24. Jahrgang | Nummer 17 | 16. August 2021

Nicht mehr gegen Engeland

von Sarcasticus

Frau Kramp-Karrenbauers Idee
eines deutschen Engagements
im Indopazifik erinnert mich
an das wilhelminische Weltbild
eines „Platzes an der Sonne“.

Rolf Mützenich,
SPD-Fraktionschef im Bundestag

Die strategische Zielstellung kann eigentlich nur darin bestehen, dass die Chinesen sich totlachen. Und am besten natürlich – alle. Denn wie sollte ein einzelnes Kriegsschiff wie die altgediente Fregatte „Bayern“ der Bundesmarine, seit 2. August unterwegs in Richtung Indo-Pazifik, wo sie mehrere Monate kreuzen und unter anderem an Manövern teilnehmen wird, einer Großmacht wie China eine abschreckende, also strafandrohende Botschaft übermitteln?

China nennt die zahlenmäßig größte Kriegsmarine der Welt sein eigen, und die ist auch rüstungstechnologisch nicht hinter dem Mond. Laut Pentagon verfügt Peking derzeit über 350 Über- und Unterwasserkriegsschiffe. Darunter zwei Flugzeugträger. Der US-Marinegeheimdienst ONI listete des Weiteren auf: 26 Zerstörer, 52 Fregatten, 20 Korvetten, 86 Schnellboote mit Raketenbewaffnung sowie 62 Jagd-U-Boote (Stand 2015). Und was deren Bewaffnung anbetrifft, so hob der ehemalige ONI-Chef James Fanell kürzlich hervor, dass die chinesische Marine „mehr Fähigkeiten als die US-Marine“ habe: „Nehmen wir einfach einen ‚Luyang-III Type 052D‘-Zerstörer gegen einen US-Zerstörer. Die Chinesen haben Anti-Schiffsraketen mit einer Reichweite von mehr als 200 Kilometern, Überschallgeschwindigkeit und ‚Sea-Skimming‘ – fliegen also knapp über der Wasseroberfläche, unbemerkt von jedem Radar. Dazu sind sie auch im Nahkampf kaum zu besiegen. Die US-Marine hat immer noch ihr ‚Harpoon‘-System. Unterschallgeschwindigkeit. Sehr langsam. Und sie kann im Verteidigungsfall nicht so manövrieren wie eine chinesische Rakete vom Typ ‚YJ-18‘.“

Die Fregatte „Bayern“ – David gegen Goliath wäre hier, was David anbetrifft, die völlig falsche Metapher – solle, so beschrieb Marineinspekteur Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach deren Missionsaufgabe, „Flagge zeigen“ und „vor Ort demonstrieren, dass Deutschland auf der Seite seiner internationalen Wertepartner für die Freiheit der Seewege und die Einhaltung des Völkerrechts in der Region eintritt“. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hielt sich blumiger: Die Mission der „Bayern“ sei ein „Zeichen für Stabilität, Wohlstand und eine regelbasierte, multilaterale Ordnung“. Der Herausgeber der Berliner Zeitung, Michael Maier, übersetzte diese gestanzten, das Wesentliche kaschierenden Formulierungen kurz und bündig in Deutsch für Normalos: Die „Bayern“ soll ein „Zeichen gegen China setzen“.

Aber wenn der Trip der „Bayern“ und die sie begleitenden aufgeblasenen Phrasen von Militärs und Politikern, die von diversen einheimischen Qualitätsmedien unhinterfragt unters Volk gestreut werden, für sich genommen auch eine karnevaleske Lachnummer sind, so muss man doch den Blick auf den größeren Zusammenhang richten. Und der besteht vor allem darin, dass die USA unter Präsident Donald Trump auf einen aggressiven Konfrontationskurs gegen China eingeschwenkt sind und dass Trump-Nachfolger Joseph Biden diesen Kurs nicht nur beibehalten, sondern noch eins draufgesetzt hat, indem er sagte, dass eine militärische Auseinandersetzung mit einer „Großmacht“ denkbar wäre, etwa nach einem Cyber-Angriff. Da Russland seit Trump-Vorgänger Barack Obama von Washington nur noch als „Regionalmacht“ gehandelt wird, kann damit bloß China gemeint sein. Und die Bundesrepublik dient sich mit der „Bayern“-Mission dem antichinesischen Kurs der USA an – wenn nicht volens, dann nolens. Fakten schaffen Fakten.

Allerdings ist China eine Macht, die gegen US-amerikanische Flugzeugträger-Kampfgruppen atomar bestückbare Mittelstreckenraketen bereit hält, weil sie denen außer vielleicht Jagd-U-Booten nichts Effektives entgegenzusetzen hat, und China ist eine Macht, gegen die die USA demnächst ballistische Mittelstreckenraketen mit mehr als 500 Kilometern Reichweite auf pazifischen Inseln in Stellung bringen wollen. Was übrigens durch die einseitige Aufkündigung des INF-Vertrages über das globale Verbot solcher Systeme mit Russland überhaupt erst möglich geworden ist. Die Stationierungsabsicht geht aus einer „Abschreckungsinitiative“ für den Pazifik hervor, die vom United States Indo-Pacific Command (INDOPACOM) im März 2021 mit einem Umfang von 27 Milliarden US-Dollar beantragt worden ist.

Sollte es zu dem von Biden antizipierten militärischen Konflikt zwischen der alten und der neuen Supermacht kommen, dann bestehen somit bereits jetzt „optimale“ Voraussetzungen dafür, dass der Krieg rasch auf die nukleare Ebene eskalieren könnte. Zugleich muss seit 9/11 klar sein, wie rasch die USA, wenn es ihnen selbst ans Leder geht, den Bündnisfall nach Artikel V des NATO-Vertrages ausrufen. Der setzt zwar keinen Beistandsautomatismus in Gang, doch dass Deutschland sich einem solchen Ruf ernsthaft entziehen könnte, ist angesichts der mentalen Verfasstheit der im Lande herrschenden politischen Eliten – fokussiert auf die USA als Führungsmacht sowie Wiege und Hort westlich-demokratischer Werte – schlechterdings nicht vorstellbar. Und schon wäre Deutschland mittendrin. Im Krieg. Und womöglich auch Russland, das mit China zwar derzeit noch nicht vertrags-offiziell verbündet, aber praktisch-militärisch schon vielfältig verbunden ist.

Wer Schwierigkeiten hat, sich den möglichen weiteren Verlauf bis zur allgemeinen atomaren Apokalypse vorzustellen, der ruhe in Frieden, bis es zu spät ist.

*

Das Auswärtige Amt, also das Haus unseres obersten Maßanzugträgers, formulierte im Zusammenhang mit der „Bayern“-Mission vollmundig: Die Marine wolle mit ihrem „Indo-Pacific Deployment (IPD)“ unter Beweis stellen, „dass sie für Deutschland ein verlässliches, weltweit einsetzbares politisches Instrument ist“.

Wie bitte? Ein verlässliches Instrument?

Weltweit einsetzbar?

Fregatten sind der einzige Schiffstyp der Bundesmarine, der für militärische Demonstrationen über globale Entfernungen überhaupt infrage kommt. Zehn davon befinden sich im Bestand: vom betagten Typ 123 wie die „Bayern“ (Indienststellung 1994–96) vier, vom auch bereits ältlichen Nachfolge-Typ 124 (2003–06) drei und vom neuesten Typ 125 (2019–21) ebenfalls drei. Letztere sind laut Bericht zur materiellen Einsatzbereitschaft der Hauptwaffensysteme der Bundeswehr“ vom Mai 2021 jedoch noch nicht „einsatzreif“, und die Einsatzbereitschaft der anderen Schiffe liegt dem Bericht zufolge bestenfalls bei 75 Prozent. Der Spiegel kommentierte unlängst, „dass in Deutschland die Kluft zwischen globalen Ambitionen und realen Möglichkeiten größer kaum sein könnte“.

Da erinnert die Einlassung des Auswärtigen Amtes doch eher an ein pubertierendes Gorillamännchen, das sich mit den Fäusten heftig auf den Brustkorb trommelt und dazu urige Laute ausstößt – noch nicht potent, aber immer so tun als ob.

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Nachbemerkung – ein politischer Witz zu DDR-Tagen lautete:

Kommt ein Mitarbeiter morgens zu Erich Honecker und meldet: „Genosse Generalsekretär, heute eine gute Nachricht und eine schlechte. Welche zuerst?“

Honecker: „Die schlechte, bitte.“

Mitarbeiter: „Die Chinesen sind auf dem Mond.“

Honecker: „Oh, das ist aber wirklich sehr ärgerlich! Und die gute?“

Mitarbeiter: „Alle!“

* – „Wir fahren gegen Engeland“ war ein in der kaiserlichen deutschen Kriegsmarine während des Ersten Weltkrieges gebräuchliches Matrosenlied zur Hebung der Kampfkraft und zur Verklärung des Heldentodes (Text: Hermann Löns, 1914); zum Weghören hier klicken.