Mehr als zwei Jahre nach Beginn der Covid-19-Pandemie, deren vorläufiger Höhepunkt der Lockdown im Frühjahr 2020 war, und der nun bereits ein Jahr andauernden Inflation wird es Zeit, verteilungspolitisch Bilanz zu ziehen. Dies kann natürlich nur eine Zwischenbilanz sein, denn weder die Pandemie noch die Inflation sind derzeit beendet. Vielmehr werden beide im Herbst in eine neue Runde gehen und infolge des Krieges in der Ukraine und der zu erwartenden Rezession möglicherweise sogar eine Eskalation erfahren.
Was aber sind nun die verteilungspolitischen Folgen, die bisher aufgrund von Corona und Inflation zu konstatieren sind? Ist es so wie immer und sind auch diesmal die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer geworden? Ja, so ist es. Und das ist keine Überraschung. Schließlich leben wir in einer Hochburg des Kapitalismus, wo die ökonomische und soziale Polarisierung eine alltägliche Erfahrung ist. Schaut man jedoch genauer hin, so offenbaren sich Details, die verteilungspolitisch durchaus von Interesse sind. So ist die Liste der Leidtragenden und Verlierer im aktuellen Falle besonders lang, weil nicht nur Erwerbslose, Geringverdiener, Kleinstrentner und dauerhaft Transferleistungen Beziehende (Empfänger von Arbeitslosengeld II, Grundsicherung, Sozialgeld) in betroffen sind, sondern gleichermaßen Wohnungs- und Obdachlose, Migranten ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, Behinderte, Pflegebedürftige, Suchtkranke, Sexarbeiter, Bewohner von Gemeinschaftsunterkünften, Geflüchtete, Strafgefangene, Saison- und Werkvertragsarbeiter und andere Beschäftigte in prekären Verhältnissen. Sie alle sind spezifisch und doppelt von der Pandemie und der Inflation betroffen – sei es durch eine besonders schwerwiegende coronabedingte Isolation, durch den Wegfall ihrer Existenzgrundlage (Zeitungsverkauf, das Sammeln von Pfandflachen, die Ausübung von Nebenjobs), die überproportionale Verteuerung von Lebensmitteln, die Schließung von „Tafeln“ oder die Einrichtung von Sammellagern, die unter Kollektivquarantäne gestellt wurden, wie Christoph Butterwegge vermerkte. Hinzu kommen die Besitzer und Betreiber von Gaststätten, Herbergen, Geschäften und Läden, von Reiseunternehmen, Diskotheken, Clubs, Kinos, Theatern, Konzertsälen und anderen Kultureinrichtungen, die ganz oder teilweise schließen, zumindest aber finanzielle Einbußen hinnehmen mussten. Hart getroffen hat es auch die kontaktintensive Dienstleistungsbranche, wozu Friseure, Physiotherapien, Fußpfleger und Fitnessstudios gehören. Während Arbeitnehmer 2020/2021 im Durchschnitt nur einen minimalen Reallohnverlust von etwas mehr als einem Prozent hinnehmen mussten, verzeichneten einige der hier genannten Gruppen Einbußen in Höhe von 20 bis 50 Prozent ihrer üblichen Bezüge. Das wird für 2022 nicht wesentlich besser aussehen, nun aber infolge der zusätzlichen Teuerung vor allem von Energie auch andere Beschäftigtengruppen sowie Rentner und Transferempfänger stärker treffen.
Demgegenüber profitierten und profitieren nicht wenige Unternehmen – darunter alle DAX-Konzerne – von den pandemiebedingten Einschränkungen und der Inflation. Hauptgewinner mit zum Teil beträchtlichen Extraprofiten (neudeutsch: „Übergewinne“) sind der Versandhandel, die Lieferdienste, die Lebensmittel-Discounter, die Mineralölkonzerne, die Pharmaindustrie, die Drogeriemärkte und Apotheken, die Gesundheitswirtschaft, die Digitalwirtschaft und Plattformökonomie, die Autokonzerne, die Betreiber von Corona-Testzentren und andere mehr. Ihre Mehreinnahmen liegen nicht selten im Milliardenbereich und haben dazu geführt, dass sich die Zahl der Milliardäre und Multimillionäre in Deutschland und anderswo im betrachteten Zeitraum signifikant erhöht hat.
Während viele kleine Unternehmen und Handelsbetriebe schließen mussten, expandierten einige Großkonzerne und erhöhten sich die privaten Vermögen der Eigentümer beträchtlich. So zum Beispiel das Vermögen von Dieter Schwarz, dem Besitzer der Handelsketten Lidl und Kaufland, um 7,5 Milliarden auf jetzt 43,2 Milliarden Euro. Exorbitant hohe Vermögen besitzen – laut Forbes – auch Klaus-Michael Kühne (Kühne + Nagel, Logistik) mit 34,2 Milliarden Euro, Beate Heister & Karl Albrecht junior (Aldi Süd) mit nunmehr 33,7 Milliarden Euro, Susanne Klatten (BMW) mit 22,3 Milliarden Euro, Stefan Quandt (BMW) mit 19 Milliarden Euro, Reinhold Würth mit 17,4 und Theo Albrecht mit 17,2 Milliarden Euro (Aldi Nord).
Die Diskrepanz zwischen der Liste der Verlierer (sehr lang) und jener der Gewinner (ziemlich kurz) ist dem Prozess der zunehmenden Konzentration und Zentralisation des Kapitals geschuldet, ebenso aber auch dem erfolgreichen Lobbyismus der Kapitaleigner in der deutschen Politik und durch die Regierung, in welcher die FDP in dieser Hinsicht den Ton angibt. Dies zeigt sich auch in der Struktur der Finanzhilfen und Ausgleichszahlungen des Staates. So kamen Ausgleichszahlungen für infolge des Lockdowns 2020 entstandene Einnahmeverluste überwiegend Großunternehmen zugute, und das in Form von Zahlungen, Bürgschaften und Krediten in beinahe unbegrenzter Höhe, während Kleinunternehmen größtenteils nur einmalige finanzielle Zuschüsse zur Deckung ihrer Betriebskosten erhielten, die aber nicht zur Bestreitung des Lebensunterhalts der Betreiber verwendet werden durften. Dies hat vielen von ihnen zwar die wirtschaftliche Existenz gerettet, kaum aber zur Aufrechterhaltung ihres Lebensniveaus beigetragen.
Ähnlich verhält es sich mit den für den Herbst 2022 ins Auge gefassten finanziellen Entlastungszahlungen des Staates an die privaten Haushalte zum Ausgleich für die Mehrbelastungen durch die Teuerung bei Energie und Lebensmitteln. Forscher des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) haben ausgerechnet, dass die Mehrbelastung dadurch nur bei Personen mit Grundsicherung zu rund 90 Prozent ausgeglichen wird. Bei allen anderen Haushaltstypen liegt der anteilige Ausgleich lediglich bei 44 bis 75 Prozent, so dass eine spürbare Mehrbelastung bestehen bleibt. Insbesondere bei Nichterwerbstätigen, vor allem Rentnern, kommt es dadurch zu einer erheblichen sozialen Schieflage. So beträgt die Entlastungswirkung beispielsweise bei Alleinlebenden, die im Ruhestand sind und ein niedriges Einkommen unter 900 Euro netto im Monat haben, gerade einmal zehn Prozent. Dies wird sich auf den Konsum auswirken, wodurch die rezessiven Tendenzen in der Wirtschaft verstärkt werden. Am Ende ist eine Bilanz zu erwarten, die nur für wenige ein positives Ergebnis bereithält.
Wie wird die Politik damit umgehen? Der Erfahrungen der letzten zwei Jahre lassen die Erwartungen hier nicht allzu hoch schnellen. – Es erscheint daher ratsam, sich auf ein frostiges Winterhalbjahr einzurichten. Und das nicht nur wegen vielleicht ausbleibender Gaslieferungen. Bundeskanzler Olaf Scholz hat jedenfalls nicht nur wegen zu erwartender hoher Heizkostenabrechnungen Grund, mit sozialem Sprengstoff zu rechnen.
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