23. Jahrgang | Nummer 24 | 23. November 2020

Zugunsten der Freiheit

von Henryk Goldberg

Es gibt Sätze, die schreibt und sagt man nicht so gern. Weil sie so oder ähnlich auch von den falschen Leuten geschrieben und gesagt werden. Aber weil die „richtigen“ Leute sie nicht schreiben und sagen, treten sie vermehrt und aggressiv bei den „falschen“ Leuten auf. Und, das vor allem, bei den ganz normalen Leuten. So entsteht eine Atmosphäre.

Natürlich hat Kevin Kühnert Recht, der, nachdem ein Lehrer in Paris durch einen muslimischen Jugendlichen enthauptet wurde, der Linken, damit ist nicht nur die Partei gemeint, ein „unangenehm auffälliges Schweigen“ attestiert. Aber das betrifft nicht nur das linke Lager, es betrifft auch viele, die sich als liberal, als demokratisch, als humanistisch verstehen. Wir wollen nicht klingen wie die Hetzer, wie die Verseucher. Deshalb wird jede Entgleisung der AfD, die ich, übrigens, ekelerregend finde, deshalb also wird jede Entgleisung dieser Partei mit mehr Furor aufgenommen als die Ermordung eines Menschen durch Islamisten, im Namen des einzigen Gottes.

In Berlin reagierte ein Schüler gegenüber seiner Lehrerin auf angedrohte Sanktionen mit dem Satz „Wenn das passiert… dann mache ich mit dir das Gleiche wie der Junge mit dem Lehrer in Paris.“ An einer anderen Berliner Schule habe ein muslimischer Schüler der achten Klasse die Schweigeminute für den ermordeten Lehrer gestört und erklärt, dieser habe „doch das bekommen, was er verdient hat. Der gehörte hingerichtet. Er hatte den Propheten beleidigt.“ Es gibt verschiedene solche Berichte aus verschiedenen deutschen Städten. Das sind Schüler, die in den nächsten Jahren erwachsen werden. Und dann sind sie immer noch hier und sie denken, vermutbar, immer noch so.

Es sind nicht nur Linke, die immer wieder auf die Einzelfälle verweisen, die immer wieder davor warnen, die Muslime als Gesamtheit zu verdächtigen, zu diskriminieren. Das aber wird nun endgültig nicht mehr funktionieren, nach Dresden, nach Berlin, nach Paris, nach Nizza. Diese Terrorakte sind nicht weniger grausam, nicht weniger zu verurteilen als der von Halle, als der Täter ein Rechter war, ihre Hintermänner und Hintergründe sind nicht weniger gründlich aufzuhellen als es in Halle geschah.

Es ist aber so, dass genau dieser abschwächende, abwiegelnde Umgang mit dem Problem Islamismus genau diesen generellen Verdacht, diese kollektive Inhaftungnahme verstärkt. Weil viele Menschen, wohl nicht zu Unrecht, vermuten, dass diese beschwichtigende Haltung sich nicht zuletzt aus der Angst speist, anderen Falles könne die deutsche Migrationspolitik noch stärker, noch aggressiver in Frage gestellt werden. Aber genau das geschieht, genau deshalb. Wer die Menschen, die hier Schutz suchen, wirklich schützen will, der darf die damit verbundenen Probleme nicht verharmlosen.

Der Islam gehört zu Deutschland. Der Satz beschreibt, unabhängig von seiner Akzeptanz, einfach eine Tatsache, an der sich nichts mehr ändern wird. Und deshalb muss auch ein anderer Satz in Geltung stehen, und auch hier unabhängig von seiner Bewertung: Der Islamismus gehört zum Islam.

Natürlich ist das kein Generalverdacht gegenüber jedem, der zu Allah betet, natürlich lebt die Mehrheit der beinahe zwei Milliarden Muslime friedlich ihre Religion. Aber ebenso natürlich ist die islamistische Minderheit so groß, so global, dass sie eine Gefahr darstellt. Und unterhalb der Ebene der aktiven Islamisten gibt es eine Schicht, die Beifall spendet oder doch wenigstens toleriert. Der frühe Islam wurde mit dem Schwert verbreitet, das ist Teil seiner DNA, nicht der alleinige, aber ein beträchtlicher, eine weithin akzeptierte Aufklärung hat es in dieser Religion nie gegeben.

Diese konsequente Auseinandersetzung mit dem Islamismus, der Teil des Islam ist, muss geführt werden, auf allen Ebenen. Auch und vor allem auf denen des Staates, der Legislative wie der Exekutive. Ein Verfassungsrechtler äußerte, über die Entscheidung des sächsischen Oberverwaltungsgerichtes, es gäbe im Zweifelsfall „eine Vermutung zugunsten der Freiheit“. Ich vermute, wir müssen uns den Problemen des Islam härter und offener stellen, zugunsten der Freiheit. Dann, vielleicht, schaffen wir das.