seine“. Die von Zweig eingangs gestellte Frage lautete: „Haben wir die Kraft, steht uns genug teilnehmendes Gefühl zu Gebot, um Tag für Tag, Stunde für Stunde mit aufgetaner Seele allen diesen sich überstürzenden Geschehnissen zu folgen?“ Und er antwortete – aus wissenschaftlicher Sicht zwar korrekt, jedoch völlig unbefriedigend, was ein notwendiges zukünftiges Handeln betrifft: „Aber wir alle unterliegen gleichzeitig einem höheren Gesetz der Natur, das in weiser Ökonomie die Fähigkeit unserer Anteilnahme begrenzt.“
Mag dieser letzte Satz auch entmutigend und hilflos klingen, Zweigs Texte waren und sind es nicht. Sie sind durchdrungen von der Kraft des Weitermachens und Widerstehens. Oftmals – und daran erinnert uns Zweig immer wieder – reicht schon das rechte Wort zur rechten Zeit.
Felix Salten – Stefan Zweig: „Ihre Briefe bewahre ich alle“. Die Korrespondenz von 1903 bis 1939, hrsg. von Marcel Atze und Arturo Larcati, Wallstein Verlag, Göttingen 2023, 272 Seiten, 30,00 Euro.
Stefan Zweig: Die Kunst, ohne Sorgen zu leben – Letzte Aufzeichnungen und Aufrufe, Insel Verlag (Insel-Bücherei 1524), Berlin 2023, 80 Seiten, 14,00 Euro.
Schlagwörter: Briefwechsel, Felix Salten, Mathias Iven, Stefan Zweig