Außenministerin Annalena Baerbock weilte zu einem Kurztrip in Pretoria. Eigentlich sollten es turnusmäßige Konsultationen auf Außenministerebene sein, die für alle zwei Jahre vereinbart sind. Die wurden deutscherseits auf einen Tag eingedampft, weil man ein Außenministertreffen in Luxemburg für wichtiger hielt – dort hätte vielleicht ein Staatssekretär gereicht, man sieht sich in der EU-Runde ja ohnehin „alle Neese lang“, wie der Berliner sagt.
Gastgeberin Naledi Pandor hieß Baerbock dessen ungeachtet „sehr herzlich willkommen“ und lobte die „sehr wichtigen Beziehungen“ Südafrikas zu Deutschland. Also gibt es Bussi links und Bussi rechts. Zugleich bedauert Pandor, dass nun zu wenig Zeit sei, über das gemeinsame Ziel „einer feministischen Außenpolitik“ zu sprechen. Und sie verweist darauf, dass man sich in Sachen Corona über den Zugang zu Impfstoffen und Patenten zerstritten hatte; Deutschland konnte die wirtschaftlichen Folgen mit Milliarden Euro abfedern, während in Südafrika Handel und Tourismus einen deutlichen Rückgang verzeichnen mussten. Mit dem russischen Krieg in der Ukraine folgte die nächste Krise: Inflation, steigende Treibstoffpreise, Getreideknappheit.
Vor der Reise erklärte Baerbock, sie halte es „angesichts der dramatischen Entwicklungen in Russland gerade jetzt für besonders wichtig“, sich mit „unseren südafrikanischen Partnern zu treffen, um besser zu verstehen, wie sie die aktuelle globale Situation sehen“. Südafrika bezeichnete sie als „afrikanischen Meinungsführer“: „Wenn das Land von Nelson Mandela und Desmond Tutu seine Stimme gegen Ungerechtigkeit erhebt, hört die Welt zu. Deshalb möchte ich in Pretoria auch darüber sprechen, wie Südafrika sein Gewicht in die Waagschale werfen kann, um der russischen Aggression in der Ukraine ein Ende zu setzen und die Charta der Vereinten Nationen zu bewahren.“
Südafrika hat sich allerdings, trotz allen Drucks aus Washington, Brüssel und Berlin, wie Indien, Brasilien und viele andere Staaten des globalen Südens geweigert, Russland zu verurteilen. „Südafrika beansprucht für sich Neutralität“, so bewertete dies die Hamburger Zeit am 27. Juni, „fasst diese aber unverhohlen parteiisch auf, auch wenn Außenministerin Pandor nun neben Baerbock darauf beharrt, dass Südafrika in keinem Punkt die russische Seite unterstütze“. Am Ende wurde die südafrikanische Außenministerin nochmals zu dem Krieg befragt. Sie bekräftigte selbstbewusst, dass sich an den Positionen Südafrikas nichts geändert habe. Das Land wurde bei der Abstimmung im UNO-Sicherheitsrat kritisiert, doch es sei richtig gewesen, sich der Stimme zu enthalten. Südafrika sei nicht gefragt worden, die Alternative habe geheißen: „Take it or leave it“. Jetzt, nach der Reise der Friedensmission von Präsident Cyril Ramaphosa und anderen afrikanischen Staatsmännern zeige sich angesichts der neutralen Position: „Wir haben den Vorteil, dass wir in der Lage sind, zu Selenskij und zu Putin zu fahren.“
Um gute Stimmung zu machen, hatte Baerbock auf die Geschichte verwiesen. Die westdeutschen Regierungen hätten es viel zu lange versäumt, den Kampf gegen die Apartheid-Regierung zu unterstützen. „Westdeutschland stand nicht klar auf der richtigen Seite der Geschichte.“ Das sei aus heutiger Sicht „unverständlich, sehr unglaublich“. Das ist natürlich eine Verharmlosung. Die BRD stand klar auf der falschen Seite, jener der imperialistischen Unterdrückung. Selbst die konservative Welt nannte das am 28. Juni „den Exkurs zu einem eher unrühmlichen Kapitel deutscher Geschichte“. Ungeachtet des UN-Waffenembargos von 1977 hatte die BRD weiterhin Waffen nach Südafrika geliefert und deutsche Konzerne bauten den Handel noch bis Ende der 1980er Jahre aus. Baerbock resümierte noch in Südafrika: „Wir können unsere Vergangenheit nicht ändern. Wir können nur daraus lernen und die Verantwortung tragen, unsere Zukunft gemeinsam zu gestalten.“ Das besagt allerdings politisch nichts, es ist reine Symbolpolitik.
Das Problem taucht allerdings in anderer Gestalt wieder auf. So versucht Die Zeit das Festhalten Südafrikas an guter Zusammenarbeit mit Russland und im Rahmen der BRICS-Gruppe – Südafrika ist Gastgeber des diesjährigen Treffens, das für die Zeit vom 22. bis 24. August 2023 geplant ist – so zu erklären: „Die älteren Generationen des ANC halten an Loyalität zu Russland fest, weil Moskau einst den Kampf gegen das Apartheidregime unterstützte – im Gegensatz zu den USA und anderen westlichen Regierungen. Kader der Befreiungsbewegung ANC wurden in der Sowjetunion ausgebildet, der militärische Flügel des ANC konnte sich in sowjetischen Trainingslagern auf den Kampf vorbereiten. Auch Südafrikas Außenministerin ist von dieser Generation geprägt. Ihr Vater war ein Wegbegleiter von Nelson Mandela, leitete die Jugendbewegung des ANC und musste schließlich ins Exil fliehen. Tochter Naledi führte die Ideen des Vaters fort. Seit 1994 ist Pandor Abgeordnete für den ANC. Die einstige Verbundenheit ist noch immer spürbar.“
Anzumerken ist, die DDR hatte ebenfalls in Afrika Außenpolitik gemacht. Die war zunächst politisch-ideologisch determiniert und fußte auf dem in der deutschen Arbeiterbewegung tradierten Prinzip der Solidarität mit der nationalen Befreiungsbewegung, die als natürlicher Verbündeter der sozialistischen Staaten und der Arbeiterbewegung angesehen wurde, „Antiimperialismus“ und „antiimperialistische Solidarität“ waren daher „konstante Paradigmen ostdeutscher Afrikapolitik“ (Hans-Georg Schleicher). In den 1950er und 1960er Jahren war die DDR-Afrikapolitik der Hegemonialpolitik der Sowjetunion untergeordnet, auf die deutschlandpolitische Konkurrenz zur BRD fixiert und in den weltweiten Ost-West-Konflikt eingeordnet.
Nach der weltweiten diplomatischen Anerkennung der DDR Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre rückten in der DDR-Afrikapolitik jedoch zunehmend geopolitische, wirtschaftliche und eigene Sicherheitsinteressen in den Vordergrund. Die Afrikapolitik war zum Teil innerhalb des RGW und des Warschauer Vertrages abgestimmt, zugleich spielte die DDR gleichsam die zweite Rolle nach der Sowjetunion. Dabei stimmten die DDR-deutschen und die sowjetischen Interessen oftmals nicht überein, etwa im Verhältnis zu Mosambik und Angola, die nach dem Sturz der portugiesischen Kolonialherrschaft 1975 unabhängig wurden, zu Simbabwe, das nach dem Sturz einer weißen Minderheitsherrschaft 1980 seine Unabhängigkeit erlangte, und Äthiopien, wo 1974 nach dem Sturz des Kaisers ein sich sozialistisch verstehendes Militärregime errichtet wurde. Bei den „Weltfestspielen“ der Jugend und Studenten in Berlin 1973 waren die Jugendorganisationen der Befreiungsbewegungen aus Mosambik und Angola sowie insbesondere aus Simbabwe, Namibia und Südafrika – so der ANC – prominent vertreten.
Insofern gilt auch für die DDR, dass im Gegensatz zur BRD Kader der Befreiungsbewegung ANC ausgebildet wurden, nicht nur als politische Funktionäre, sondern auch durch Hochschulstudien in den verschiedensten Fachbereichen, Wirtschaft, Ingenieurwesen, Naturwissenschaft sowie in der beruflichen Bildung. Auch Kader des militärischen Flügels des ANC konnten sich in speziellen Trainingslagern, nicht weit von Berlin, auf den Kampf gegen das Apartheidregime vorbereiten. Die DDR hat das Ende des Apartheidregimes nicht mehr erlebt. Aber sie hatte aktiv dazu beigetragen.
Wenn die Außenpolitik des heutigen Deutschlands sich nicht nur als Fortsetzung der BRD unter anderen Umständen verstehen, sondern sich auch auf das Erbe der DDR beziehen würde, hätte Annalena Baerbock eine bessere Figur in Südafrika abgeben können. Aber das würde augenscheinlich nicht nur ihren eigenen politischen Horizont überschreiten, sondern auch den der heutigen „Politischen Klasse“ dieses Landes.
Schlagwörter: Annalena Baerbock, Außenpolitik, BRD, DDR, Erhard Crome, Südafrika