Bevor Polens große Politik nun in die Sommerpause verschwindet, gab es im Juni noch das eine oder andere Geplänkel, das festgehalten verdient. Zunächst verloren die Nationalkonservativen zur allgemeinen Überraschung plötzlich ihre absolute Sejm-Mehrheit. Erstmals seit den Herbstwahlen von 2015 hat das Kaczyński-Lager nun keine stabile Parlamentsmehrheit hinter der Regierung, auch wenn im Regierungsfernsehen schnell entwarnt wurde, denn natürlich verfüge die Regierung weiterhin und stabil über den erforderlichen Rückhalt in der Abgeordnetenkammer. Drei Abgeordnete, die bislang zur nationalkonservativen Fraktion gehört hatten, bilden nun eine eigene kleine Gruppe, brachten die Mehrheitsverhältnisse mit ihrem überraschenden Schritt wieder zum Tanzen. Was dieser Schritt tatsächlich bedeutet, wird erst im Herbst näher zu beurteilen sein, allerdings hat das Kaczyński-Lager nun einen weiteren triftigen Grund, auf vorzeitige Neuwahlen zu drängen, sobald Umfragen einen günstigen Ausgang signalisieren.
In ersten Stellungnahmen verwiesen die Abtrünnigen darauf, dass die Sozialpolitik der Regierung immer mehr dem Gießkannenprinzip zu Edward Giereks Zeiten ähnele, also immer mehr abdrifte von einem gemäßigt wirtschaftsliberalen Kurs. Wichtiger in der Kritik aber ist der Punkt, der die inneren Verhältnisse in der Kaczyński-Partei selbst anspricht, denn alle wichtigen Entscheidungen über Personalpolitik und programmatische Ausrichtung würden ausschließlich ganz oben gefällt, das einzelne Parteimitglied habe kaum noch einen Einfluss auf die Dinge, was schließlich dazu führen müsse, dass die Partei auch ihr treues Wählerpotential verlieren könnte. Der Schritt heraus aus der Fraktion sei auch zu verstehen als eine eindringliche Warnung, sich im nationalkonservativen Lager endlich koalitionsbereit oder koalitionsfähig zu zeigen, denn von weitere Alleinregierungen sollte eher nicht ausgegangen werden.
Als ein solches Warnzeichen für die Regierenden wurde in den Medien auch die jüngste Direktwahl des Stadtpräsidenten in Rzeszów gewertet. Die Karpaten-Wojewodschaft ganz im Südosten Polens gilt eigentlich als eine schier unbezwingbare Hochburg der Nationalkonservativen. Hier wird bestens sichtbar, wie aus der Mischung aus dem Stolz auf den mittlerweile erreichten und nicht zu übersehenden Wohlstand sowie der diffusen Angst vor den künftigen Herausforderungen, die auf das Land zukommen werden, geeigneter Wahlkampfstoff für die Nationalkonservativen gewonnen werden kann. Rzeszów, die knapp 200.000 Einwohner zählende Provinzhauptstadt, macht da im Grunde gar keine Ausnahme, umso gespannter wartete man nun auf das Ergebnis.
Da der langjährige Amtsinhaber aus Altersgründen vorzeitig zurücktrat, waren im Juni Neuwahlen fällig. Die demokratische Opposition einigte sich schnell auf einen gemeinsamen und aussichtsreichen Kandidaten, der den Vorteil mitbrachte, die Stadt und ihre Bewohner aus langjähriger Arbeit in den Stadtstrukturen selbst bestens zu kennen. Der Liberale Konrad Fijołek gewann bereits im ersten Wahlgang die notwendige absolute Stimmenmehrheit; außerdem waren die erreichten 56,5 Prozent der abgegebenen Stimmen ein Schlag ins Gesicht des Kaczyński-Lagers. Das nämlich war zu den Wahlen getrennt marschiert, konnte sich nicht einmal auf einen gemeinsamen Kandidaten oder eine gemeinsame Kandidatin einigen. Die von Kaczyński und Ministerpräsident Morawiecki massiv unterstützte Kandidatin kam deutlich abgeschlagen auf einen zweiten Platz, ein von Justizminister Ziobro ins Rennen geschickte Staatssekretär und Vizeminister fiel gleich ganz durch. Anschließend kolportierten Regierungsmedien, dass die Niederlage dem inneren Streit im Regierungslager zuzuschreiben sei, denn ein gemeinsamer Kandidat der Nationalkonservativen hätte den unerwarteten Durchmarsch der Opposition zu verhindern gewusst. Das aber darf bezweifelt werden, denn das geschlossene Zusammengehen im demokratischen Oppositionsbogen hat sich ausgezahlt, was eben den Ruf, nun auch im Regierungslager an künftige Koalitionsmöglichkeiten zu denken, verstärkt.
Allerdings ist Rzeszów nicht Warschau, die Wahl eines Stadtoberhaupts nicht die Wahl des Parlaments. Dort wird es nach Lage der Dinge ein so enges Zusammengehen der Opposition nicht geben, erst hinterher kann über ein taktisches Zusammengehen gesprochen werden. Außerdem müssen sich die einzelnen Teile im Oppositionsbogen zusammenfinden, noch darf das Regierungslager frohlocken, denn die Unruhe überall dort ist unverkennbar. Zuletzt hatte Donald Tusk überraschend angekündigt, nach den vielen Jahren in Brüssel nun wieder in die polnische Innenpolitik einsteigen zu wollen. Falls er das tun sollte, könnte er sich als künftiger Oppositionsführer verstehen, doch ist die Lage äußerst unübersichtlich. Einige Beobachter gehen sogar soweit und behaupten, niemand würde noch auf Tusk warten, denn die Zeit von Leuten wie Kaczyński und Tusk sei nun abgelaufen. Insofern ist interessant, dass Rafał Trzaskowski – Warschaus Stadtpräsident und im letzten Jahr der knapp unterlegene Herausforderer Andrzej Dudas – seinerseits ankündigte, den Parteivorsitz bei den immer liberaler werdenden Bürgerlichen übernehmen zu wollen.
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