Die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges mühten sich nach 1945, durch Schaffung möglichst großer Einflusszonen in Europa starke Positionen für die Führung der Kämpfe zu gewinnen, die später Kalter Krieg heißen sollten. Die Auseinandersetzungen um Deutschland wurden mit der Währungsreform in den westlichen Besatzungszonen, der Blockade Westberlins (Juni 1948 – Mai 1949) durch die Sowjetunion und der Luftbrücke der Westalliierten, von der doppelten Staatsgründung 1949 bis zum Bau der Berliner Mauer 1961 offen geführt. Danach lagen die politisch-militärischen Grenzlinien in Europa realpolitisch fest. Gleichwohl bestand in deutschen Angelegenheiten eine Reihe von Konflikt- und Streitpunkten fort. Die Abkommen von Jalta und Potsdam 1945 hatten lediglich eine gemeinsame Besatzungsordnung der Vier Mächte fixiert, nicht aber internationale Bedingungen für eine deutsche Zweistaatlichkeit. Gegensätzliche Rechtsauffassungen und Interpretationen der Vereinbarungen führten immer wieder zu Konflikten, insbesondere in Bezug auf Westberlin.
Ende der 1960er Jahre führten die USA den Vietnam-Krieg, der ihrem internationalen Ansehen sichtbar schadete. Die Sowjetunion und andere Staaten des Warschauer Vertrages waren 1968 in der Tschechoslowakei einmarschiert, um Moskaus Vormundschaft zu gewährleisten. Das wiederum schadete deren Ansehen und führte zu weiteren Brüchen im sozialistischen Staatengefüge wie in der kommunistischen Weltbewegung. So waren die USA und die Sowjetunion daran interessiert, die deutschen Spannungen dauerhaft zu entschärfen, schon weil sie umfangreiche militärische, politische und wirtschaftliche Kräfte banden. In westorientierten zeitgeschichtlichen Texten wird bis heute behauptet, die Eröffnung der Entspannungsphase in Europa trotz des sowjetischen Einmarsches in Prag sei ein großes politisches Entgegenkommen gewesen. Das ist Unsinn. Beide Großmächte waren daran interessiert, sich bei ihren globalpolitischen Aktivitäten nicht immer wieder von der deutschen Frage ablenken zu lassen.
Nach der Bundestagswahl 1969 konnte in der BRD der Sozialdemokrat Willy Brandt mit der FDP eine Regierung bilden, die eine „Neue Ostpolitik“ eröffnete. Brandt hatte bereits als Regierender Bürgermeister von Berlin (West) Anfang der 60er Jahre Vereinbarungen mit der DDR getroffen, um den Besucherverkehr trotz Mauerbau zu erleichtern. Als Außenminister einer Großen Koalition mit der CDU/CSU (1966-69) war er jedoch an die Grenzen der unbeweglichen Deutschlandpolitik der Christdemokraten gestoßen, die er nun durchbrechen wollte.
Ergebnis war ein „Europäisches Vertragswerk“. Dazu gehörten die Verträge der Sowjetunion und Polens mit der BRD (1970), das Vierseitige Abkommen über Westberlin (1971), die Verträge zwischen der DDR und der Bundesrepublik sowie zwischen der Tschechoslowakei und der Bundesrepublik und schließlich die Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) 1975. So war der „Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland“ vom 21. Dezember 1972 – dessen Abschluss jetzt 50 Jahre zurückliegt – Teil eines größeren Ganzen.
Schlüsseldokument war der Vertrag zwischen der UdSSR und der BRD, der am 12. August 1970 in Moskau unterzeichnet wurde. Beide Seiten bekundeten ihren Willen, „die Normalisierung der Lage in Europa und die Entwicklung friedlicher Beziehungen zwischen allen europäischen Staaten zu fördern“ und „dabei von der in diesem Raum bestehenden wirklichen Lage“ auszugehen. Das schloss ein, „die territoriale Integrität aller Staaten in Europa in ihren heutigen Grenzen uneingeschränkt zu achten“ und „keine Gebietsansprüche gegen irgendjemand“ zu erheben. Explizit genannt wurden die Oder-Neiße-Linie, die Westgrenze Polens, sowie die Grenze zwischen BRD und DDR. Die Anerkennung beider hatte die BRD zuvor vehement verweigert. Verhandlungsführer für die BRD war Egon Bahr, engster Vertrauter Brandts. Vereinbart wurden ein direkter interner Kommunikationskanal zwischen Moskau und Bonn sowie „Absichtserklärungen“ als Anlage zum Vertrag. Die noch abzuschließenden Verträge der BRD mit der DDR, Polen und der Tschechoslowakei sollten „ein einheitliches Ganzes bilden“. Die BRD gab ihren früheren „Alleinvertretungsanspruch“ gegenüber der DDR auf und räumte ein, keiner der beiden deutschen Staaten könne gegenüber Drittstaaten für den anderen handeln. Die Sowjetunion erklärte sich bereit, die Aufnahme beider deutscher Staaten in die UNO zu unterstützen, die zuvor von ihr und den Westmächten wechselseitig blockiert wurde. Beide Seiten begrüßten ausdrücklich den Plan einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
Es folgten der Vertrag zwischen der Volksrepublik Polen und der BRD vom 7. Dezember 1970 sowie das Vierseitige Abkommen vom 3. September 1971. Darin hatten die UdSSR, Großbritannien, die USA und Frankreich die mit dem Status und dem Zugang von und nach Westberlin zusammenhängenden Fragen geregelt – und sich gegenseitig konzediert, dass ihre früheren Vereinbarungen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit davon nicht berührt würden. Der BRD wurde das Recht eingeräumt, Bürger Westberlins im Ausland konsularisch zu betreuen, aber festgestellt, die Westsektoren Berlins seien „so wie bisher kein Bestandteil“ der BRD und diese dürfe dort keine Hoheitsrechte ausüben.
Die drei deutschen Beteiligten – beide Regierungen und der Westberliner Senat – schlossen zur Untersetzung des Abkommens eine Reihe von Vereinbarungen, so zwischen DDR und BRD am 17. Dezember 1971 über den Transitverkehr, zwischen der DDR und dem Senat über Erleichterungen und Verbesserungen im Reise- und Besucherverkehr sowie über Enklaven und Gebietsaustausch. Auf dieser Grundlage trafen sich – wieder in dem Berliner Gebäude, in dem früher der Alliierte Kontrollrat getagt hatte – am 3. Juni 1972 die Außenminister der Vier Mächte. Sie stellten fest, dass die „zuständigen deutschen Behörden“ die erforderlichen Vereinbarungen getroffen hatten und setzten das Vierseitige Abkommen in Kraft. Streitfragen in Sachen Anwendung dieses Abkommens blieben weiterhin Sache der Vier Mächte.
Am 26. Mai 1972 unterzeichneten die DDR und die BRD einen Vertrag „über Fragen des Verkehrs“. Egon Bahr erklärte bei der Unterzeichnung, er habe eine dreifache Bedeutung: „Er schafft feste Rechtsgrundlagen für den Verkehr, er wird Verbesserungen für den Kontakt zwischen den Menschen mit sich bringen und er öffnet die Tür“ zu weiteren Vereinbarungen. Der Transitvertrag gehörte „in den übergeordneten Rahmen“ des Vierseitigen Abkommens, der Verkehrsvertrag dagegen war „Ergebnis des freien Entschlusses der Vertragspartner“.
Vor diesem Hintergrund wurde am 21. Dezember 1972 der „Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen“ geschlossen. DDR und BRD vereinbarten die Unverletzlichkeit ihrer Grenzen, Gewaltverzicht und „normale gutnachbarliche Beziehungen“ sowie, „dass keiner der beiden Staaten den anderen international vertreten“ könne. Es wurden Ständige Vertretungen eingerichtet „am Sitz der jeweiligen Regierung“. Die Regierung der BRD legte Wert auf diese Bezeichnung und ordnete die DDR-Vertretung in Bonn dem Kanzleramt zu, während die BRD-Vertretung in Berlin als „normale“ Botschaft behandelt wurde und dem Außenministerium zugeordnet wurde. Im Vergleich zum jahrzehntelangen Streit waren dies Petitessen.
Unterschiedliche Rechtspositionen zu Vermögensfragen wurden nicht geregelt – und kamen 1990 wieder auf den Tisch. Der Verhandlungsführer der DDR, Michael Kohl, gab zu Protokoll, die DDR gehe davon aus, „dass der Vertrag eine Regelung der Staatsangehörigkeitsfragen erleichtern wird“, während Bahr erklärte: „Staatsangehörigkeitsfragen sind durch den Vertrag nicht geregelt worden“. Das blieb so bis zum Ende der Zweistaatlichkeit.
Bereits am 9. November 1972 hatten die Vier Mächte erklärt, die Anträge beider deutscher Staaten auf UNO-Mitgliedschaft zu unterstützen. Am 18. September 1973 wurden die DDR als 133. und die BRD als 134. Staat in die UNO aufgenommen. Abgeschlossen wurde die Neugestaltung der Beziehungen der Warschauer Vertragsstaaten zur BRD mit dem Vertrag über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei und der BRD vom 11. Dezember 1973. Wie in der Warschauer-Pakt-Organisation verabredet, hatten Bulgarien und Ungarn mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur BRD gewartet, bis dieser unter Dach und Fach war; sie erfolgte am 20. und 21. Dezember 1973.
Mit der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte am 1. August 1975 in Helsinki wurde das Vertragswerk auf eine gesamteuropäische Grundlage gestellt. Hatten beide Seiten des Kalten Krieges in den 70er Jahren großen Wert darauf gelegt, sich mit der KSZE-Schlussakte das Konstrukt der zweiseitigen Verträge gesamteuropäisch sanktionieren zu lassen, wurde bei den Verhandlungen zur deutschen Vereinigung 1990 größter Wert darauf gelegt, dass dies Sache der Vier Sieger- beziehungsweise Besatzungsmächte und der deutschen Seite war – wie im Zusammenhang mit dem Vierseitigen Abkommen und dem deutschen UNO-Beitritt immer wieder betont.
Schlagwörter: BRD, DDR, deutsche Frage, Erhard Crome, kalter Krieg, KSZE, Vier Mächte