24. Jahrgang | Nummer 14 | 5. Juli 2021

Klimawandel und Freiheit

von Stephan Wohanka

„Wer das Klima schützt, schützt die Freiheit“

Robert Habeck, Co-Vorsitzender der BündnisGrünen

Diese Kampfansage an das politische Establishment, bah – an die deutliche Mehrheit der deutschen Bevölkerung muss man sich erst einmal trauen! Habeck sagte diesen Satz auf dem Parteitag der Grünen vor einigen Tagen. Seine Rede war groß angelegt; sie hätte gut – jedenfalls besser als die der schon feststehenden Kanzlerkandidatin der Grünen – zu einer Bewerbung für das Regierungsamt gepasst. Frei gehalten, war sie eine „Kanzlerrede“, wie der Spiegel feststellte. Und sie folgte in nur geringem zeitlichen Abstand auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil, das die 1,5-Grad-Grenze des Pariser Klima-Abkommens für verfassungsrechtlich verbindlich erklärte. Die grundrechtliche Freiheit und das Staatsziel Umweltschutz verpflichten den Gesetzgeber, einen vorausschauenden Plan zu entwickeln, um mit den möglichen Restemissionen sorgsam umzugehen.

Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten: „Die Grünen haben einen sehr dirigistischen Ansatz und wir Familienunternehmer eher einen marktwirtschaftlichen Ansatz. In diesem Fall unterscheiden wir uns und dort werden wir uns dann auch treffen an der Grenzlinie zwischen dirigistischer Freiheit oder marktwirtschaftlicher Freiheit.“ Und auch: „Und die Freiheit, ja, die muß eben auch mal weg, wenn die Umweltkatastrophe droht. Das sind die Folgen eines Skandalbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts zur Klimapolitik […] Der Skandal: Freiheitsrechte können zugunsten eines ‚Klimaschutzes‘ eingeschränkt werden. […]‚Künftig können selbst gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas verhältnismäßig und verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein‘, heißt es wörtlich in dem Beschluß.“

Ja – wie steht es denn nun mit der Freiheit und dem Klimaschutz? Grundsätzlich zieht die Klimakatastrophe als Wahlkampfthema nicht. Die Erwärmung der Welt wird von einer Mehrzahl der Wähler zwar nicht (mehr) geleugnet, hat aber für ihr politisches Denken und Handeln oft nur eine relativ geringe Bedeutung. Die Freiheit liegt – wie schon angedeutet – bei Weitem immer noch darin, möglichst alles so zu belassen wie es war: Wenn in Kürze in vier Bundesländern die Sommerferien beginnen, werden wie im ersten Corona-Sommer die Bundesbürger auch in diesem Jahr mehrheitlich mit dem Auto (66 Prozent) verreisen, mit dem Flugzeugzeug rund 19 Prozent. Circa 44 Prozent sind aktuell auch der Meinung, dass Klimaschutzpolitik für die soziale Gerechtigkeit langfristig eher hinderlich sei. Wenn die Menschen sich zwischen dem grünen „Verzicht“ und einem Leben mit Grillparty, Spaß am schnellen Autofahren und gelegentlichem Mallorca-Trip zu entscheiden hätten, wüsste die Mehrheit, wofür sie sich entschiede. Und verstünden das als Freiheit …

Also nochmals – Klima versus Freiheit? Man kann eben beschriebene Realität auch völlig anders deuten – dass nämlich Zwänge zu Freiheiten erklärt werden! Zwar ist das der permanente Vorwurf gegenüber den Grünen; sind nicht aber (zu) viele Menschen nicht (mehr) frei genug, um auf den breit verstandenen Konsum sowie Wohlstand und die daraus folgenden Zwänge zugunsten von mehr wahrer Freizeit und Wohlbefinden zu verzichten? Und kollidieren nicht zunehmend Freiheitsrechte der einen mit denen der anderen? Darunter fällt – die Fridays-for-Future-Bewegung machte nachdrücklich darauf aufmerksam – auch die „Generationengerechtigkeit“, also die Dimension der Freiheit in der Zeit, die ich jedoch nicht weiter verfolgen will …

Nehmen wir die „Eigenheim-Frage“. Der grüne Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter gab ein scheinbar harmloses Interview zu Bebauungsplänen und Eigenheimen. Inhaltlich war das, was er sagte, wenig provokant und vernünftig. Sogar manche CDU-Politiker stimmen ihm inzwischen zu. „Grüne wollen neue Einfamilien-Häuser verbieten“, titelte Bild. Das ist unsachlich, sogar völliger Unsinn. Selbst wenn Bild recht hätte – ein Verbot des Eigenheimbaues schränkte die Freiheit derer ein, die ein solches bauen wollen; es erhöhte aber die Freiheit derer, die Fläche und Materialien lieber anders verwendeten – klimaschonender, kreativer, effektiver. Statt eines Eigenheims könnten auf dem gleichen Platz Wohn- und Grünanlagen für mehr Menschen entstehen. Unterm Strich könnte also durch ein „Verbot“ die Freiheit eher zunehmen. Dass die Mehrheit sofort mit dem Wort „Zwang“ aufschrie, verwundert nicht, denn Freiheit wird als Abwesenheit von Zwang begriffen.

Anderseits ist der Freiheitsbegriff durch die über Jahrzehnte ausgeprägte neoliberal-ökonomistische Denkweise (zu) eng an das private Eigentumsrecht gekoppelt. Daher wurde und wird nicht nur von Ökonomen jeglicher „Eingriff“ in das Privateigentum mit der Einschränkung von Freiheit gleichgesetzt. Der Gesellschaftstheoretiker Gerald Allan Cohen nannte diese falsche Verknüpfung „Inkonsistenz des rechtebasierten Freiheitsbegriffs“ und sagt damit, dass das Recht an einer Sache fälschlich mit Freiheit gleichgesetzt werde und die Unfreiheit derjenigen, die davon ausgeschlossen wären, unterschlagen würde.

Der Freiheitsbegriff ist jedoch nicht nicht nur „rechtebasiert“, sondern zunehmend „konsumbasiert“. Werbung und Reklame tun alles, um die Konsummuster der materiell Bessergestellten in unserer Gesellschaft sozusagen für allgemeinverbindlich zu erklären. Die implizite Botschaft: Wer nicht mithalten kann, ist selber Schuld. Das bleibt nicht ohne Wirkung auf andere soziale Milieus, die sich selbst unter einen Zwang setzen, den sie unbewusst als Freiheit verklären: Sie meinen, mit den Konsummustern der (mehr) Begüterten mithalten zu sollen, weil sie sich nicht frei genug fühlen, um auf Konsum und vermeintlichen Wohlstand verzichten zu können. Und es gelingt einigen auch, durch (Mehr)Arbeit und Selbstausbeutung im gewissen Rahmen mitzuhalten. Dadurch wird in diesen Kreisen so viel gearbeitet, dass man sich um die „Dinge des Alltags“ kaum mehr selbst kümmern kann, was eine Renaissance der Dienstbotengesellschaft zur Folge hat mit prekären Lohn- und Arbeitsbedingungen. Damit ist der Paketbote, der heute für Amazon schuftet, genauso gemeint wie der legendäre Pizza-Bote, der heute fast alle Lebensmittel in ins Haus bringt. Es entsteht so auf unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Ebenen eine Akkumulation von Zwängen, die die Menschen unsichtbar erzeugen und diese mit dem Freiheitsbegriff rechtfertigen, wobei Konsumtion oder Kommerz die besseren, ja richtigen Ausdrücke dafür wären. Klar ist, dass Hartz IV-Empfänger, die Masse der Armen, nicht im Wettbewerb um Status und vergleichbaren Wohlstand stehen. Sie taugen nicht als Partner für die „kommerzielle Kommunikation“, mit der die Werbebranche meint, noch erfolgreicher zu sein als bisher.

Das genuin menschliche Verhalten, so viel zu haben wie der andere, treibt das Wachstum in letztlich zerstörerische Dimensionen. Wenn beispielsweise die Menschen, die noch kein Eigenheim haben, auch eines haben wollen, müssten wir mehr solcher Häuser bauen. Man kann jedoch nicht ganz Deutschland mit Eigenheimen zupflastern. Dieses Prinzip des „Mehr“ stößt also unweigerlich an Grenzen; letztlich selbst bei Gütern, deren Produktion sich grundsätzlich endlos ausweiten ließe. Denn neben der offensichtlichen Unsinnigkeit, beispielsweise die Autoflotte mit immer schwergewichtigeren Exemplaren weiter zu vergrößern, und sei es mit alternativen Antrieben, spielte vor allem der wachsende Ressourcen- und Medienverbrauch eine limitierende und letztlich zerstörerische Rolle.

Gegen diese „konsumtive Zwangs-Freiheit“, gegen den Konsum als Statussymbol, auf langen Arbeitszeiten und einem run nach hohen Einkommen gründend, wäre eine Freiheit zu setzen, die den Namen verdient, weil sie den Menschen eine gute öffentliche Daseinsvorsorge (kostenlose Bildung, Gesundheit einschließlich würdiger Altersvorsorge, günstigen Wohnraum) anbietet, weil sie – wenn nötig, über Arbeitszeitverkürzung – Vollbeschäftigung, erholsame Freizeit und eine gegenüber heute geringere Ungleichheit garantierte. Zugleich wäre tendenziell Entscheidendes gegen einen Konsumstil unternommen, der aus Sicht des Klimaschutzes oder breiter noch, aus ökologischen Gründen, nicht verallgemeinerbar ist. Und – wie gesagt – die Freiheit (fast) aller gewänne!