Das Konzept der Gemeinsamen Sicherheit war zu Beginn der 1980er Jahre, auf einem der Höhepunkte des Kalten Krieges, von der sogenannten Palme-Kommission entwickelt worden. Unter der Leitung des damaligen schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme arbeiteten damals Politiker und Wissenschaftler aus West und Ost zusammen, darunter der Architekt der Neuen Ostpolitik der BRD, Egon Bahr. Der Kerngedanke des Konzeptes besagte, dass hochgerüstete Gegner unter den Bedingungen der Existenz von Atomwaffen Sicherheit nicht ohne und schon gar nicht gegeneinander, sondern nur gemeinsam miteinander erlangen könnten. Dies setzte Kooperation statt Konfrontation zwischen ihnen voraus.
In den Beziehungen zwischen dem Westen, in Sonderheit der NATO, und Russland ist Konfrontation heute wieder dominierend, herrscht eine Gesamtsituation, die Züge eines neuen Kalten Krieges aufweist – bis hin zur Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung, wie gerade erst die Zwischenfälle während eines NATO-Ukraine-Manövers im Schwarzen Meer gezeigt haben, bei denen russische Streitkräfte und Kriegsschiffe aus Großbritannien und den Niederlanden nur knapp an direkten Zusammenstößen vorbeischrammten. Allerdings gab sich der russische Präsident nach dem Vorfall mit britischen Zerstörer „HMS Defender“ befremdlich optimistisch: „Selbst wenn wir dieses Schiff versenkt hätten, wäre es schwer vorstellbar gewesen, dass sich die Welt auf den Weg zum Dritten Weltkrieg gemacht hätte“, so Putin. „Die Welt weiß, dass sie aus diesem Krieg nicht als Sieger hervorgehen würde.“
Angesichts dieser Lage an das Konzept der Gemeinsamen Sicherheit zu erinnern, wie es die Zeitschrift Wissenschaft und Frieden gerade mit einem Dossier getan hat, war überfällig! Wem es damit jedoch Ernst ist, wer „Entspannungspolitik neu denken“ will, wie Ulrich Frey in seinem Auftaktbeitrag, der sollte der Vermittelbarkeit seiner Überlegungen gegenüber Eliten, Medien und Öffentlichkeit nicht selbst Hürden errichten – wie etwa durch Erklärungsherleitungen wie die folgende: „Gegenseitiges Vertrauen wurde seit 1990 kontinuierlich zerstört, z.B. durch die Osterweiterung der NATO, den Ukraine-Konflikt ab 2014, die Annexion der Krim und aktuell die Affäre Nawalny.“ Eine Verantwortungszuweisung an die NATO, drei an Russland – das erinnert denn doch fatal an das in Politik und Medien im Westen inzwischen allgemein übliche Russland-Bashing. Wenn man bei den Fakten bleibt, ergibt die wechselseitige Saldierung ein weitaus ausgeglicheneres Bild. Zur Erinnerungsauffrischung kann hier ein aktuelles Feature von Andreas von Westphalen empfohlen werden: „Die Samen des Misstrauens. Russland und der Westen während Jelzin und Clinton“: (Zum Wortlaut hier klicken.)
Zum „Anteasern“ noch einige Gedanken aus dem Dossier:
- Die „Geschichte der ‚KSZE‘ und ihrer Nachfolgekonferenzen“ lasse sich „im Nachhinein wie eine Gebrauchsanleitung für ertragreiche Vertrauensbildung gelesen […]. Zum einen, weil die ‚Kleinen‘ mit den ‚Großen‘ an einem Tisch saßen und tatsächlich eine Stimme hatten. Zum anderen, und das war der Clou, weil auch Spitzenmilitärs eingebunden wurden und erfolgreich über Waffeninspektionen vor Ort, Manöverbeobachtung und andere ‚Kontrollregime‘ verhandelten.“ (Bernd Greiner/Bernd Rother)
- Am dringendsten sei gegenwärtig „ein Abkommen zwischen der NATO und Russland über die Verhinderung gefährlicher militärischer Aktivitäten“. (Wolfgang Zellner)
- „‚Kooperative Sicherheit‘ heißt ‚Verhandlungsbereitschaft‘ und in weiterer Konsequenz ‚Interessenausgleich‘ – auch mit Autokratien.“ (Simon Weiß)
- „Für Deutschland lässt sich […] fordern, sich mit der Notwendigkeit und dem Nutzen der Stationierung von amerikanischen Atomwaffen auf deutschem Gebiet ernsthaft auseinanderzusetzen und nicht sofort auf NATO-Geheimhaltungsverpflichtungen zu verweisen, sobald eine demokratisch gerechtfertigte Debatte in der Bevölkerung und im Bundestag gefordert wird.“ (Maren Vieluf)
Alexandra Dienes et al.: Mehr „Gemeinsame Sicherheit“ wagen. Neue Impulse zur Entspannung für eine hochgerüstete Welt, Wissenschaft und Frieden, Dossier 92, Marburg 2021; zur Online-Ausgabe hier klicken.
Schlagwörter: Entspannung, gemeinsame Sicherheit, NATO, Russland, Wolfgang Schwarz