Die in der zurückliegenden Woche in Polen erlassenen Regeln zur weiteren Einschränkung des öffentlichen Lebens gleichen jetzt denen in benachbarten Ländern. Den kleinen Unterschied machen die Ausnahmen, die nun durchaus typisch für Polen sind. Während ab sofort drei zusammenstehende Personen im öffentlichen Raum, die nicht zu einer Familie gehören, die Versammlungsfreiheit übertreten, dürfen beim Gottesdienst fünf Personen nebst Geistlichem gleichzeitig in dem Raum sich aufhalten. Und für die Familie ist gleich gar keine zahlenmäßige Begrenzung vorgegeben, jedenfalls wurde nichts dergleichen festgelegt. Allerdings wurde der anderswo gebräuchliche Begriff des Haushaltes eingespart. Das alles aber sind nur unbedeutende Kleinigkeiten – und Polen kann ja nicht plötzlich Holland sein!
Anderes ist wichtiger, denn noch immer spuken die direkten Präsidentenwahlen am 10. Mai durch das stillgelegte Revier. Das nationalkonservative Regierungslager, der amtierende Staatspräsident Andrzej Duda und vor allem Jarosław Kaczyński sind sich hierin einig – die Wahlen sollen trotz fortschreitender Corona-Krise durchgeführt werden, eine Verlegung, wie sie mittlerweile die Opposition fordert, komme nicht in Frage. Auch die Tatsache, dass in Umfragen über 70 Prozent der Landeskinder erklären, es wäre besser die Wahlen zu verschieben, macht noch wenig Eindruck auf die Regierenden. Polen brauche, so heißt es aus dieser Richtung, gerade in schwierigen und außergewöhnlichen Zeiten an der Spitze ein Staatsoberhaupt mit gestärktem, also dem frisch bestätigten Mandat für weitere fünf Jahre.
Der Streit um den Chef der Rundfunkanstalt zwischen Kaczyński und Duda (siehe Blättchen 6/2020), der noch vor wenigen Wochen die Gemüter im Lande beschäftigte, wurde inzwischen einvernehmlich beigelegt. Kaczyński schluckte die Kröte der Ablösung seines strammen Gefolgsmannes, doch schaffte er es in einer geschickten Windung, sein bestes Schlachtross an der Propagandafront als Chefberater eben jener staatlichen Rundfunkanstalt durchzusetzen, der dieser bisher vorgesessen hatte. Jetzt kämpfen also Kaczyński und Duda Schulter an Schulter für die pünktliche Durchführung der turnusmäßigen Wahlen. Da die Umfragen inzwischen sogar Rückenwind verheißen, rechnet man bei den Nationalkonservativen wieder mit einem Sieg im ersten Wahlgang, also mit mehr als 50 Prozent der abgegebenen Stimmen.
Während die Herausforderer seit dem Zurückfahren des öffentlichen Lebens in den Medien und auch anderswo immer weniger zu sehen sind, kann Duda fast im Tagestakt zu besten Sendezeiten glänzen, hat er sich doch schnell aufschwingen können zu Polens erstem Ritter bei der Landesverteidigung gegen die anrückende Virusgefahr. Aus seinem Umfeld heißt es jetzt, dass nichts gegen den Wahltermin spreche, denn natürlich habe der Amtsinhaber die schwierigste Ausgangsposition, sei er doch jetzt vollkommen an seine Staatspflicht gebunden, könne sich um den Wahlkampf – und anders als die Herausforderer – gar nicht mehr kümmern.
In diese Kerbe haut auch Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, der virtuos die umfangreichen Ausnahmegesetze als einen die Rechte der Bürger zwar einschränkenden Zustand erklärt, der natürlich dem Ernst der Lage entspreche, der aber weder ein Ausrufen des Katastrophenfalls oder des Ausnahmerechts rechtfertige. Deshalb gebe es auch keine Veranlassung, den Wahltermin zu verschieben, wobei die Bürger jetzt allerdings die – zugegeben – nicht leichte Aufgabe hätten, sich schnell auf die neue Normalität einzustellen. Als er den Regierungsbeschluss erklärte, ab 15. März alle Landesgrenzen zu schließen und den internationalen Luftverkehr einzustellen, klang das tatsächlich so, als sei das Virus ein übler ausländischer Geselle, der das schöne Land von allen Seiten attackiere und nun in die Schranken gewiesen werden müsse. Wie lange die Ausnahmesituation in Polen dauern soll, weiß niemand zu sagen. Jedenfalls richten sich die Menschen auf weitere lange Wochen ein, wobei alle inbrünstig hoffen, dass der bittere Kelch, wie er derzeit in Norditalien und in Teilen Spaniens umgeht, an Polen vorbeigehen möge.
Jarosław Kaczyński indes verfolgt stur die eigenen politischen Pläne. Ursprünglich war für den 10. April ein großer Aufzug geplant – der zehnte Jahrestag der Flugzeugkatastrophe von Smolensk im Jahre 2010, bei der Zwillingsbruder Lech Kaczyński als damals amtierender Staatspräsident, dessen Ehefrau und Dutzende weitere Spitzenpolitiker sowie Persönlichkeiten des Landes aller politischen Richtungen ums Leben gekommen waren. Zugleich fällt der 80. Jahrestag von Katyn, also der feigen Ermordung mehrerer Tausend polnischer Reserveoffiziere im April 1940 nach Beschluss Stalins, auf diesen Tag. Nachdem klar war, dass die Feierlichkeiten zu diesen Jahrestagen in Polen wegen der Ausnahmeregelungen nicht mehr durchgeführt werden können, brachte Kaczyński tatsächlich das benachbarte Russland ins Spiel, denn man könne es, so zeigte er sich überzeugt, ja nun dort vollführen.
Im Zusammenhang mit den geplanten Präsidentschaftswahlen schrieb das führende Oppositionsblatt Gazeta Wyborcza unlängst: „Wenn Kaczyński uns vorschlägt, am 10. Mai in den Wahllokalen zu erscheinen, dann spielt er entweder zynisch mit unserer Gesundheit oder aber er hat jeden Kontakt zur Wirklichkeit verloren.“ Gut möglich also, dass die Corona-Krise, die Polen fest im Griff hat, ganz nebenbei auch über Kaczyńskis politisches Schicksal entscheiden wird.
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