23. Jahrgang | Nummer 26 | 21. Dezember 2020

In düsteren Zeiten

von Jan Opal, Gniezno

Gäbe es in Polen einen Preis für den Maulhelden des Jahres, so müsste der jetzt an den Justizminister gehen. Zbigniew Ziobro, zugleich Generalstaatsanwalt, hatte seit Wochen den starken Mann gemimt, überall kraft seines Amtes zum Besten gegeben, dass die Knebelung Polens und die Aufgabe der nationalen Souveränität drohe, wenn in Brüssel bei der entscheidenden Haushaltsfrage die Koppelung an die Rechtsstaatlichkeitsformel hingenommen werde. In erster Linie nahm er den Regierungschef aufs Korn, denn er gab Mateusz Morawiecki den klugen Rat auf dem Weg, standfest in den Verhandlungen mit den Gegnern in Brüssel und vor allem in Berlin zu bleiben, sonst werde das ganze Land unweigerlich über den Tisch gezogen. Schließlich steigerte er seine entschlossene Haltung medienwirksam in die Alternative – Veto oder Tod.

Morawiecki hatte vorgebaut, denn er konnte in den Wochen vor der Entscheidung gar nicht absehen, wie er in Brüssel entscheiden wird – unterschreiben oder nicht unterschreiben. Entsprechend faselte er öffentlich davon, dass die Europäische Union damals, als Polen im Mai 2004 den Gemeinschaftsstrukturen beigetreten war, eine andere gewesen sei als jetzt im Jahre 2020. Fast klang es wie eine vorweggenommene Austrittserklärung der polnischen Regierung, allerdings war es nur die taktische Rückversicherung gegenüber dem widerspenstigen Minister, der das in den Dezembertagen sich immer deutlicher abzeichnende Nachgeben in der EU-Frage partout nicht mittragen wollte. Das ganze Regierungslager stand vor einem Dilemma, denn ein Regierungsaustritt Ziobros hätte das Ende der nationalkonservativen Alleinregierung bedeutet, was Jarosław Kaczyński angesichts der gegen ihn im Herbst hochgeschaukelten Stimmungslage in keinem Fall riskieren wollte.

Ziobros Alternative Veto oder Tod war aber der Aufruf zum Austritt Polens aus der EU, daran ließ der Justizminister in den zurückliegenden Wochen keinen Zweifel mehr. Er war plötzlich ganz klar der Mann, der Englands Beispiel folgen wollte – Joe Bidens Sieg in den USA hin oder her. Nachdem Morawiecki in Brüssel nun seine von Kaczyński diktierte Unterschrift unter das für die Gemeinschaft überaus wichtige Papier setzte, wartete Polens Öffentlichkeit gespannt auf die Reaktion des ganz nach rechts ausgescherten Ministers. Der ließ sich allerdings Zeit, gefiel sich noch einmal in der Pose des unnachgiebigen, des die Geschicke Polens um jeden Preis verteidigenden Ministers – bevor er dann in aller Öffentlichkeit einknickte. Die Entscheidung, trotz der Brüsseler Morawiecki-Unterschrift in der Regierung zu bleiben, sei schwergefallen, indes sei sie nötig, schließlich wolle er standhaft weiterkämpfen für Polen und dessen nationale Souveränität. Das aber könne er nun einmal am besten auf dem Posten, auf dem er stehe, also in der Regierung!

Seit dem Sommer hatte Ziobro versucht, Morawiecki unter Druck zu setzen, indem er die Genderfrage, die LGBTIQ+-Frage und schließlich die EU-Frage zur öffentlichen Diskussion stellte, um insbesondere den Regierungschef als einen Wortbrüchigen vorzuführen, der das eine sagt, das andere aber tut. Nun aber ist er selbst in die Situation geraten, öffentlich zugeben zu müssen, nicht mehr tun zu können, was er lauthals versprochen hat. So endet das Jahr mit der Niederlage des Justizministers, der allerdings noch immer sicher sein kann: Fällt er, fällt auch Kaczyński.

Der nun versteckt sich hinter der Pandemie-Situation, versucht zugleich den überall schwelenden Frauenprotest endgültig zu ersticken, ohne in der Sache noch zuzuspitzen. Insofern müsste Kaczyński den widerspenstigen Ziobro mitsamt Gefolge jetzt ziehen lassen, was aber die Flanke ins Lager der Nationalisten-Faschisten gefährlich öffnete. Hin zur gemäßigt konservativen Seite aber sind die Gräben im zurückliegenden Jahr tiefer und fester geworden. Die Schlacht um die Präsidentschaftswahl im Frühjahr und Sommer, die heftigen Auseinandersetzungen mit Lesben, Schwulen und schließlich mit den Frauen haben dem Kaczyński-Lager die Grenzen aufgezeigt, das nun in der Klemme sitzt.

Gerettet haben sich die Nationalkonservativen einstweilen mit der allgegenwärtigen Corona-Krise, die öffentliches Leben unweigerlich herunterdrückt, beschränkt und unübersichtlicher macht. In der Frage der EU-Mitgliedschaft haben die Regierenden noch einmal ein Maß gefunden, das sie in der Kurve hält, auch wenn die eine scharfgezogene Rechtskurve bleibt. Kaczyński hat im Juli den Staatspräsidenten seiner Wahl im Amt halten können, noch hält die Alleinregierung. Doch unter dem Strich lassen sich die enormen Verluste, die die politischen Kämpfe 2020 gefordert haben, nicht mehr wegdrücken. Die Reserven sind aufgebraucht, der enorme Rückhalt auf dem flachen Land und in der katholischen Kirche wird in den kommenden Monaten nicht mehr reichen, um neue, frische Kräfte zuzuführen. Die Kraft, die Gesellschaft unter dem Zeichen der nationalkonservativen Revolution zu führen, ist im zurückliegenden Jahr verloren gegangen. Kaczyńskis ausgerufene „Insel der Freiheit“ ist zwar noch nicht untergegangen, aber sie ist indes viel kleiner geworden.