Die hohen Subventionen und staatlichen Aktivitäten, mit denen der Westen den technologischen Wettlauf mit dem – je nach Standpunkt – „staatskapitalistischen“ oder „kommunistischen“ China gewinnen will, und mit denen Klimakrise und Inflation bekämpft werden sollen, sind für manche Kommentatoren ein Zeichen des Abwendens vom Neoliberalismus. Aber auch die neoklassischen oder neoliberalen Wirtschaftstheorien, die Privateigentum, Marktmechanismus und Konkurrenz prinzipiell verteidigen, erachten staatliche Produktion und Subventionen in bestimmten Fällen als durchaus für notwendig. Gemäß ihrer Güterlehre könne bei sogenannten öffentlichen Gütern die Sicherung von Privateigentum nicht oder nur mit unzumutbaren Kosten gewährleistet werden. Die Gütereigenschaften ließen zudem die gleichzeitige Nutzung durch beliebig viele Nutzer zu. Extremes Beispiel eines solchen Gutes ist das Sonnenlicht; die Schildbürger, die versuchten, es in Säcke zu füllen und in ihr neues, ohne Fenster erbautes Rathaus zu schaffen, konnten ein Lied davon singen. Auch gebe es meritorische Güter, ihre Produktion würde nicht primäre von Individuen als von der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit als verdienstvoll angesehen; ihre Produktion müsse deshalb staatlich, im Auftrag und gegen Bezahlung des Staates oder privat, aber unter Androhung von Sanktionen erfolgen. Auch „nationale Sicherheit“ sei ein solches Gut.
Wenn also konservative Kreise, auch solche, die eigentlich auf neoliberalen Positionen stehen, heute die Einschränkung von Marktkräften und Subventionen in der Systemauseinandersetzung gegen Chinas Staatskapitalismus fordern, anerkennen sie zwar implizit, wie effizient das kommunistisch regierte China in diesem Wirtschafts- und Technologiekrieg agiert, aber sie befinden sich nicht unbedingt im Widerspruch zu ihrem Wertesystem und der Theorie, nach der die Marktwirtschaft des Westens die beste aller Welten sei. Und überhaupt: Mit solchen Spitzfindigkeiten halten sich Politiker, die „America first“, die Eindämmung des chinesischen Einflusses in der Weltwirtschaft oder „Technologiesouveränität“ der Europäischen Union fordern, gar nicht so sehr auf. Wir sind die „Guten“, die sind die „Bösen“. Punkt.
Im August vorigen Jahres unterschrieb US-Präsident Joe Biden den Inflation Reduction Act (IRA). Im Mittelpunkt der Diskussion hierzulande steht vor allem das darin enthaltene, bis 2032 reichende 370 Milliarden Dollar schwere Subventionspaket, das als Kampfansage im internationalen Wettbewerb verstanden wird. Es ist darauf gerichtet, den Klimaschutz zu forcieren und die Folgen der Inflation abzufedern, es enthält aber auch ein Sozialpaket. Es ist ein offenes Geheimnis, dass damit auf die chinesische Herausforderung auf den Gebieten der Klimaschutztechnologie und des technologischen Fortschritts überhaupt reagiert wird. In der hiesigen Berichterstattung wird völlig unterschlagen, dass es bei IRA nicht nur um Subventionen geht, sondern auch ein Steuerpaket enthalten ist, das einen doppelt so hohen Betrag – 737 Milliarden Dollar – an höheren Steuereinnahmen bringen soll. Für E-Autos und die Batterieherstellung soll es allerdings Steuererleichterungen und Zuschüsse geben. Schon überlegen eine Reihe von einschlägigen Unternehmen im europäischen Raum, ob man bei Verlegung von Produktion und Investitionen Richtung USA nicht einiges gewinnen könnte. Unverhohlen werden europäische Regierungen unter Druck gesetzt, günstigere Investitionsbedingungen zu schaffen. So soll und will zum Beispiel der Bund rund zwanzig Prozent der Investitionskosten für eine neue Chipfabrik von Infineon in Dresden bereitstellen. Der US-Konzern Intel will für die in Magdeburg geplante Chipfabrik nicht nur die vom Bund ursprünglich zugesagten 6,8 Milliarden, sondern 10 Milliarden Euro haben. E-Auto-Hersteller Tesla hat angesichts der US-Subventionen angekündigt, seine Erweiterungspläne für Brandenburg zu überdenken. Der schwedische Konzern Northvolt überlegt, die geplante Batteriefabrik nicht in Schleswig-Holstein, sondern in den USA zu bauen. Handelskrieg und Subventionswettlauf gibt es nicht nur zwischen den USA und China, sondern auch zwischen den Brüdern und Schwestern der „westlichen Wertegemeinschaft“.
Im Februar nun konterte die EU. Nach unbefriedigenden Gesprächen zwischen dem US-Präsidenten und der EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen im Dezember sowie im EU-USA-Handels- und Technologierat wurde ein Green Deal Industrial Plan for the Net-Zero Age mit einem Volumen von zusätzlichen 170 Milliarden Euro bis 2030 verkündet. Noch wird verhandelt und seine komplette Umsetzung ist keineswegs sicher, denn im Unterschied zu den USA, wo sich nur die beiden Kongressparteien einigen müssen, sitzen in der EU 27 Verhandlungspartner am Tisch. Glaubt man dem Titel des Plans, geht es vor allem um das Erreichen von Klimaneutralität. Im Text wird aber natürlich auch von der Stärkung der führenden Rolle Europas bei entsprechenden Technologien gesprochen und mit anklagendem Finger auf das Made-in-China-2025-Strategie gezeigt. Chinas Subventionsniveau soll, gemessen an der Wirtschaftsleistung, mindestens doppelt so hoch wie in der EU sein, was „unfair“ und „marktverzerrend“ sei und einer angemessenen Antwort bedürfe.
Was als Subvention gilt, wird eigentlich im Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen (SMCA, Agreement on Subsidies and Countervailing Measures) der Welthandelsorganisation WTO geregelt. Grob gesprochen umfassen sie staatliche Zahlungen ohne Gegenleistung an Unternehmen sowie Steuererleichterungen. Obwohl eine Definition vorliegt, gibt es keine sicheren internationale Vergleiche. Die meisten Länder halten sich bedeckt und nicht umsonst wird von einem „Subventionsdickicht“ gesprochen. Ob eine von der WTO akzeptierte oder verbotene Subvention vorliegt, ist regelmäßig Gegenstand von internationalen Streitigkeiten. Der Westen beklagt sich zwar regelmäßig über China, hat jedoch bislang keine Handhabe zu formellen Schritten bei der WTO gefunden. Zuletzt gab in Brüsseler Kreisen Forderungen, die USA mit ihrem IRA-Plan vor die entsprechenden WTO-Ausschüsse zu zitieren. Seit der EU-Reaktion ist das aber wohl vom Tisch. In Deutschland lagen die Subventionen zuletzt bei über 100 Milliarden Euro, mit etwa 2,5 Prozent der Wirtschaftsleistung eine durch die Corona-Krise bedingte außerordentliche Höhe.
In der wirtschaftlichen Systemauseinandersetzung mit China sehen sich die EU-Staaten zwar an der Seite der USA, aber dessen ungenierte America-first-Politik auch auf dem Gebiet der Subventionen und unter Missachtung europäischer Interessen wird durchaus kritisch wahrgenommen. Und die gegenüber China gerne hervorgeholten Attribute „unfair“, „marktverzerrend“ oder „aggressiv“ lassen sich mit gleichem Recht auch auf viele handelspolitischen Praktiken der USA und der Europäischen Union anwenden. Tatsächlich unfair ist es vor allem, den Entwicklungs- und Schwellenländern und den Ländern des Südens ganz allgemein ihre staatliche Stützung der Binnenwirtschaft vorzuwerfen. Jahrhundertelang wurden diese Länder ausgeblutet, in Bezug auf Lateinamerika schrieb Eduardo Galeano in seinem weltberühmten Buch von „offenen Adern“. Der Verzicht auf eine eigene Entwicklungspolitik unter Einschluss von Marktschutz und Subventionen würde die bis heute bestehenden Asymmetrie zwischen Nord und Süd erneut verstärken. Die Konzeption für eine selbstbestimmte, auf wirtschaftliches Aufholen gerichtete Politik wurde übrigens vor fast zweihundert Jahren durch den deutschen Ökonomen Friedrich List beschrieben und in den damals im Vergleich zu England wirtschaftlich zurückgeblieben deutschen Ländern und im Deutschen Reich selbstverständlich praktiziert.
Die technologische Vormachtstellung der Länder des Westens ist ohne den Staat, seine Ressourcen und seinen organisatorischen Einfluss nicht denkbar. Keine offizielle Subventionsstatistik spiegelt das wirkliche Ausmaß der Verquickung der Hochtechnologie-Konzerne mit staatlichen Institutionen vollständig wider. Der Informations- und Kommunikationssektor, der die Basis der heutigen industriellen Revolution bereitstellt, ist mitnichten ein Kind von, zugegeben teils genialen Tüftlern in den Garagen des Silicon Valley. Er ist vielmehr im Rahmen staatlicher, nicht zuletzt militärischer Programme mit direkten und querfinanzierten Subventionen vor allem der USA entwickelt worden. Der Zweite Weltkrieg, später der Kalte Krieg bildete den Anlass für gigantische Entwicklungs- und Subventionsprogramme, auf deren Welle dann auch die Pioniere der heutigen Internet-Technologien surfen konnten. Die Basis dafür bereitete in den USA die 1957 nach dem Sputnik-Schock gegründete Defense Advanced Research Agency DARPA. Der Anteil des Pentagon an der informationstechnologischen Grundlagenforschung betrug mindestens 50, in den 1980er Jahren sogar bis zu 90 Prozent. Trotz neoliberaler Propaganda ein bis heute mit gigantischen Steuermitteln geführter Technologiekrieg.
Welche Resultate der heutige Subventionswettlauf zwischen China, USA und den Staaten der EU zeitigen wird, ist im Einzelnen zwar offen, dass es aber nicht primär um das Klima geht, steht außer Frage. Es geht um Hegemonie auch auf technologischem Gebiet und die Sicherung der Grundpfeiler der jeweiligen Ordnung. Die Fragen nach Staat oder Markt, mehr oder weniger starker Aggressivität, ob fair oder unfair, sind dabei ziemlich belanglos.
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