In Polen wird am 28. Juni gewählt, in Direktwahl wird über das Amt des Staatspräsidenten für die kommenden fünf Jahre befunden. Im Schatten der Corona-Krise wollte Jarosław Kaczyński, Parteichef der regierenden nationalkonservativen PiS (Recht und Gerechtigkeit), unbedingt am 10. Mai festhalten, dem ursprünglich festgelegten Wahltermin, um ganz nebenbei die Entscheidung für Amtsinhaber Andrzej Duda durchzudrücken. In den Auseinandersetzungen gefährdete er sogar die eigene Regierungsmehrheit, musste schließlich aber zähneknirschend nachgeben. Nun hatte er der Opposition erneut gedroht: Der 28. Juni sei das letzte Zugeständnis des Regierungslagers, der Termin werde mit allen Mitteln gehalten. Welche Mittel er meinte, ließ er wohlweislich offen.
Die Entscheidung für den 28. Juni ist unter Verfassungsrechtlern höchst umstritten, doch kommen die meisten andererseits zu dem Schluss, dass ein Wahlgang noch vor der großen Sommerpause eine handfeste Staatskrise, in die das Land abzurutschen drohe, in letzter Minute verhindern könne. Jedenfalls bekräftigen nun alle antretenden Seiten, das Ergebnis akzeptieren und sich der Wahl politisch stellen zu wollen. Ob das auch für das Regierungslager gilt, falls Duda die Abstimmung verlöre, bleibt abzuwarten, denn einige Hintertürchen hat sich Kaczyński, worauf Experten immer wieder verweisen, noch offengehalten.
Über die Bedeutung des Wahlgangs hatte er bereits im vergangenen Jahr am Abend des 13. Oktober orakelt. Gerade erst war die absolute Mehrheit der Abgeordnetensitze im Sejm für die Nationalkonservativen gesichert, da malte der mächtige Parteichef seinen überraschten Anhängern den Teufel an die Wand: Gehe die Präsidentschaftswahl 2020 verloren, folge die Katastrophe. Auch deshalb hatte er versucht, die Entscheidung unter den Bedingungen eines weitgehend heruntergefahrenen öffentlichen Lebens noch im Frühjahr herbeizuführen.
Noch immer liegt Duda (Jahrgang 1972) in den Umfragen vorne, doch längst hat man sich im Präsidentenpalast damit abgefunden, die erforderliche absolute Mehrheit der Stimmen womöglich nicht im ersten Wahlgang zu erhalten, sondern 14 Tage später in die Stichwahl zu müssen. Insofern ist der Blick auf die Herausforderer jetzt interessanter.
Auf der linken Seite tritt Robert Biedroń (Jahrgang 1976) an, ehemaliger Sejm-Abgeordneter, später Stadtpräsident in Słupsk, jetzt bei den Sozialisten Mitglied im Europäischen Parlament. Noch vor zwei Jahren wurde er in den liberalen Medien gerne als der polnische Macron gefeiert, also als aussichtsreicher Herausforderer Dudas gehandelt. Von diesem Medienglanz ist wenig übrig, ein zweistelliges Resultat wäre unter den gegebenen Bedingungen bereits ein Erfolg. Die Corona-Krise hat dem Kandidaten außerdem die schärfste Waffe aus der Hand geschlagen – den öffentlichen Auftritt.
Rafał Trzaskowski (Jahrgang 1972), seit Herbst 2018 Stadtpräsident in Warschau, sucht vor allem die liberale Urbanität in den großen Städten des Landes in die Waagschale zu werfen, die er klar als Zugpferde sieht für ein selbstbewusstes Polen, das sich pro-europäisch und weltoffen versteht. Ihm vor allem wird zugetraut, in einer möglichen Stichwahl die Wählerstimmen der anderen Oppositionskandidaten im demokratischen Spektrum binden zu können. Auch deshalb verwies er frühzeitig auf eine historische Parallele: Der jetzige Wahlgang sei ein neuer 4. Juni, also die Wiederholung jener historischen Abstimmung im Jahre 1989, bei der das Machtmonopol der Staatssozialisten gebrochen werden konnte.
Im liberalen Feld fischt außerdem Szymon Hołownia (Jahrgang 1976), der aussichtsreichste unabhängige Kandidat, ein bekannter Journalist und Fernsehmann. Stabil werden ihm zweistellige Umfragewerte zugeschrieben, zeitweise wurde sogar der Einzug in die Stichwahl für möglich gehalten. Er ist sicherlich erste Wahl für diejenigen, die in einem parteiunabhängigen Kandidaten eine Chance sehen, aus der Zwickmühle einer zugespitzten innenpolitischen Situation herauszukommen, ohne den Nationalkonservativen das Feld kampflos überlassen zu müssen.
Den konservativen Part im demokratischen Oppositionsspektrum füllt Władysław Kosiniak-Kamysz (Jahrgang 1981) aus, Arzt und Parteivorsitzender der moderaten Agrarier, der PSL. Er ist dort stärker, wo die anderen Herausforderer schwach sind: in Wählergruppen, die konservativ, gottgefällig und ländlich ausgerichtet sind, die in den Großstädten mit ihrem schnellen Lebensrhythmus eher Gefahren als Chancen für das Gemeinwohl wittern. Da die Chancen, in die Stichwahl zu kommen, derzeit nicht größer werden, ist es eine schwierige Aufgabe, die eigene Wählerklientel bei Laune zu halten, so dass sie ihre Stimme im zweiten Wahlgang doch dem Kandidaten der ungezähmten Großstadt geben wird. Das Übergewicht der Nationalkonservativen auf dem flachen Land muss also ausgehalten werden, um dem demokratischen Oppositionslager auch in der Stichwahl wichtige, vielleicht sogar wahlentscheidende Stimmen zuzuführen.
Vom rechten Rand aus attackiert Krzysztof Bosak (Jahrgang 1982). Bosak war bereits von 2005 bis 2007 Sejm-Abgeordneter und ist es seit 2019 wieder. Hinter ihm stehen vor allem jene Kräfte, die in den letzten Jahren am 11. November, dem Unabhängigkeitstag, mit einem großen rechtsnationalen Aufmarsch regelmäßig die Aufmerksamkeit der Medien auf Warschau zu ziehen. Die Feindbilder bei dem gespenstischen Spektakel sind im Novembergrau immer klar – die EU-Mitgliedschaft und die liberal ausgerichteten Großstadtschichten. Einer der vielen Vorwürfe gegen die Nationalkonservativen: Sie regierten das Land viel zu sehr, führten es hingegen zu wenig! Die ansonsten kaum zu übersehenden Differenzen zwischen den Nationalkonservativen und den liberalen Herausforderern verschwimmen auf dieser Seite oft genug zu einem unkenntlichen Brei, vollgefüllt mit „europäischem Sozialismus“, der als große Gefahr für Gott, Volk und Vaterland stilisiert wird. Die Wahlvorhersagen gehen meistens aber davon aus, dass die für Bosak abgegebenen Wählerstimmen in einer Stichwahl Duda zufallen könnten.
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