Aus Anlass dessen 350. Geburtstages hat Wladimir Putin, der Ersatz-Zar im Kreml, sein Tun mit dem des einstigen Zaren Peter d. Großen verglichen. Dabei bezog er sich insbesondere auf die Eroberung des Zugangs zur Ostsee und den Nordischen Krieg gegen Schweden. „Offenbar ist es auch unser Los: Zurückzuholen und zu stärken.“ Das meint auch: nicht er, Putin, sei verantwortlich für diesen Krieg, sondern es ist „das Los“, das das Schicksal oder die Geschichte dem russischen Volk auch im 21. Jahrhundert zugeteilt habe.
Der Nordische Krieg dauerte übrigens 21 Jahre. Insofern beziehen sich die derzeitigen Planungen der russischen Militärführung für den ukrainischen Krieg bis in den Herbst dieses Jahres, von denen die Geheimdienste der USA und Großbritanniens verlautbarten, auf einen vergleichsweise kurzen Zeitraum. Allerdings ergeben sich hier interessante Parallelen: Zunächst ging das Kriegsgeschehen auch im Nordischen Krieg für Russland nicht so recht voran, es hatte lange Zeit große Kriegsverluste zu erleiden, bis dann schließlich der Sieg errungen wurde. Dessen historische Ergebnisse hatten dann über die Jahrhunderte Bestand. Und: 21 Jahre ist exakt die Dauer des Afghanistan-Krieges des Westens. Hier hatten schon bald weder die westlichen Gesellschaften noch deren Politiker fortgesetzten Kriegseifer an den Tag gelegt, Gesichtswahrung blieb als ultimatives Kriegsziel übrig, bis US-Präsident Joe Biden 2021 auch dieses einkassierte und einfach abziehen ließ. Die „Kriegsmüdigkeit“ der Deutschen, die Annalena Baerbock so sehr fürchtet, ist nicht nur Propagandafloskel.
Derweil hat der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski – trotz aller Rückschläge an der Front – verkündet, alle russisch besetzten Landesteile rückerobern zu wollen, darunter auch die 2014 von Russland annektierte Halbinsel Krim. „Wir werden solange kämpfen, bis Russland verliert“, setzte der ukrainische Präsidentenberater Michailo Podoljak hinzu. Das von Selenski formulierte Minimalziel sei ein Rückzug der russischen Truppen auf die Linien vom 23. Februar, einen Tag vor Kriegsbeginn, „Maximalziel: die territoriale Unversehrtheit in den international anerkannten Grenzen der Ukraine“, also einschließlich der Krim und des Donbass, sowie „eine Niederlage Russlands und dessen Transformation“. Der Krieg werde „solange andauern, wie die Ukraine braucht, um zu zeigen, dass Russland sich von unserem Territorium zurückziehen muss“. Womit wir wieder bei den 21 Jahren wären.
Dazu wünscht sich die Ukraine noch umfassendere Waffenlieferungen des Westens, so „1000 Haubitzen vom Kaliber 155 Millimeter, 300 Mehrfachraketenwerfersysteme, 500 Panzer, 2000 gepanzerte Fahrzeuge, 1000 Drohnen“, teilte dieser Podoljak der NATO und der staunenden Weltöffentlichkeit per Twitter mit. Das sei nach Einschätzung der Regierung in Kiew für einen Sieg im Krieg gegen Russland nötig.
Verfolgt man die hysterische Kriegsbegeisterung in den derzeitigen deutschen „Qualitätsmedien“, so entsteht der Eindruck, „der Westen“ werde am Ende einen Sieg davontragen und Russland müsse klein beigeben. Die türkische Zeitung Birgün, kein Erdogan-Blatt, sondern eine als „links“ eingestufte regierungskritische Tageszeitung, betonte dagegen die Rolle der USA so: „Washington will den ersten Platz behaupten“. Die Debatten um die Veränderung der Weltordnung würden nicht ohne Hintergedanken geführt: „Wenn die USA von der auf Regeln basierenden Ordnung sprechen, meinen sie damit nicht das internationale Völkerrecht. Die USA wollen, dass sich alle an die von ihnen selbst aufgestellten Normen halten, die zum Funktionieren des globalen kapitalistischen Systems existieren. China und Russland halten sich nicht an diese Normen. […] Die USA, die bisher den Löwenanteil aus dem globalen Profit erhielten, wollen ihre Stellung angesichts des aufstrebenden China beibehalten.“ China dagegen sammele „vorerst Kraft. Es sieht so aus, dass es eines Tages allen die Quittung servieren wird. Und alle zusammen beobachten sie die Ukraine, um daraus für ihre eigene Zukunft Lehren zu ziehen.“
Allerdings werden die USA und die EU, so der sicherheitspolitische Experte Georg Spöttle in der ungarischen Magyar Nemzet, nicht als die großen Gewinner vom Platz gehen, sondern infolge des Krieges schwere wirtschaftliche Verluste erleiden: „Aufgrund der Sanktionen konnte Moskau das verbliebene Gas und Erdöl an energiehungrige Länder wie China, Indien und Pakistan zu einem für sie besseren Preis verkaufen.“ Gleichzeitig erziele China „Riesenvorteile: der Markt Russlands wird statt von amerikanischen Techfirmen von chinesischen Giganten dominiert. Es besteht kein Zweifel daran, dass Peking in die hungernden Regionen Afrikas Getreide liefern wird im Gegenzug für Fischereirechte und Edelmetalle, die für die Herstellung von Computern und Mobiltelefonen gebraucht werden.“ Am Ende blieben die USA und die EU „zwei große Verlierer in diesem Konflikt“.
Die letzte Formation der Illusionisten sind jene, die glauben, man könne einer Atommacht eine Niederlage zufügen, ohne dass der Finger in die Nähe des Atomknopfes kommt. Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI warnte dieser Tage, dass die weltweite Zahl der Atomwaffen wieder zunimmt und alle Atommächte ihre Systeme modernisieren. Um einzuschätzen, welche Folgen Russlands Ukrainekrieg auf die atomare Lage in der Welt haben werde, sei es noch zu früh. Einen indirekten Effekt gebe es jedoch bereits: „Die Russen sehen, dass ihre konventionellen Streitkräfte nicht so gut sind, wie sie dachten.“ Deshalb sei es naheliegend, künftig stärker auf taktische Atomwaffen zu setzen. Durch den Ukraine-Krieg habe sich das „Risiko einer nuklearen Katastrophe“ erhöht.
Bleibt anzufügen, es geht nicht nur um das Risiko eines Krieges zwischen der NATO und Russland, der über mehrere Eskalationsstufen in den großen Nuklearkrieg mündet. Es geht zunächst um die Konsequenzen einer Vorstellung, man könne Russland in einem konventionellen Krieg besiegen. Taktische Atomwaffen, auf dem Territorium der Ukraine eingesetzt, haben nicht notwendigerweise den strategischen Atomknüppel der USA zur Folge, schon aus deren Eigeninteresse heraus, dem russischen Zweitschlag zu entgehen. Der USA-Präsident brauchte 1945 zwei Atombomben, um den Kaiser von Japan zur Kapitulation zu zwingen. Es sollte niemand versuchen auszutesten, ob Selenski länger „durchhält“.
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