24. Jahrgang | Nummer 25 | 6. Dezember 2021

Wenn Weltpolitik sich beimischt

Jan Opal, Gniezno

Zuletzt machten hierzulande die Vorgänge an der Grenze zwischen Polen und Belarus kräftig Schlagzeilen, alles andere trat ein wenig zurück. Aber weder die eine noch die andere Seite im sich hinziehenden innenpolitischen Machtkampf konnte daraus einen erkennbaren Gewinn verbuchen. Die mit angespannten Muskeln spielende Regierungsseite kam gewissermaßen mit einem blauen Auge davon, weil zuletzt doch noch mildernde Mechanismen der Europäischen Union aushalfen, insbesondere aber die Rolle Deutschlands mitsamt der Versicherung der scheidenden Bundesregierung, man stünde in der entstandenen Situation fest an der Seite Polens, also der Regierung, so etwas wie konstruktives Handeln beförderte oder ermöglichte. Und die Seite der demokratischen Opposition hat die Stimmungslage im Lande zu berücksichtigen, die eher eine diffuse zu nennen ist, denn kaum jemand will nun aus der Ostgrenze ein unkontrolliertes Einfallstor für Menschen entstehen lassen, die es aus Krisenregionen in die Länder der Gemeinschaft zieht.

Gewarnt wurde die polnische Regierung rechtzeitig, denn bereits im zeitigen Frühjahr des Jahres lagen begründete Einschätzungen auf dem Tisch, die genau jenes Szenario voraussagten, das dann im Sommer auch eintrat. Die Behörden in Minsk, so hieß es in den vertraulichen Papieren, würden jetzt versuchen, Menschen aus Krisenregionen vor allem im Nahen Osten in beträchtlicher Zahl ins Land zu locken, um sie dann umgehend an die grüne Grenze zu den benachbarten EU-Ländern zu verfrachten. Tatsächlich erreichte die Zahl der aus Nahost in das von Lukaschenko regierte und streng kontrollierte Land kommenden Menschen, allesamt ausschließlich mit touristischen Reisepapieren für Belarus versehen, die Zahl von wohl 30.000, womöglich auch etwas mehr. Auffallend, dass die übergroße Mehrheit aus dem irakischen Kurdistan kam, aus einer Region mithin, in der es augenblicklich weder politische Verfolgung gibt noch humanitäre Katastrophen. Allenfalls gibt die ökonomische Situation nicht das her, was ausreichende Perspektive genannt werden könnte. Doch als Krisenregion im strengen Sinne kann das autonome Kurdistan im Irak jetzt wohl nicht bezeichnet werden.

Aus späteren Berichten schälte sich schnell heraus, dass die aus Kurdistan weggehenden Menschen vor allem in Minsk gelandet waren, aber auch Kaliningrad und Moskau wurden immer wieder als Umsteigeorte erwähnt. Niemand von denen dürfte vor der abenteuerlichen Reise, für die laut den Berichten daheim meistens Summen zwischen 3000 und 5000 US-Dollar fällig waren, je etwas von einem Land namens Belarus gehört haben. Allein die Verlockung, nämlich die Aussicht, auf diesem Weg einigermaßen elegant und reibungslos ins gelobte Land zu kommen, stärkte die Bereitschaft, den teuflischen Pakt einzugehen. Die einzelnen Motive mögen unterschiedlich sein, sie sollen hier auch gar nicht infrage gestellt werden, doch liegt auf der Hand, dass es fast immer Kalkulationen über das eigene private Fortkommen waren, die den Ausschlag gaben. Und so nimmt es nicht Wunder, wenn unisono nahezu alle von Hilfsorganisationen in Polen Befragten zugeben, nie etwas mit Politik zu tun gehabt zu haben, überhaupt völlig unpolitisch zu sein, aus ganz anderen – also wirtschaftlichen oder privaten – Gründen auf die weite Reise gegangen zu sein. Von Verfolgung jeglicher Art war nie die Rede.

Polens Regierende hatten nach den ersten Informationen darüber, was kommen werde, schnell entschieden, die Sache alleine durchzustehen, ohne den Beistand von EU-Institutionen wie Frontex. Das Nachbarland Litauen entschied genau anders herum, kam – kurz und zusammenfassend gesagt – sehr viel besser mit der entstandenen Situation zurecht. In Polen aber wollte das Regierungslager – und völlig aus innenpolitischen Motiven heraus – mit den Muskeln der nationalen Souveränität spielen. Das schaukelte sich hoch bis zu den Beschlüssen, künftig auf 150 Kilometern Länge eine wohl über fünf Meter hohe Grenzmauer zu errichten, ein Monstrum gewissermaßen auf einem Drittel der Gesamtgrenze zu Belarus. Vorbereitend wurde schnell entlang der Grenze ein Stacheldrahtverhau aufgerichtet, zudem per Ausnahmegesetzgebung eine drei Kilometer breite Sperrzone geschaffen, in der bürgerliche Grundrechte stark beschnitten oder gar ganz außer Kraft gesetzt sind. Bewegungsfreiheit und die Freiheit des Wortes gibt es dort faktisch nicht mehr, auch diese Kröte schluckte die scheidende deutsche Bundesregierung, als sie sich demonstrativ hinter die polnische Regierung gestellt hat.

Gelingt es Menschen nun, trotz der hohen Barrieren auf polnisches Gebiet vorzudringen, müssen sie erst die Sperrzone hinter sich lassen, um mit denjenigen Prozeduren rechnen zu können, die eigentlich innerhalb der EU verbindlich sind – ansonsten werden sie sofort wieder über die Grenze abgeschoben. Da nun in erster Linie wohl Moskau – nach Rücksprachen mit Brüssel und Berlin – dem provozierenden Tun der Lukaschenko-Behörden ein Ende gesetzt hat, ist der Druck, der an seiner Ostgrenze auf Polen lastete, zwar merklich zurückgegangen, doch das Problem bleibt, Lukaschenko hin oder her. Über kurz oder lang wird die EU wohl nur dann gedeihlich sich entwickeln können, wenn gelernt wird, nach außen hin ohne abweisendes Mauerwerk zurechtzukommen.