25. Jahrgang | Nummer 10 | 9. Mai 2022

Antworten

Jürgen Habermas, Philosoph – In Zeiten moralisch aufgeladener Kriegshysterie, in denen nicht wenige Verkünder härtester Maßnahmen des Westens gegen Russland den Dampf gleich noch mit ablassen, unter dem sie in Fällen wie Afghanistan, Irak oder Libyen gar nicht gestanden haben, zählen nüchterne, realitätsgeleitete Sichtweisen zu den Raritäten. Sie schrieben jetzt: „Wie tief muss der Boden der kulturellen Selbstverständlichkeiten […] umgepflügt worden sein, wenn sogar die konservative Presse nach den Staatsanwälten eines Internationalen Strafgerichtshofes ruft, der weder von Russland und China noch von den USA anerkannt wird. […] Nicht als hätte es der Kriegsverbrecher Putin nicht verdient, vor einem solchen Gericht zu stehen; aber noch nimmt er im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Sitz einer Vetomacht ein und kann seinen Gegnern mit Atomwaffen drohen. Noch muss mit ihm ein Ende des Krieges, wenigstens ein Waffenstillstand verhandelt werden. Ich sehe keine überzeugende Rechtfertigung für die Forderung nach einer Politik, die – im peinigenden, immer unerträglicher werdenden Anblick der täglich qualvolleren Opfer – den gleichwohl gut begründeten Entschluss der Nichtbeteiligung an diesem Krieg de facto aufs Spiel setzt.“

Natürlich werden Sie damit gegen den allgemeinen Hysterie-Tsunami nicht durchdringen. Aber man freut sich in Zeiten wie diesen schon darüber, dass die Süddeutsche Zeitung, die wir ansonsten stramm auf Gegenkurs verorten, dergleichen überhaupt noch abdruckt.

Burkhard Ewert, selbsternanntes Sprachrohr für den „Rest der Republik“ – Sie weisen in Ihrer wöchentlichen Kolumne unter dem oben genannten Titel darauf hin, dass Papst Franziskus den Blick auf einen Punkt gelenkt habe, den in Deutschland „selbst Hardliner der Friedensbewegung kaum noch auszusprechen“ wagten. „Kriege, sagt der Papst, würden immer auch geführt im Dienste des militärisch-industriellen Komplexes, um Waffen zu testen, die man produziert habe.“ Und zur Frage, wie es überhaupt zu diesem Krieg gekommen sei, äußerte der Pontifex: „Vielleicht hat das Bellen der NATO an Russlands Tür den Kremlchef zu einer schlechten Reaktion und zum Ausbruch des Konflikts veranlasst.“ Ihnen fällt auf, dass das Oberhaupt von 1,2 Milliarden Katholiken aus aller Welt Positionen vertritt, „für die man aus einer deutschen Talkshow schon mal ausgeladen werden kann, als unmoralisch diffamiert oder als naiver Querdenker beschimpft wird.“ Um ein Modewort zu gebrauchen: „Genau!“

Götz Aly, Werber für einen genauen Blick auf die Vergangenheit – In einem KNA-Interview wenden Sie sich gegen einseitige Geschichtsbeschreibungen, unter anderem auch die DDR betreffend: „Zu oft und überaus einseitig rekurrieren eifrige Nach-Wende-Historiker auf die repressive Seite und baden in Stasi-Geschichten, um pünktlich zu dem Urteil ‚Diktatur & Unrechtsstaat‘ zu gelangen. Solche Kollegen verstehen sich als Scharfrichter, nicht als Historiker. Die Werke der Bildenden Kunst, die Romane und Dichtungen, die Theater- und Filmproduktionen, die in der DDR geschaffen wurden, zeigen deutlich, dass die DDR-Geschichte in gängigen Diktaturfloskeln nicht aufgeht.“ Wie wahr! Zu befürchten ist nur, dass Sie mit Ihrer Auffassung den „Hauptstrom“ nicht aufhalten werden.

Julian Assange, der Willkür Ausgelieferter – Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine verschwindet Ihr Schicksal – wie übrigens das Schicksal anderer Kriegsopfer weltweit von Jemen bis Afghanistan – aus den westlichen Medien fast völlig. Das Oberste Gericht in Großbritannien hat entschieden, im Auslieferungsverfahren gegen Sie keine Berufung zuzulassen. Der Fall wird nun an das britische Innenministerium zurückverwiesen, wo eine politische Entscheidung gefällt wird. Das klingt gar nicht gut …

Dort droht Ihnen im Zusammenhang mit der Veröffentlichung geheimer militärischer und diplomatischer Dokumente durch Wikileaks im Jahr 2010 eine Haftstrafe von bis zu 175 Jahren. Da die Dokumente Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen aufdeckten, war ihre Veröffentlichung von großem öffentlichem Interesse. Eine Auslieferung Assanges an die USA wäre ein fatales Signal für die Pressefreiheit weltweit, betonten „Reporter ohne Grenzen“. Wir warten auf eine Erklärung der deutschen Regierung, aber die ist mit der Ukraine und Corona beschäftigt. Es läuft alles richtig gut für die USA im Kampf gegen Whistleblower. Pressefreiheit gilt offenbar nur, wenn sie den Regierenden genehm ist.

Friedrich Straetmanns (Die Linke), Staatssekretär in Schwerin – Sie haben den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk auf Twitter sehr derb charakterisiert, den privaten Tweet jedoch gelöscht, als Fehler bezeichnet und sich entschuldigt. Das Fehlereingeständnis ehrt Sie. Tatsächlich geziemte sich Ihre Aussage, Melnyk sei ein „schlechter bis widerlicher Botschafter“ nicht für einen Staatssekretär. Allerdings wurde auch Herr Melnyk selbst bereits von höhergestellten Politikern einer unziemlichen „Tonalität“ geziehen: „befremdlich“, „maßlos“, „bösartig“ … Der Diplomat pfeift auf das „politische Mäßigungsgebot“, dessen Verletzung man Sie beschuldigte. Gerade erst griff Melnyk den Bundeskanzler an, weil Olaf Scholz vorerst nicht in die Ukraine reisen wollte und dies mit der Ausladung des Bundespräsidenten durch Kiew begründete. „Eine beleidigte Leberwurst zu spielen klingt nicht sehr staatsmännisch“, sagte Melnyk. Das wiederum „klingt nicht sehr diplomatisch“, um es gemäßigt auszudrücken. Eine Entschuldigung Melnyks ist bisher nicht bekannt geworden.

Horst Lichter, televisionärer Dauerbrenner – Vor vier Jahren wurde an dieser Stelle die skeptische Frage gestellt, wie lange das Publikum an Ihnen wohl noch Spaß haben werde. Ihren Abschied von Kochshows hatten Sie seinerzeit mit mangelnder Lust begründet. Sie wollten künftig nur noch tun, was Ihnen Spaß macht. Ihr tägliches „Bares für Rares“ aber scheint trotz immer gleicher Wortwahl („… dann bin ich der Horst“, „Leck mich de Söck!“) in der Publikumsgunst immer noch hoch zu stehen. Da geben potenzielle Verkäufer vor, unbedingt mehr über das von der Großtante hinterlassene Stück erfahren zu wollen; in Wahrheit wollen sie’s schlicht und schnöde meistbietend verhökern.