Im Juni 1902 erreichte den Leipziger Insel Verlag eine Postkarte mit folgendem Inhalt: „Sehr geehrter Herr, ich möchte bitten, mir das in Ihrem Verlage erschienene Buch von Rudolf Kassner: ,Der Tod und die Maske‘ zur baldigen Recension in der ,Neuen Hamburger Zeitung‘ frdl. übersenden zu wollen. Wollten Sie mir in Hinkunft auch Ihre sonstigen Erscheinungen zustellen, so verpflichte ich mich gern, sie in hervorragenden Tageszeitungen, für die ich arbeite, zu besprechen.“ Unterzeichnet war das Schreiben von einem gewissen Stefan Zweig.
Der damals noch unbekannte Autor, der sich seit Anfang April 1902 in Berlin aufhielt, um dort sein in Wien begonnenes Studium fortzusetzen, hatte im Jahr zuvor seinen ersten Gedichtband veröffentlicht. Daneben schrieb er für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften Besprechungen und bemühte sich um Kontakte zu deutschen Verlagen. Was die eingangs von ihm avisierte Rezension betraf, so hielt er Wort. Zusammen mit weiteren Besprechungen Zweigs erschien sie am 5. Juli 1902 unter dem Autorenkürzel „st. z–g.“ in der Abendausgabe der Neuen Hamburger Zeitung.
Stefan Zweig war Zeit seines Lebens ein „präziser Beobachter der Verlagslandschaft“. Nur wenige Monate nach der Übernahme des Insel Verlages durch Anton Kippenberg unterbreitete er diesem im Dezember 1905 einen ersten Vorschlag für eine künftige Zusammenarbeit: „So will ich einen alten Plan von mir Ihnen heute vorlegen und ich glaube, er wird Ihre Zustimmung finden. Es handelt sich um Dantes Vita nuova“. Zweig hatte die Absicht, „für Deutschland eine Nachdichtung des ,Neuen Lebens‘ zu schaffen“. Zwar verlief dieses Projekt im Sande, doch in den kommenden Jahren – durchaus immer wieder ermuntert von Kippenberg – lieferte Zweig eine stetige Folge von Vorschlägen für neue Autorinnen und Autoren, Bücher sowie ganze Reihen oder Gesamtausgaben. So wurde beispielsweise in den Jahren 1910 bis 1913 eine mit einem Vorwort Zweigs eingeleitete und von ihm betreute 12-bändige Dickens-Ausgabe realisiert. Zweig kümmerte sich auch um passende Übersetzer für die von ihm vorgeschlagenen Titel. Im Fall von Emile Verhaeren, für Zweig „zweifellos der grösste lebende Dichter“, von dem er selbst zahlreiche Gedichte, Dramen und Texte aus dem Französischen übertrug, musste er sich aber auch kritische Worte seines Verlegers wie diese gefallen lassen: „Ihre Übertragung von Verhaerens Rubens hat wohl, durch die Eile, mit der sie vor ihrer Abreise gemacht werden musste, unter einem unglücklichen Stern gestanden.“
Die wohl bekannteste Reihe des Verlages ist die bis heute erscheinende, mittlerweile mehr als 1500 Titel umfassende Insel-Bücherei. Geboren wurde die Idee während eines gemeinsamen Treffens von Zweig und Kippenberg in Leipzig im November 1909. Zweig war begeistert von dem „grossen und entscheidenden Plan der Flugschriften zu 20 Pfg.“ und er sah „Material genug auf Jahre hinaus, sie jeden Monat erscheinen zu lassen“. Sogleich lieferte er entsprechende Vorschläge, doch erst einmal tat sich nichts. Am 3. Januar 1912 fragte er bei Kippenberg an: „Was ist mit den Inselblättern? Ich fürchte beinahe, der schöne Plan ist zunichte geworden.“ Woraufhin ihn dieser umgehend beruhigte: „Nein, Sie irren, der Plan der Insel-Hefte ist nicht zunichte geworden! Im Gegenteil, er ist mitten in der Verwirklichung.“ Im Anhang seines Briefes fand sich das vorläufige Programm für die ersten 20 Hefte, das Zweig seinerseits noch in derselben Woche umfangreich kommentierte. Am 2. Juli 1912 war es soweit: Die ersten zwölf Insel-Bändchen kamen in die Buchhandlungen. Als Nr. 1 erschien – von Zweig vorgeschlagen – Rainer Maria Rilkes bereits 1899 entstandene Prosadichtung Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke.
Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges änderte sich der Charakter der Korrespondenz, die Planung neuer Werke trat fast vollständig in den Hintergrund. Am 30. Juli 1914 verkündete Zweig: „Bücher müssen jetzt jedes anständigen Menschen letzte Sorge sein und ich werde da nicht eine so unruhige Zeit mit meinen belästigen“. Ein paar Tage danach teilte er Kippenberg mit, dass er seine letztwilligen Verfügungen getroffen habe. Mit Blick auf die langjährige Zusammenarbeit und die „stets freundschaftlichen Beziehungen“ wünschte er sich von ihm, „im Falle, dass mir etwas passiert, aus meinen Büchern bei Ihnen und Verschiedentlichem noch Unveröffentlichten eine ausgewählte Gesamtausgabe billig zu veranstalten“.
Zwischen Stefan Zweigs erster Publikation im Insel Verlag, dem Gedichtband Die frühen Kränze, und seinem letzten von Kippenberg verlegten Buch Marie Antoinette. Bildnis eines mittleren Charakters liegen nicht nur fast drei Jahrzehnte eines schöpferischen Zusammengehens. Mehr als drei Dutzend eigene und von Zweig herausgegebene Werke haben das Programm des Verlages in dieser Zeit bereichert. Am 29. Februar 1936 wandte sich Zweig an Richard Köhler, den Prokuristen und Leiter der Buchhaltung des Insel Verlages. In seinem Schreiben ging es um die Lösung aller noch bestehenden vertraglichen Verbindungen. Durch die tags darauf veröffentliche Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums, die alle Bücher verzeichnete, die im Deutschen Reich nicht mehr gehandelt werden durften – darunter sämtliche Schriften von Zweig, wurde es dem Verlag unmöglich gemacht, zukünftig seinen Vertriebsverpflichtungen nachzukommen. Aus Vorsicht und Rücksichtnahme wurden in den folgenden Monaten nur noch einige wenige Briefe gewechselt. Gegenüber seinem Londoner Anwalt erklärte sich Zweig: „Obwohl ich sehr freundschaftlich persönlich mit Professor Kippenberg vom Inselverlag stehe, vermeiden wir, gerade weil er nicht Parteimitglied ist, sorgsam alle Korrespondenzen“.
Nach der Veröffentlichung von Kippenbergs Briefwechsel mit Hugo von Hofmannsthal (1985) und Rainer Maria Rilke (1995) liegt jetzt ein weiterer Band vor, der sich der Historie eines der renommiertesten Verlage Deutschlands widmet. Die beiden Herausgeber, der Zweig-Biograph Oliver Matuschek und der ehemalige Direktor des Stefan Zweig Centre Salzburg Klemens Renoldner, haben eine editorische Glanzleistung vollbracht. Mit den 574 von ihnen ausgewählten und kenntnisreich kommentierten Briefen wird ein wichtiges Kapitel deutscher Verlagsgeschichte zu einem berührenden Erlebnis.
Mehrmals wurde die Veröffentlichung dieses Bandes verschoben – doch das Warten hat sich gelohnt!
Anton Kippenberg – Stefan Zweig: Briefwechsel 1905 – 1937. Hrsg. und kommentiert von Oliver Matuschek unter Mitwirkung von Klemens Renoldner, Insel Verlag, Berlin 2021, 958 Seiten, 58,00 Euro.
Schlagwörter: Anton Kippenberg, Insel-Bücherei, Mathias Iven, Stefan Zweig