Die „Münchner Sicherheitskonferenz“ vom 17. bis 19. Februar war die 59. in der offiziellen Zählung. Begründet wurde sie 1963 vor dem Hintergrund der Kuba-Krise und der Gefahr eines vernichtenden Atomkriegs als Veranstaltung zur „Wehrkunde“. Wert gelegt wurde von Anfang an auf die transatlantische Perspektive: An der ersten Tagung nahmen Henry Kissinger und Helmut Schmidt teil, an der zweiten 1964 Zbigniew Brzezinski und Franz Josef Strauß – sie hatten damals ihre große politische Karriere noch vor sich. Nach dem Kalten Krieg erfolgte die Umbenennung in „Sicherheitskonferenz“, ein Perspektivenwechsel. Es sollte um Sicherheit in der Welt gehen, nicht nur um westliche Selbstbetrachtung zur Kriegsführungsfähigkeit. Deshalb war auch Russland stets vertreten, 2007 redete dort Wladimir Putin.
Erstmals war 2023 das offizielle Russland nicht eingeladen, Iran ebenfalls nicht. Die diesjährige Konferenz wurde eine „Solidaritätskundgebung des Westens für die Ukraine“. Die Zeitschrift Focus fragte pointiert: „Woher kommen die Kampfpanzer? Was ist mit Kampfjets?“ Und merkte an, diese Münchner Sicherheitskonferenz hatte „etwas von Waffenbörse“.
So ist die Liste der institutionellen Partner und der Sponsoren interessant. Zu ersteren gehören der in Washington beheimatete Atlantic Council – eine Denkfabrik, die aus Sicht der USA den „Atlantismus“ fördern soll und „moderate Internationalisten“ (also globalstrategische Politiker) aus den beiden großen Parteien der USA vereinen soll – sowie sein deutsches Pendant, die Atlantikbrücke, der gegenwärtig der frühere SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel vorsteht. Weitere Partner waren die „Bill & Melinda Gates Foundation“, die BMW-Stiftung, der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), das Mercator-Institut für China-Studien (Merics), die norwegische ONS-Stiftung, die ihr Geld aus der Erdöl- und Gasförderung im Nordatlantik bezieht, die Robert-Bosch- und die Rockefeller-Stiftung, die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und andere.
Friedensaktivisten fallen unter den Sponsoren sofort der Rüstungskonzern Rheinmetall – der deutsche Panzerbauer der heiß diskutierten „Leoparden“ – und der US-amerikanische Loockheed-Martin-Konzern auf, der im Militärflugzeugbau und in der Raumfahrt sein Geld verdient. Darüber hinaus auch andere interessante Namen. Die schwedische SAAB – meist bekannt als Autohersteller – ist ebenfalls im Flugzeugbau- und Rüstungsbereich tätig. Auch Airbus hat eine beträchtliche Militärsparte. Dazu die US-amerikanische Firma Palantir, sie ging gerade durch die Medien, weil sie an Künstlicher Intelligenz arbeitet und der ukrainischen Armee digitale Tools zur Kriegsführung zur Verfügung stellt. Hauptsponsor ist auch AWS – Amazon Web Services, US-amerikanischer Cloud-Computing-Anbieter, der Amazon gehört; dessen Dienste sind ebenfalls militärisch nutzbar. In dieser Kollektion durfte George Soros nicht fehlen, seine Open Society Foundations sind auch ein Hauptsponsor.
Wolfgang Ischinger, der bis 2022 der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) vorstand, hatte zu dem Sponsoring erklärt: „Die Sicherheitskonferenz wird erfreulicherweise von einer Vielzahl von Institutionen, Behörden, Organisationen und Firmen finanziell oder in anderer Form unterstützt. Dabei achtet die MSC sorgfältig darauf, dass finanzielle Beiträge von Partnern jeweils unter zehn Prozent des Gesamtbudgets der MSC liegen, um die Unabhängigkeit der MSC auch für die Zukunft zu wahren und zu sichern.“ Das dürfte auf den Einzelfall zutreffen, Rheinmetall kann sich keinen Beschluss zu seinen Gunsten kaufen. Doch das Rudel der Sponsoren und der Pulk politischer Akteure finden sich durchaus im selben Geiste zusammen.
Kanzler Scholz und andere haben die Positionen der „Zeitenwende“ bekräftigt. Der ukrainische Präsident Selenski forderte weitere Waffen aus dem Westen. „Es gibt keine Alternative zu unserem Sieg.“ Er verglich den Krieg in der Ukraine mit der biblischen Geschichte von David und Goliath: „‚David‘ zu sein bedeutet, dass man gewinnen muss. Aber man braucht eine Schleuder.“ Das sollen die westlichen Waffen besorgen. Zuvor hatte sein Vizeregierungschef Olexander Kubrakow gefordert, der Westen solle auch Streumunition –Bomben und Raketen, die über dem Ziel explodieren und viele kleine Sprengkörper freisetzen – und Phosphor-Munition an die ukrainische Armee liefern; letztere kann bei Menschen schwerste Verbrennungen und Vergiftungen hervorrufen. Beide Waffen sind international geächtet. Insofern deuten die Forderungen der Ukraine nach immer mehr Waffenlieferungen des Westens, nun auch völkerrechtlich verbotenen, darauf hin, dass die Lage an den Fronten schwieriger wird. Eine Lieferung derartiger völkerrechtswidriger Waffen wurde allerdings von deutschen Politikern und sogar von NATO-Generalsekretär Stoltenberg zurückgewiesen. In der Ukraine findet – worauf kürzlich General Vad hinwies – derzeit „die achte Mobilisierungswelle“ statt, „auch die 60-Jährigen werden zu den Waffen gerufen“. Die täglichen Meldungen in den hiesigen Medien berichten dies geflissentlich nicht.
Die Medien gehören zu demselben Netzwerk wie die Sponsoren, die Politiker und die ihnen zuarbeitenden Intellektuellen. So verwies die Süddeutsche Zeitung darauf, dass Selenski im vergangenen Jahr mit Anzug und Schlips in München aufgetaucht war und jetzt in Olivgrün zugeschaltet wurde, als „Symbol für die Ukraine und die vielen Opfer des größten Angriffskrieges, den die Welt seit 1939 gesehen hat“. Der Autor, Stefan Kornelius, hat in der Schule wahrscheinlich nicht aufgepasst. Nach 1939 folgten noch der Überfall Deutschlands auf Frankreich 1940, der Überfall auf die Sowjetunion 1941, der Überfall Japans auf die USA und die westlichen Kolonien in Asien 1941/42, um nur im Kontext des Zweiten Weltkrieges zu bleiben. Die waren alle größer dimensioniert, als der russische Überfall auf die Ukraine. Fakten sind nicht mehr wichtig, Hauptsache die Gesinnungsmassage stimmt.
Die Münchner Veranstaltung war Ausdruck westlichen Zusammenrückens gegen Russland und zur Unterstützung der Ukraine. Der französische Präsident Macron meinte: „Jetzt ist nicht die Zeit für Dialog.“ Scholz erklärte, es sei „Schluss mit der Vernachlässigung der Bundeswehr“, Deutschland werde seine Militärausgaben „dauerhaft“ auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anheben. Verteidigungsminister Pistorius hatte gemeint, das werde nicht reichen. Die Welt zitierte einen General, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen wollte, es drehe sich alles darum, wieviel „Hard Power“ ein Land auf die Beine stelle. Es sei gut, über Entschlossenheit zur Abschreckung Russlands zu reden. „Aber am Ende braucht es Divisionen, die voll ausgerüstet ins Feld geführt werden können. Es geht um Kriegstauglichkeit.“ Da hätte Deutschland noch wenig zu bieten.
Die polnische Polityka freute sich, endlich habe sich die Sicherheitskonferenz mit ihren Kernaufgaben befasst: „Bezeichnend für die neue Rolle, in der sich der Westen nur langsam wiederfindet, war das Ausklammern von Trendthemen und Herausforderungen […]. Nicht viel über Klima, die Rolle der Medien, Bigtech und künstliche Intelligenz. Auch Diskussionen über Länder außerhalb der aktuellen Konfrontation des Westens mit Russland fanden nicht statt […]. Der Westen hat sich auf sich selbst konzentriert und auf seine Staaten und Institutionen, die EU nicht ausgenommen, im Bemühen, ‚Muskeln aufzubauen‘.“
Der italienische Corriere della Sera dagegen bedauerte, Russlands Angriff auf die Ukraine habe wenig Zeit für andere Themen gelassen: „Sicher, in München traf der chinesische Außenminister Wang Yi mit US-Außenminister Tony Blinken zusammen. Aber ihr Treffen fand eher am Rande statt und war im Grunde die Ausnahme, die die neue Regel bestätigte: Die Welt da draußen ist zunehmend zersplittert, und es ist notwendig, dass der Westen sich untereinander bespricht. […] Das Treffen hat uns jedoch wenig über das kommende Jahr gesagt. Wie lange der Krieg dauern und wie lange der Westen geeint bleiben wird, wie schnell wir in der Lage sein werden, die Kriegsanstrengungen der Ukraine zu unterstützen, um zu verhindern, dass sie unterliegt, und ob und welchen Platz Russland in Zukunft im europäischen Raum haben wird.“
Die Chemnitzer Freie Presse titelte schlicht und ergreifend: „Die Münchner ‚Kriegskonferenz‘“. Scholzens Satz: „Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen“, wird nunmehr dechiffriert als, die Ukraine müsse siegen. Um welchen Preis auch immer. Ein Plan für einen Verhandlungsfrieden, der kein Siegfrieden ist, wurde in München nicht entwickelt. Das war auch nicht die Absicht. 2023 war wieder Wehrkundetagung.
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