Auf gemeinsamen Antrag der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP hat der Bundestag am 28. April 2022 beschlossen: „Im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen liefert Deutschland auch Waffen zur Selbstverteidigung in die Ukraine und billigt die Lieferung aus Drittstaaten. […] Deutschland ermöglicht in Abstimmung mit anderen NATO-Partnern die Lieferungen schwerer Waffen. Insbesondere Waffen sowjetischer oder russischer Bauart sollen an die Ukraine geliefert werden, weil diese sofort eingesetzt werden können. Deutschland ersetzt oder erstattet diese Waffen (‚Ringtausch‘). Immer wieder muss überprüft werden, ob weitere Waffen abgegeben werden können, die dann zeitlich versetzt nachgeschoben werden können.“
Derweil wird in hiesigen Medien sowie unter Einbeziehung einschlägiger Experten und Politiker die Frage ventiliert, ob aus Sicht des Völkerrechts Deutschland mit der Lieferung schwerer Waffen zur direkten Kriegspartei werde oder ob dies durch die Ausbildung von ukrainischem Militärpersonal an schweren Waffen auf deutschem Boden der Fall sein könnte. (Solche Ausbildung, etwa an Haubitzen, hat, wie ein Pentagon-Sprecher am 29. April 2022 bestätigte, bei den US-Streitkräften in der Bundesrepublik bereits begonnen.) Diese Debatte trägt allerdings reichlich akademische Züge. Denn die Frage, ob Deutschland vom Kreml als Kriegspartei betrachtet respektive behandelt wird, entscheidet allein Moskau. Es wird sich dabei im Zweifelsfalle vom Völkerrecht gewiss ebenso wenig beeindrucken lassen wie bei seiner Aggression gegen die Ukraine.
Relevant in diesem Zusammenhang: Gleich zu Beginn des russischen Überfalls hatte Präsident Putin mit dem ganz großen Knüppel gedroht. „Wer auch immer versucht, uns zu behindern, geschweige denn eine Bedrohung für unser Land und unser Volk zu schaffen, muss wissen, dass die Antwort Russlands sofort erfolgen und zu Konsequenzen führen wird, die Sie in Ihrer Geschichte noch nie erlebt haben.“ Im Westen ist diese Einlassung übereinstimmend als Androhung eines möglichen Einsatzes von Atomwaffen interpretiert worden.
Darüber hinaus hatte der russische Außenminister Lawrow am 25. April erklärt, dass „vom Ausland gelieferte Waffen ein legitimes Ziel der russischen Streitkräfte“ seien. Russland könne nicht anders, „als diese Waffenarsenale zu zerstören“. Wenige Tage später präzisierte Lawrow, dass dies geschehen solle, sobald westliche Waffenlieferungen „das Territorium der Ukraine erreichen“.
Ob damit definitiv ausgeschlossen bleibt, dass entsprechende Lieferungen gegebenenfalls auch schon beim Antransport – etwa durch Polen – als „legitimes Ziel“ bekämpft werden könnten, wird sich erst im weiteren Kriegsverlauf erweisen. Artikel 5 des NATO-Vertrages (Beistandsklausel) sollte zwar als Riegel gegen eine solche Ausweitung der Kampfzone wirken, doch dessen Abschreckungspotenzial gegenüber Moskau könnte sich als nicht ausreichend erweisen. Der als kremlnah bezeichnete russische Sicherheitsexperte Sergej Karaganow jedenfalls erläuterte kürzlich: „Als Historiker weiß ich, dass Artikel 5 des Nato-Vertrags wertlos ist. Nach Artikel 5 […] ist niemand verpflichtet, tatsächlich für andere zu kämpfen […].“ Mutmaßlich hat Karaganow das wohl einfach aus dem Wortlaut des betreffenden Artikels geschlossen.
Vor diesem Hintergrund könnte sich die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine als der Versuch erweisen, den von Russland losgetretenen Flächenbrand mit Benzin zu löschen.
Natürlich kann man vor dieser Gefahr die Augen verschließen oder sich Anton Hofreiter von den Grünen und Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP anschließen. Der eine nimmt nicht an, „dass im Kreml lauter Selbstmordattentäter sitzen“, und meint, man solle sich hüten, die „Angstpropaganda des Kremls“ zu übernehmen. Und die andere sekundiert mit der Warnung davor, die atomaren Drohungen Putins zur Richtschnur des eigenen Handelns zu machen.
Die Initiatoren und Unterzeichner einer Petition an Bundeskanzler Olaf Scholz – Letztere (unter ihnen der Verfasser dieser Zeilen) summierten sich mit Stand vom 5. Mai 2022 auf 230.000 – haben sich für eine grundsätzlich andere Sichtweise entschieden: „Wir warnen vor einem zweifachen Irrtum: Zum einen, dass die Verantwortung für die Gefahr einer Eskalation zum atomaren Konflikt allein den ursprünglichen Aggressor angehe und nicht auch diejenigen, die ihm sehenden Auges ein Motiv zu einem gegebenenfalls verbrecherischen Handeln liefern. Und zum andern, dass die Entscheidung über die moralische Verantwortbarkeit der weiteren ‚Kosten‘ an Menschenleben unter der ukrainischen Zivilbevölkerung ausschließlich in die Zuständigkeit ihrer Regierung falle. Moralisch verbindliche Normen sind universaler Natur.“ Die Petition plädiert daher dafür, „so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand [zu] kommen […]; zu einem Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können“.
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