25. Jahrgang | Nummer 15 | 18. Juli 2022

Antworten

Oskar Lafontaine, weiß Rat gegen den drohenden Gaskollaps – Für erfrischende Klarheit, wo andere nur um den heißen Brei eiern, waren Sie ja schon immer gut. So gerade wieder: „Ich kann das Gejammere von Steinmeier, Scholz und anderen über die sozialen Verwerfungen, die entstehen werden, wenn der Gaspreis sich verdreifacht, nicht mehr hören. Wenn man nur von Staaten wie den USA, Saudi-Arabien oder Katar und Russland, denen man völkerrechtswidrige Kriege vorwirft, Energie beziehen kann, dann sollte man den Lieferanten bevorzugen, der die beste und günstigste Ware hat. Das ist Russland. […] Man kann es nicht oft genug wiederholen: Wenn man wegen Menschenrechtsverletzungen die Verbindungen zu einem Land abbricht, dann darf man mit den USA, die für die meisten Menschenrechtsverletzungen in der Welt verantwortlich sind, keinen Handel treiben. […] Wenn man an die eigene Bevölkerung denkt, gibt es nur eine Lösung: Öffnet Nord Stream 2, um das Schlimmste zu verhindern. […] Keine Bundesregierung hat das Recht, Millionen Deutsche ärmer zu machen und die deutsche Wirtschaft zu ruinieren.“

Da Sie den Herrschenden im Lande allerdings als persona non grata gelten, werden Sie – machen wir uns gar nicht erst etwas vor – wieder einmal kein Gehör finden. Und so wird das (von diesen Herrschenden herbeidilletierte) Schicksal wohl seinen Lauf nehmen …

Rolf Fücks, mehrfach Konvertierter; Maxime? vielleicht: „Nichts ist so beständig, wie der Wandel.“ – Ihre Karriere begann ziemlich links außen, in Form von Mitwirkung im maoistischen KBW, der an die Stelle der gesellschaftlichen Verhältnisse in der BRD eine „‚klassenlose Gesellschaft’ marxistisch-leninistischer Prägung“ (Cicero) setzen wollte und sich laut Wikipedia darüber hinaus auch der aktiven Unterstützung des Pol-Pot-Regimes in Kambodscha verschrieben hatte. Hernach reüssierten Sie bei den Grünen (unter anderem Sprecher des Bundesvorstandes, 1989). Heute fungieren Sie als Geschäftsführender Gesellschafter des von Ihnen mitbegründeten Zentrums Liberale Moderne. 2017, zu Beginn der Trump-Ära, machten Sie – in einem illustren Kreis von sehr traditionellen Transatlantikern unter anderem von der DGAP, vom German Marshall Fund und von der Konrad-Adenauer-Stiftung – mit einem Manifest „Trotz alledem: Amerika“ von sich reden. Nun geben Sie den sattel- und standfesten Strategen – der Krieg in der Ukraine „wird militärisch entschieden“ – und kritisieren den knieweichen Bundeskanzler, der „die Vermeidung einer militärischen Konfrontation mit Russland zu seiner obersten Maxime erklärt habe“.

Ein Leserbriefschreiber in der Berliner Zeitung sah in Ihnen kürzlich einen „geltungssüchtige[n] Manichäer“.

Starker Tobak!

Allerdings können auch wir uns nicht ganz des Eindrucks erwehren, dass im Vergleich zu Ihnen ein Chamäleon ein nachgerade wandlungsarmer Zeitgenosse ist.

Boris Johnson, britischer Skandal-Premier, auf dem Weg in die Versenkung – Nachdem zuvor fast 60 Mitglieder Ihrer Regierungsmannschaft von der Fahne gegangen waren, konnten offenbar selbst Sie nicht mehr überhören, was die Glocke geschlagen hat und sind nun schon mal als Chef der Tories zurückgetreten. Premier wollen Sie aber noch ein paar Monate bleiben. Die Presse nennt Sie ja nicht umsonst Pattex-Boris – der am Amte klebt.

Das Bemerkenswerteste an Ihrer larmoyanten Rücktrittsrede war: keinerlei Eingeständnis von Fehlern und schon gar kein Wort der Entschuldigung für Ihre zahllosen Verstöße gegen Sitte und Anstand in aller Öffentlichkeit. Sie erweckten vielmehr den Eindruck, so die CNN-Journalistin Christiane Amanpour, als würden Sie wegen „höherer Gewalt“ zurücktreten. Für diese Attitüde wäre angesichts dessen, was Sie auf dem Kerbholz haben, der Begriff Chuzpe pures Understatement. Kollege Markus Feldkirchen vom SPIEGEL rief folgendes in Erinnerung: „Das wesentliche Vergehen Johnsons ist und bleibt […] seine auf perfiden Lügen fußende Brexit-Kampagne – und die bitteren ökonomischen Folgen dieses Brexits. Oder auch die unzähligen Toten, die Großbritannien vor allem in der ersten Coronawelle wegen einer falschen und unernsten Politik des Premierministers zu verzeichnen hatte. Das ist der eigentliche Skandal, nicht die Lügen über seine Gartenparty-Bierchen, ja nicht mal die Beförderung eines übergriffigen Rüpels.“

Für Feldkirchen ist „der Fall Johnson und Johnsons Fall ein weiterer Beleg für eine Boulevardisierung des Politischen“.

Da wollen wir nicht widersprechen, doch zugleich, bitte schön, auch nicht vergessen – Sie sind auf demokratischem Wege in Ihre Ämter gelangt. Churchill soll ja sinngemäß mal gesagt haben, Demokratie sei die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von allen anderen. Doch im Hinblick auf Demokratien, die sich solche Knallchargen wie Sie (oder Donald Trump) an die Spitze wählen, kommen uns, ehrlich gesagt, langsam grundsätzliche Zweifel …

Ulrike Rockmann, Landeswahlleiterin in Berlin, irgendwie jedenfalls – Dass die Hauptstadt immer mal wieder Probleme beim Bauen hat, hat sich ja mittlerweile bis nach Patagonien und Timbuktu herumgesprochen. Dass man in der eventbesoffenen Metropole auch Probleme mit dem „Kleinen 1 x 1“ der Demokratie hat, wurde spätestens am 26. September 2021 deutlich. An jenem Tag setzte die Stadt beinahe – dank suboptimaler Vorbereitungen und einer wegen eines Marathon-Laufes lahmgelegten City – gleich mehrere Wahlen in den märkischen Sand. Inzwischen plädiert der Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages für eine Wahlwiederholung in 400 (!) von 2300 Wahllokalen. Der Landesverfassungsgerichtshof wird möglicherweise im Herbst eine zumindest teilweise Wiederholung der Abgeordnetenhauswahlen verlangen.
Sie ficht das alles nicht an: „Ich bleibe bei meiner Einschätzung, dass ich nicht die empirische Grundlage für eine Wahlwiederholung sehe.“ Dies äußerten Sie jedenfalls gegenüber dpa. Schließlich werde sich grundsätzlich wohl kaum etwas an den Mehrheitsverhältnissen ändern.

Unser Vorschlag: Sparen wir uns doch künftig diesen Unsinn namens Wahlen. Zumindest in Berlin. Der Landeswahlausschuss kann sich ja an den Tagen, an denen man in anderen Gegenden an die Urne trabt, zum Nachmittagskaffee treffen und die Wahlergebnisse per Schätzung festlegen. Das wäre entschieden kostengünstiger.

Johannes Pennekamp, aufmerksamer Beobachter bei der FAZ – Sie haben’s doch wirklich gemerkt: „In der Finanzkrise wurde die Politik zu Recht kritisiert, weil Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert wurden. In der Gaskrise droht sich dieses Szenario in abgeschwächter Form zu wiederholen.“ Dazu meinen Sie: „Es ist zwar durchaus zu rechtfertigen, dass Endverbraucher einen Teil der Zeche zahlen. Es besteht aber die Gefahr, dass die Zeche […] viel größer ausfällt als notwendig […].“ Und Sie haben erkannt: „Die Gasbranche, angeführt von ihrer Cheflobbyistin und früheren Grünenabgeordneten Kerstin Andreae, hat es offenbar geschafft, das grün geführte Bundeswirtschaftsministerium für dieses Verfahren zu begeistern, das Verbraucher und Steuerzahler am Ende teuer zu stehen kommen könnte.“ Die Idee sei einfach: Die hiesigen Gasimporteure „kaufen Gas teuer auf dem Weltmarkt und geben es günstiger an große Versorger und Stadtwerke weiter. Die Differenz zahlt der Staat. Irgendwann sollen die Kosten dann auf die Verbraucher umgelegt werden.“

So weit, so gut. Doch was, bitte schön, gibt es daran zu monieren, werter Kollege? Ist es etwa kein konstituierendes Merkmal des Kapitalismus mehr, dass Gewinne und Verluste grundsätzlich in der von Ihnen beschriebenen Weise behandelt werden? Oder sind Sie auch bloß wieder einer von geschätzt 80 Millionen Sozialneidern hierzulande, die einfach nur zu dämlich sind, sich nahe genug ans pekuniäre Manna ranzuwanzen, um selbst ordentlich abzugreifen?

Gabor Steingart, Rufer in der Wüste – Sie haben es mit Blick auf den vom Westen losgetretenen Wirtschaftskrieg gegen Moskau gerade nochmal mit einem Appell an die Vernunft versucht: „Der Westen muss erkennen, dass die Waffe des Sanktionsregimes ihre Laufrichtung gedreht hat. Wir wollten Putin bestrafen und bestrafen uns. Wir wollten, dass er zittert, jetzt bibbern wir vor dem nächsten Winter. Wir wollten ihn verzwergen und haben ihn dadurch erst wieder groß gemacht. Sein Selbstbewusstsein […] befindet sich auf einem All Time High.“ Es gebe in den USA eine Volksweisheit: „If you are in a hole, stop digging. Wenn Du dich im Loch befindest, hör auf zu buddeln. Die unbequeme Wahrheit ist die: Der Westen muss seine Strategie verändern, sonst plumpst er in das Loch, das er für Putin gegraben hat, selbst hinein.“

Allerdings hat uns ja überhaupt erst die kollektive Dummheit der herrschenden Eliten des Westens in diese Situation hineinmanövriert. Und Dummheit ist bekanntlich eine Krankheit, die zwar von vielen durchaus erkannt wird, nie jedoch vom Befallenen selbst …