Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reist in der Osterwoche nach Warschau, um sich mit seinem polnischen Amtskollegen Andrzej Duda zu treffen. Noch vor wenigen Wochen schien eine solche Begegnung in Warschau sogar ausgeschlossen. Zuletzt hatten sich Ende 2021 die Wolken im deutsch-polnischen Verhältnis sichtbar verdunkelt. In den Warschauer Straßen waren plötzlich ins Auge fallende Plakate zu sehen, auf denen Steinmeier gemeinsam mit Angela Merkel, Helmut Kohl, Konrad Adenauer und dem deutschen Botschafter in Warschau abgebildet waren – gleich neben Hitler und Goebbels. Gefordert wurde in englischer Sprache die Zahlung der angeblich noch ausstehenden Reparation für die angerichteten Verwüstungen und Verbrechen während der Okkupation des Landes im Zweiten Weltkrieg. Es geht nach Auffassung polnischer Regierungskreise um einen Betrag von mehreren 100 Milliarden Euro, auf den Plakaten hatte sich schließlich das Kulturministerium als Auftraggeber zu erkennen gegeben.
Putins Krieg gegen die Ukraine lässt nun auch diese hässliche Episode im bilateralen Verhältnis wie Schnee von gestern aussehen. Steinmeiers Besuch wird im Reparationsstreit keine Lösung bringen, doch mittlerweile gibt es andere Fragen, die für das deutsch-polnische Verhältnis viel wichtiger geworden sind. Polens Regierende haben sich klar positioniert, stehen ein für einen Kurs härtester Wirtschaftssanktionen gegen Putins Russland. Anders als in deutschen Regierungskreisen wird hier verlangt, die letzten Schlupflöcher nun zu schließen, vor allem aber den vollständigen Boykott gegen russische Energierohstoffe zu verhängen. Polen ging bereits mit gutem Beispiel voran, hat den schnellen Stopp für Steinkohlenimporte aus Russland verhängt. Insofern wurde Steinmeiers Eingeständnis, er habe sich bei der Einschätzung der Erdgasleitung Nord Stream 2 geirrt und der Bau der Pipeline durch die Ostsee sei überhaupt ein schwerer politischer Fehler gewesen, entsprechend zur Kenntnis genommen. Nun aber sollten den Worten auch die Taten folgen, so jedenfalls die einhellige Meinung auf Warschauer Regierungsseite.
Doch nicht nur die deutsch-polnischen Beziehungen erscheinen jetzt in einem anderen Licht, auch innenpolitisch sollen verlässlich Weichen gestellt werden. Spätestens im Herbst 2023 stehen Parlamentswahlen an, die bis zum jüngsten Kriegsausbruch im Nachbarland für das Regierungslager immer schwieriger zu werden drohten. Fast schien es vielen Beobachtern in den Wintertagen bereits so, als würden dann im nächsten Herbst dem Kaczyński-Lager die Felle unweigerlich davonschwimmen. Im Oppositionslager stritt man sich vor allem darüber, ob vereinzelt oder doch irgendwie gemeinsam gegen die nationalkonservative Regierungsfront anzutreten sei. Momentan gewinnt die Regierung wieder deutlicher an Zustimmung, hin und wieder wird sogar ganz offen damit gedroht, mit der entsprechenden Mehrheit das Parlament aufzulösen und die Wahlen vorzuziehen.
Es wundert also nicht, wenn an der Weichsel und in allen politischen Lagern die jüngsten Parlamentswahlen in Ungarn mit höchster Aufmerksamkeit verfolgt wurden. Viktor Orbáns Durchmarsch hatten in dieser Eindeutigkeit die wenigsten erwartet, umso mehr herrschten anschließend auf den jeweiligen Seiten übermäßige Freude oder schlichtes Entsetzen. Allerdings ist die Freude im Kaczyński-Lager nicht ungetrübt, denn Orbán hat mit seinen Ausfällen gegen den ukrainischen Staatspräsidenten und mit seiner entschiedenen Haltung gegen weitergehende Wirtschaftssanktionen den Regierenden in Warschau eine harte Nuss zu knacken aufgegeben. Zwar beteuerten beide Seiten – Ungarn wie Polen – schnell, wie verlässlich der gemeinsame Schulterschluss sei und auch bleibe, doch musste Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki weit ausholen. Seine Regierung stehe entschieden hinter der Ukraine und hinter dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj, daran werde sich in Warschau nichts ändern. Ja, es gebe innerhalb der Europäischen Union auch Mitgliedsländer, die beim entschiedenen Kurs gegen die Putin-Aggression auf die Bremse drückten, doch dieser Vorwurf gelte weniger für Ungarn, treffe viel eher auf einige der „großen Länder“ zu, vor allem aber auf Deutschland.
Auch dieser schwere Vorwurf hängt in der Luft, während Steinmeier in Warschau weilt. Auf jeden Fall ist die Visite aber ein Hinweis darauf, wie wichtig das mitunter etwas störrisch wirkende Polen aus Sicht deutscher Außenpolitik jetzt geworden ist. Da geht es nicht mehr nur um gutgemeinte und vielleicht auch wichtige Symbole, da steht die Ausrichtung der gesamten EU gegenüber Moskau und Kiew zur ernsthaften Debatte.
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