Direktwahlen für das Amt des Staatspräsidenten werden in Polen zum siebenten Mal durchgeführt. Nur ein einziges Mal blieben Überraschungen aus: Aleksander Kwaśniewski gelang es im Jahre 2000, sein Amt bereits im ersten Wahlgang zu behaupten. Ansonsten ist die dreißigjährige Geschichte dieser Wahlen mit unerwarteten Ausgängen, mit überraschenden Niederlagen und Siegen geschmückt.
Im Spätherbst 1990 rechneten alle mit einer Stichwahl zwischen dem legendären „Solidarność“-Führer Lech Wałęsa und dem seit Sommer 1989 amtierenden Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki. Wałęsa hatte den von der Regierung eingeschlagenen Weg scharf kritisiert, weil dabei zu viele Rücksichten auf das alte System genommen worden seien. Er nutzte geschickt die sich breitmachende Unzufriedenheit mit der sozialen Situation aus. Mazowiecki verteidigte den Weg von 1989, der mit dem Runden Tisch begonnen hatte. Doch es kam anders, denn in die Schlussrunde zog neben Wałęsa mit Stanisław Tymiński ein vollkommen unbekannter Mann ein, der in der ersten Runde immerhin über 23 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt. Tymiński firmierte an der Spitze einer unbedeutenden steuerkritischen Partei im fernen Kanada, eröffnete mit seinem überraschenden Erfolg an der Weichsel aber die Tradition von Kandidaten, die unabhängig vom laufenden politischen Tagesgeschäft sein wollen. Wałęsas überlegener Sieg in der Stichwahl stand nicht in Frage, Mazowiecki reichte bald den Rücktritt als Ministerpräsident ein. Ein wichtiger Stichwortgeber an der Seite Wałęsas war damals Jarosław Kaczyński.
Fünf Jahre später wurde Wałęsa böse überrascht, verlor im Dezember 1995 die Stichwahl gegen den jungen Herausforderer Aleksander Kwaśniewski. Der hatte als Kandidat einer konsolidierten Linken, die sich im Kern sozialdemokratisch ausrichtete und bereits Regierungen führte, mit einem frischen Wahlkampf vor allem jüngere Wählerschichten auf seine Seite ziehen können. Mit der Losung „Wir wählen die Zukunft“ sprang er gekonnt über die tiefen Gräben hinweg, die im ehemaligen „Solidarność“-Lager aufgerissen waren und das ganze Land in den Strudel politischer Ungewissheit zu ziehen drohten. Mit dem knappen Sieg über den haushohen Favoriten brachen zehn Jahre an, in denen Kwaśniewski das Präsidentenamt zum gewinnenden Ruhepol der polnischen Politik machte.
Im Herbst 2005 kam es zum Zweikampf zwischen Donald Tusk und Lech Kaczyński, die beide aus der „Solidarność“-Bewegung hervorgegangen waren. Es war der Beginn einer unerbittlichen Rivalität zwischen den beiden wichtigsten bürgerlichen Ausrichtungen, die bis heute anhält. Lange Zeit sah der einen liberal-konservativen Kurs befürwortende Tusk wie der klare Favorit aus, ließ sich bereits im Sommer als „Präsident Polens“ plakatieren, doch schnappte ihm auf der Zielgeraden der konservativ-national ausgerichtete Lech Kaczyński die bereits sicher geglaubte Siegespalme weg. Zwillingsbruder Jarosław hatte angeordnet, ihn in der Kampagne als den „Präsidenten der Vierten Republik“ herauszustellen. Damit war das Programm aus der Taufe gehoben, die aus dem Runden Tisch von 1989 hervorgegangene Dritte Republik insgesamt zu desavouieren. Am Wahlabend salutierte Lech Kaczyński seinem Zwillingsbruder, dem Parteivorsitzenden, und meldete, die gestellte Aufgabe erfüllt zu haben.
Darüber zu befinden, ob Lech Kaczyński im Herbst 2010 das Amt verteidigt hätte, ist müßig. Der Amtsinhaber kam im April 2010 bei einem Flugzeugunglück tragisch ums Leben, doch wichtig ist, den Hintergrund nicht außer Acht zu lassen. Das Unglück geschah, als Lech Kaczyński sich auf dem Weg zu den Jubiläumsfeierlichkeiten nach Katyn bei Smolensk befand. Der Weg seiner Wiederwahl sollte mit solchen Höhepunkten symbolischer Politik gepflastert werden.
Tusk, damals seit drei Jahren Ministerpräsident, hatte bereits im Januar 2010 abgewinkt, er wolle, so ließ er verbreiten, lieber regieren und sich um ernsthafte Politik kümmern, nicht aber die Kronleuchter im Präsidentenpalast bewachen. Er rechnete damit, dass die Bedeutung des Präsidentenamts künftig abnehmen werde, der ganze Schwerpunkt der laufenden Politik immer mehr den parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen zufallen werde. Ins Rennen ging Bronisław Komorowski, der nun plötzlich im Frühsommer 2010 gegen Jarosław Kaczyński antreten musste, der die Rolle seines Zwillingsbruders übernommen hatte. Komorowski gewann die Stichwahl doch mit einem Abstand, der höher als erwartet war. Den Ausschlag gab das Versprechen einer ruhigen, geordneten Präsidentschaft. Die Amtsführung erinnerte sogar ein wenig an Mazowiecki – konservativ im Kern, doch mit gehöriger liberaler Öffnung.
Die meisten Beobachter gingen 2015 von einem sicheren Sieg Komorowskis aus, der Amtsbonus sollte es richten. Jarosław Kaczyński hatte zur Überraschung vieler mit Andrzej Duda einen Hinterbänkler in den Kampf ziehen lassen, einen weit nach rechts ausholenden Gernegroß, der Komorowski überraschend das Nachsehen gab. Duda hatte die Kampagne angriffslustig inszeniert, den Amtsinhaber kalt erwischt bei Themen, die nun unbequem geworden waren. Während der Amtsinhaber in der Schlussphase der Kampagne schwerfällig und angeschlagen wirkte, noch einmal die Würde des Amtes und politische Vernunft in die Waagschale zu werfen suchte, versprach Duda immerzu, dass es ein „weiter so“ nicht mehr geben dürfe. Er nutzte aus, dass der einstige Leuchtturm in der polnischen Politik, der Beitritt zur Europäischen Union von 2004, bereits in weiter Ferne verschwamm und noch dazu im Rücken lag. Um allen Versprechungen eine Klammer zu bieten, wurde keck herausgestellt, eine neue Verfassung anstelle der ungeliebten aus dem Jahre 1997 durchsetzen zu wollen. Und mitunter schien es, als spielte der Herr Parteivorsitzende im Hintergrund gar keine Rolle mehr.
Ein Trugschluss, wie heute jeder weiß. Wieder ist Duda in die Rolle des Angreifers geschlüpft, er bellt und beißt, so als sei er der Herausforderer von damals. Die Würde des Amtes ist hingegen weniger bedeutend, der Zweck heiligt die Mittel. Am Abend des 12. Juli will Duda pflichtgemäß demjenigen die Erfüllung der gestellten Aufgabe vermelden, von dem sein gesamtes politisches Dasein abhängt. Jarosław Kaczyński hätte dann den krönenden Abschluss seiner politischen Laufbahn in der Tasche.
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