Sie ist wieder da – die OSTRALE in Dresden. Die Räume für diese Schau zeitgenössischer Kunst in der Stadt mit der ausgeprägten Vorliebe für die eher ältere sind ein Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Viele trauern dem Charme der alten Schlachtanlagen auf der Ostra-Halbinsel nach. Aber schon zum zweiten Mal findet diese Kunstschau in der noch nicht abgerissenen Robotron-Kantine statt, diesem „unsanierten Pavillonbau der Ostmoderne“ wie es so treffend heißt. Auch ein Baudenkmal, nur aus einer anderen, uns näher liegenden Epoche.
Das aktuelle Motto „kammer_flimmern“ ist für eine Kunst-Ausstellung so assoziationsoffen wie als Diagnose für Menschen alarmierend. Was den Zustand der Welt betrifft, gehört die Kunst noch immer zum menschlichen Frühwarnsystem oder versteht sich in den meisten Fällen selbst so.
Vor die Ausstellungsräume haben die Veranstalter einen Moment der Besinnung gesetzt. Der Weg führt durch einen stockdunklen Raum – eine Dunkelkammerouvertüre für ein Fest für die Sinne. Die Schau besticht mit bemerkenswerter Sinnlichkeit. Man kommt sogar ohne Englischwörterbuch und ausgedehnte Interpretationslektüre aus. Die Exponate haben genügend Raum, um sich zu entfalten, und in ihrer großen Mehrzahl auch die Qualität, um für sich selbst zu sprechen.
Gemeinsam mit OSTRALE-Chefin Andrea Hilger haben Lisa Uhlig und Anika Hofmann 350 Werke von 82 Künstlern aus 28 Ländern ausgewählt. Aus Anlass des 15-jährigen Bestehens der OSTRALE stammen mehr als die Hälfte der Werke von Künstlern, die in den letzten Jahren schon einmal in Dresden vertreten waren. Der Rest ist sind eingegangene Bewerbungen. Dem Niveau der Ausstellung haben diese Kontinuität und ihre quantitative Beschränkung jedenfalls nicht geschadet.
Auch nicht ihrer reflektierenden Zeitgenossenschaft. Vieles ist politisch aufgeladen, weicht aber nicht in ein plakatives Statement zum Tag aus. Man kann die Werke, so wie die Kuratoren es vorschlagen, Themen wie Andersräume, Überfluss und Mangel, Vereinzelung, Rückzug, Identität, körperliche, geistige und soziale Gesundheit, Bildung sowie Gewalt durch Mensch und Natur zuordnen. Man kann sich aber auch einfach von den Exponaten einfangen lassen. Vor allem von Bildern unterschiedlichster Formate und Macharten, die wohldosiert von Installationen und Videos ergänzt, aber nicht dominiert werden.
Das Staunen über die Weite des ersten Raumes sollte nicht davon abhalten, sich gleich zu Beginn das „Herbarium“ von Philipp Valenta näher anzuschauen. Was wie eine harmlose Sammlung von Blüten in kleinformatigen Rahmen wirkt, hat bei näherer Betrachtung eine doppelte Bedeutung. Es sind Blüten, die aus echten Banknoten ausgeschnitten wurden. Mit diesem dialektischen Witz, aus des Wortes doppelter Bedeutung und deren Verneinung im Kunstwerk, wird man darauf verwiesen, von nun an genauer hinzuschauen.
Etwa auf die blütenweiße 100 x 190-Zentimeter Leinwand von Sinisa Lordan – sieht man lange genug hin, wird langsam das Wort WAHRHEIT sichtbar. Und verschwindet wieder. Von der Wahrheit kriegerischer Gewalt wird man in einer separaten Kammer mit gegenüberliegenden Videobildschirmen eingeholt. Der Kroate Goran Skofic legt dort in seiner Arbeit „Shooting“ (2010) in aller Ruhe immer wieder ein Gewehr an und schießt. Langsam, mit einer unsichtbaren Waffe, als Pantomime. Auf dem Bildschirm genau gegenüber sieht man ihn auf ein Dutzend vervielfacht in einer Reihe stehen. Dort ist jeder Schuss ein Treffer und eines seiner Alter Egos fällt getroffen zu Boden. Die Realität, von der diese Bilder inspiriert sind, hat jeder im Kopf.
Burg-Absolvent Hartmut Kiewert hat mit dem großformatigen Ölbild „Brunnen“ auf originelle Weise seine in den letzten Jahren zelebrierte Vorliebe für Tiere in die Utopie einer Begegnung auf Augenhöhe mit der Menschenwelt überführt.
Beklemmend ist Ron Kuhwedes dystopische Fotografie „Oxygen“. Sie zeigt eine jungen Frau vor sterilem Hintergrund in weißer Kleidung, die Ihren Sauerstoff zum Atmen über eine Maske bezieht, deren Schlauch in einem sorgfältig verschlossenen Glasgefäß mit einer Grünpflanze endet.
Zu welch radikal gegensätzlichen Ergebnissen die Gestaltung der urbanen Wohnumwelt führen kann, machen zwei kleinen Installationen des Italieners Matteo Suffritti deutlich. Unter dem Titel „Host Cummunities #3“ ist das Modell eines vergoldeten Herrenhauses unter einer Plexiglasbox von lauter Hütten umgeben. Bei „The Dog House“ ist es eine kleine, vergoldete Hundehütte, die inmitten eines Innenhofes zwischen Hochhäusern recht verloren wirkt.
In der Mitte des Raumes zieht eine erhabene Frauenfigur in einem bunten Gewand die Blicke auf sich. Kommt man dieser „Salome“ von Sebastian Hertrich näher, stellt sich heraus, dass ihr Gewand aus lauter Computerplatinen besteht und ihr Kopf aus Plexiglas geformt ist …
Aber nicht nur der Gegensatz von Mensch und Technik wird thematisiert. Auch die innere Zerrissenheit des modernen Individuums. Bernd Hennig hat eine am Boden kauernde männliche Figur und eine identische zweite an der Wand durch ein rotes Geflecht miteinander verbunden. Bei dem einen formt sich daraus das Wort Hass und bei dem andere das Wort Liebe. Die Installation heißt: „Die Entscheidung“!
Es gibt viel zu entdecken in der Robotron-Kantine. Auch die Fotografien von Michael Wesely, in denen die vergehende Zeit selbst zum Bild wird. Seine drei Fotos kommen in ihrer malerischen Unschärfe dem Motto „kammer_flimmern“ vielleicht am nächsten. Aus dieser Ausstellung nimmt man neben nachhaltigen Eindrücken auch die Hoffnung mit, dass es Dresden gelingt, diesen Ort für die Kunst der Gegenwart für die Zukunft zu erhalten!
Schlagwörter: Dresden, Fotografie, Installation, Joachim Lange, Malerei, Ostrale