23. Jahrgang | Nummer 6 | 16. März 2020

Bemerkungen

50 Jahre NPT

Am 5. März jährte sich das das Inkrafttreten des Atomwaffensperrvertrags (Non-Proliferation Treaty, NPT) zum 50. Male. Dieses Datum hat auch der deutsche Außenminister nicht verschlafen und teilte der Welt mit, was niemandem halbwegs Informierten ein Geheimnis ist, dass der Vertrag zuletzt „schwere Rückschläge erlebt“ habe. Konkreter wurde der Minister nicht. So brauchte er auch mit keinem Wort an Deutschlands aktive Beteiligung an dem von den USA ausgehenden Manöver zu erinnern, mit dem das dem NPT nicht zugehörige Indien vor Jahren vom Status einer illegalen Atommacht, eines nuklearen Parias, befreit und zu einem quasi offiziellen Kernwaffenstaat geadelt wurde. Deutschland stimmte seinerzeit in der Nuclear Suppliers Group für die Aufhebung jener internationalen wissenschaftlich-technischen und wirtschaftlichen Sanktionen gegen Indien, denen Staaten unterworfen werden, die sich dem NPT verweigern und illegale Atomrüstung betreiben. (Siehe Blättchen Nr. 22/2008.)

Heiko Maas teilte des Weiteren mit, dass die nukleare Abrüstung stagniere. Stimmt! Doch aus diesem Munde ist der Satz trotzdem bloß eine weitere Plattitüde, denn Deutschland mit seinem Festhalten an der sogenannten nuklearen Teilhabe (siehe zum Beispiel Blättchen Nr. 15/2008) gehört seit Jahrzehnten zu den hartnäckigen Verletzern des NPT.

Zum jetzigen 50. Jahrestag schrieb Jörg Kronauer / junge Welt in einem Grundsatzbeitrag: „Von einer Krise des Atomwaffensperrvertrags ist schon seit vielen Jahren immer wieder die Rede. Das Grundproblem: Die übergroße Mehrheit der Unterzeichnerstaaten, die selbst keine Kernwaffen besitzt, hält sich an ihre Vertragszusage, auf deren Erwerb zu verzichten. Die fünf Unterzeichner aber, die Atombomben haben, kommen ihrer Verpflichtung zu einer ‚vollständigen Abrüstung‘ bis heute nicht nach. Im Gegenteil: Vor allem die USA treiben die Modernisierung ihrer Bestände für dreistellige Milliardensummen energisch voran. Dieses Missverhältnis hat regelmäßig Unmut bei den nicht über Atomwaffen verfügenden Staaten ausgelöst. Und immer wieder hat es anlässlich der alle fünf Jahre abgehaltenen Überprüfungskonferenzen, auf denen die Erfüllung der Vertragsbestimmungen kontrolliert wird, zu heftigen Konflikten geführt. Das nun aber kann den Atomwaffenstaaten nicht völlig gleichgültig sein: Verliert der NPT die Bindekraft, dann könnten im Extremfall Dutzende Länder weltweit atomar aufrüsten. Dies wiederum schränkte den Machtvorsprung der Nuklearmächte empfindlich ein.“

Die nächste NPT-Überprüfungskonferenz soll am 27. April in New York beginnen.

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Nachruf auf eine Litfaßsäule

Welche Betrübnis. Im Laufe des Tages war sie verschwunden, die getreue Informationssäule. Niemand hatte etwas von ihrem Abbau bemerkt. Doch die Harmonie zwischen der Grünanlage, den drei Bäumen und dem Fußweg schien irgendwie gestört zu sein. Das fiel auf. Die Hausbewohner ereiferten sich. Obwohl sie oft betonten, die Litfaßsäule wäre ihnen im Wege, und sie kämen mit gefüllten Einkaufstaschen nicht an ihr vorbei. Nun aber fehlte sie ihnen.

„Wie findest du das?“ „Den Unsinn haben sich die Stadtväter ausgedacht, die wohnen ja auch nicht in unserem Kiez!“ „Früher hast du auf die Plakatsäule geschimpft, nun ist sie weg und du schimpfst wieder.“ „Lass es gut sein, weg ist weg!“

Die modernen Medien hatten „Emmi“ – so hieß die Säule bei den Kindern, denen sie Mittelpunkt ihrer Hasche- und Versteckspiele war – den Garaus gemacht. Ein herber Verlust. Über Sport, Kultur, Kunst, Lebensführung, Wirtschaft und auch über höheren Blödsinn gab sie bereitwillig Auskunft. Einmal um sie herumgegangen, und man war im Bilde und konnte auf die Horror-Nachrichten der Zeitungen verzichten. – Gewiss, manchmal hingen die Plakate einige Zeit über ihre Aktualität hinaus. Doch was tat es schon, wenn man erfuhr, dass Haribo hundert Jahre alt wird … und wurde es bereits schon seit etlichen Monaten. Dann blieb eben der Aushang gleich für die nächsten Jahrzehnte gültig.

Die vermischten Meldungen boten für jedermann das Geeignete: Radrennen, Marathon-Läufe und Leichtathletik-Meisterschaften; Elvis kehrte zurück; der Maler, Bildhauer, Schriftsteller et cetera Salvador Dali wurde mit einer Ausstellung angekündigt, man sollte sie besuchen. Daniel Barenboim feierte 75. Geburtstag und Lang Lang spielte Mozart. Die Gesundheit erhalte man am besten mit Obst und Gemüse aus der Region; der „Cirque du Soleil“ stellte sich wieder mit neuem Programm vor, und Aufrufe zum Schutze des Waldes rührten an unser Gewissen. „Wir suchen Lesepaten“ (da könnte man sich doch melden und aus Ludwig Bechsteins Märchenbuch vorlesen, zum Beispiel die Geschichte von „Hans im Glück“, oder „Die Regentrude“ von Theodor Storm“). Eine Pizza-Bar machte „satt und glücklich von Montag bis Freitag“; und der Kosmetiksalon versprach: „Wir schenken Ihrer Haut unvergessliche Wohlfühlmomente.“

Die Jugend nutzte „Emmi“ für Äußerungen ihrer Gefühle: „Kevin liebt Laura!“ „Laura liebt mich du Affe!“ „Love forever.“ Schöne Frauen erhielten Schnurrbärte aufgemalt und Zahnlücken. Und Kastor, der Mops von Familie Müller aus der vierten Etage, hob ab und zu an der Säule sein Bein.

Ringelnatzens Ansicht ist Recht zu geben, der meinte, Litfaßsäulen stünden wie Leuchttürme in der Landschaft. Unserem Leuchtturm aber ist das Licht ausgegangen.

Ein abgegrenztes Stück Asphalt auf dem Fußweg markiert den ehemaligen Standort. Es ist „Emmis“ Grabplatte. In Geheimschrift, nur für Eingeweihte erkennbar, steht darauf geschrieben: Hier befand sich viele Jahre eine Litfaßsäule, die schnell und aktuell informierte. Sie wurde gedankenlos entsorgt und fehlt uns sehr. Die Anwohner.

Renate Hoffmann

„O gewiß, wenn ich darf …“
Anni als PAS-Opfer im Scheidungskrieg

In einer der berührendsten Szenen, die Fontane in seinen erzählerischen Werken gestaltet hat, dem Besuch von Annie bei ihrer geschiedenen Mutter, beschreibt Fontane ein Phänomen, für das es erst heute einen Begriff gibt: die Elternentfremdung. Erst in den 1980er Jahren hat der US-amerikanische Kinderpsychologe Richard A. Gardner, der vielfach als Gerichtsgutachter in Sorgerechtsverfahren tätig war, dieses Konzept entwickelt. Mit dem Begriff PAS (Parental Alienation Syndrom) modellierte er die unbegründete pathologische Entfremdung eines Kindes von einem Elternteil, verursacht durch den anderen Elternteil. Die wissenschaftlichen Aussagen Gardners sind umstritten, der Begriff Eltern-Kind-Entfremdung wird in der Gesellschaft hochemotional diskutiert.

Auch der ARD-Fernseh-Film Weil du mir gehörst, der das Problem aufgreift und mit großer Empathie für alle Beteiligten veranschaulicht, hat für einiges Aufsehen gesorgt. Anni ist Trennungskind. Durch eine Reihe von Manipulationen erreicht Annis Mutter, dass die liebevolle Beziehung des Kindes zu seinem Vater von Grund aus zerstört wird, dass es ihn schließlich hasst und nicht mehr sehen will. Die Rechte des Vaters werden durch eine Reihe von Gerichtsverfahren zunehmend eingeschränkt. Schließlich erreicht er, dass Anni ihn endlich wieder besuchen darf, was das Kind jedoch als eine juristische Zwangsmaßnahme empfindet und ablehnt. Der Film endet mit einem Blick auf das völlig ratlose Kind, wie es sich beim Besuch in der Wohnung des Vaters in das Kinderzimmer flüchtet, wo all die Geschenke und Briefe liebevoll bereitgelegt sind, die es nicht erhielt oder nicht annehmen konnte. Vor der Tür der Vater, vor dem Fenster die Mutter, beide ganz normale Eltern und beide überfordert mit der Frage, wie es weitergehen soll.

Bemängelt wurde an dem Film, dass er Vorurteile gegen Mütter schüre und misogyne Feindbilder begünstige. Dabei richtet sich der Blick hier weg von den Eltern auf das Kind, das besonders unter dem Scheidungsdrama leidet. Für Anni wird eine Lösung gebraucht, und die kann nur von den Eltern kommen, nicht vom Jugendamt oder einem weisen Richterspruch. Ein sich an die Sendung anschließendes Experten-Gespräch verdeutlichte die vielfältigen gesellschaftlichen Facetten des Problems.

Fontane beschrieb den umgekehrten Fall, in seinem Roman ist die Entfremdung des Kindes gegen die Mutter gerichtet. Das Handeln Innstettens entsprach der damaligen Gesetzeslage und Rechtspraxis. Effi war schuldig geschieden. Annie wuchs bei ihrem Vater auf, der dazu verpflichtet war, ihr auch die richtigen moralischen Grundbegriffe und Anschauungen beizubringen. Die Ablehnung der Mutter, die eine verurteilte Ehebrecherin war, gehörte dazu. In einer Aufwallung von Zorn bricht Effi nach dieser Begegnung mit ihrem Kind zusammen, das ihr fremd geworden ist. Sie zieht sich resigniert zurück und stirbt, während Geert Karriere macht.

Und Annie?

Was wird aus Annie?

Der Film, eine Produktion des SWR, wurde am 12. Februar 2020 gesendet und ist noch bis zum 12. Mai des Jahres in der ARD-Mediathek zu sehen.

Klaus-Peter Möller

Skandal um Spitzweg

Dass Hitler ausgerechnet Carl Spitzwegs Gemälde „Justitia“ von 1857 für sein in Linz geplantes Führermuseum haben wollte, erscheint nur auf den ersten Blick paradox.

Betrachtet man die Sache etwas genauer, dann steht Spitzwegs Göttin der Gerechtigkeit ja ziemlich lädiert auf ihrem Sockel: eine Waagschale fehlt, der Sandstein bröselt, ein Riss zieht sich durch die Waden der Dame und ihre Augenbinde ist verrutscht; sie lunzt in die Gegend.

Spitzweg war eben nicht nur ein feiner Spötter, sondern auch ein genauer Beobachter der Zeitläufte. Und nach der gescheiterten Revolution von 1848 war die Justiz in deutschen Landen – ein willfähriges Instrument der Herrschenden – ziemlich auf den Hund gekommen. Worauf Spitzweg mit eher milder Ironie reagierte.
Hitler und seine Kumpane hingegen verachteten den bürgerlichen Justizapparat ihrer Zeit, und der ließ sich ab 1933 auch nur allzu bereitwillig an die Kandare der Nazis nehmen.

Hitlers Kunstaufkäufer hatten das Bild von der Galerie Heinemann in München erworben. Da gab es aber bereits eine Vorgeschichte, denn die „Justitia“ hatte dem jüdischen Tabak-Kaufmann und Kunstsammler Leo Bendel in Berlin gehört. Der hatte, um seiner Frau und seine Flucht vor den deutschen Faschisten nach Wien zu finanzieren, aus der Not heraus verkaufen müssen.

Wien erwies sich dann als Todesfalle. Nach der Annexion Österreichs wurde Brendel, der Inhaber eines polnischen Passes war, als „Ostjude“ verhaftet und ins KZ Buchenwald deportiert. Dort kam er 1940 um.

Bei Kriegsende lagerte das Gemälde im NS-Zentraldepot Altaussee, von wo es über eine US-Zwischenstation erst zur Bayerischen Staatskanzlei und hernach in den Bonner Amtssitz des Bundespräsidenten gelangte, als dort Heinrich Lübke residierte. Der und seine sieben Nachfolger erfreuten sich an dem Kleinod, ohne nach dessen Herkunft zu fragen. Doch zu Horst Köhlers Zeiten, 2006, stellten Bendels Erben einen Restitutionsantrag, öffentlicher Druck baute sich auf und der Nießbraucher im Schloss Bellevue entschied sich für Rückgabe. Doch das hinderte die Mühlen der Bürokratie nicht daran, das zu tun, was sie am besten können: nämlich mit nervenzehrender Gründlich-, vor allem aber Behäbigkeit zu mahlen. Im Ergebnis fand die Restitution schließlich erst 2019 statt.

Und als wäre die ganze Geschichte nicht bereits skandalös genug, fand Monika Grütters, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, einen Weg, noch eins drauf zu setzen. Als die Bendel-Erben dem Bund das Bild zum Kauf anboten – nach Medienberichten liegt der Schätzpreis bei 500.000 Euro –, ließ sie verlautbaren: „Kein Geld.“ Das ist für jemanden, der gerade für Mindestkosten von 450 Millionen Euro das Berliner Kulturforum durch eine Scheune (genannt „Museum der Moderne“) verschandeln lässt, mit Verlaub, noch lächerlicher als ein schlechter Witz.

Hannes Herbst

Medien-Mosaik

Dass der Schweizer Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse stark von Nietzsche und Jung beeinflusst war, zeigt sich besonders in seiner 1930 erschienenen Erzählung „Narziß und Goldmund“. Er schildert die gegenseitige Anziehung zweier Jungen, die im Mittelalter in einem Kloster gemeinsam aufwachsen, einander (mehr oder minder platonisch) lieben lernen und noch vor dem Erwachsenwerden voneinander getrennt werden. Erst am Ende von Goldmunds Lebensweg treffen sie im Kloster wieder aufeinander. Der streng asketisch lebende Narziß wird Abt des Klosters, der künstlerisch veranlagte Goldmund erlebt viele Abenteuer, wird Zeuge von Krankheit und Gewalt. Seine Suche nach der Mutter erfüllt sich nicht.

Hesses Aussage, dass das Prinzip der Aufopferung für die Gemeinschaft und das einer ungebundenen Lebensführung einander bedingen, setzt der österreichische Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky („Die Fälscher“) in seinem Film „Narziss und Goldmunde“ eindrucksvoll um. Ausstatter und Maskenbildner konnten aus dem Vollen schöpfen. Hinzu kommt, dass dem Regisseur mit Sabin Tambrea als Narziss (der kindliche Darsteller am Beginn des Films schien weniger begabt) und Jannis Niewöhner als Goldmund sowie einigen hervorragenden Episodendarstellern, darunter André Hennicke, Uwe Ochsenknecht und Jessica Schwarz, eine exzellente Besetzung zur Verfügung stand.

„Narziss und Goldmund“, Regie Stefan Ruzowitzky, seit 12.3. in zahlreichen Kinos.

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In dieser Rubrik weisen wir nicht nur des Namens wegen gern auf das MOSAIK hin, sondern, weil sich hier Spaß mit Aufklärung paart. MOSAIK ist die einzige deutsche Comic-Zeitschrift, die noch in gediegener Handarbeit in einem Atelier von zehn Zeichnern auf speziellen Bögen im A3-Format gestaltet wird. Unter ihnen sind einige – wie Andreas Pasda und Thomas Schiewer – seit Jahrzehnten dabei. Zu den Jüngsten zählt mit Sally Lin die einzige Frau im Team. Die Abrafaxe, fröhliche Gnome, die die Fähigkeit zu Zeitreisen haben, erleben seit 35 Jahren (damals im Verlag Junge Welt) ihre Abenteuer in historischen Perioden. Nachdem sie sich jetzt genau zwei Jahre lang in den Hansestädten des 15. Jahrhunderts herumgetrieben haben, wurde es Zeit für ein ganz anderes Milieu. Er habe einen Urlaub in der Südsee geplant, erklärte der langjährige Abrafaxe-Autor Jens-U. Schubert kürzlich in einem Fernsehinterview, und bei der Lektüre zur Reisevorbereitung sei ihm die neue Abenteuerreise der Helden Abrax, Brabax und Califax (samt Ratte) eingefallen. Ob das nicht geflunkert war? Sei es wie es sei, jedenfalls verschwanden die Abrafaxe mit einem Blitz aus dem deutschen Mittelalter und sind als Sternschnuppen in der Südsee des ausgehenden 19. Jahrhunderts wieder aufgetaucht. Man ahnt schon, dass es mit den Matrosen Fiet und Piet, Kapitän Kraakmöller und dem Kolonisten Peter Künzelmann heiter bis spannend zugehen wird. Gelandet sind die drei Helden ganz in der Nähe der Insel Neumecklenburg, woraus geschlussfolgert werden kann, dass auch Deutschlands koloniale Rolle in jener fernen Region in der Story eine Rolle spielt und das Geschichtswissen der Leser aufgemöbelt wird.

MOSAIK – Mit den Abrafaxen durch die Zeit, MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag, Heft 532, 3,80 Euro, ab 25.3. im Handel und im Abonnement.

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… doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.

Unsterblichkeit, so weiß man, ist unmöglich. Also – im Prinzip. Denn es gibt Phänomene, die sind augenscheinlich nicht tot zu kriegen. Die Bürokratie gehört dazu.

Bereits während der Herrschaft Ludwigs XIV., des Sonnenkönigs – er herrschte 72 Jahre (1643 bis 1715), sollten dessen Beamte nicht willkürlich, sondern nach Vorschriften ihrer Ämter walten. Doch schon damals klagte Handelsminister Jean Claude de Gournay über die „Herrschaft der Schreibtische“, die „bureaucratie“.

Der Soziologe Max Weber schwärmte zwei Jahrhunderte später von der Unentrinnbarkeit der Bürokratie, die er als effiziente Organisationsform verstand.

Heute sehen vor allem kleine und mittelständische Unternehmen in der allgegenwärtigen staatlichen Bürokratie in erster Linie eine Bedrohung. Wer als Familienunternehmer den Versuch unternimmt, eine neue Werkhalle zu errichten oder sein Unternehmen gar an seine Kinder zu übergeben, landet in einem Paragraphen- und Vorschriftendickicht, dem er häufig nur mit einer eigenen Planstelle halbwegs erfolgreich gegenübertreten kann: einem Behördenbeauftragten.

Im Jahre 2005 wollten Union und SPD das Problem an der Wurzel packen und installierten ein unabhängiges Expertengremium als Bürokratie-TÜV, den Nationalen Normenkontrollrat. Seither müht sich das Gremium unter der Leitung des früheren Bahn-Chefs Johannes Ludewig um den Abbau von Vorschriften und wirbt für eine digitale Verwaltung, die in anderen europäischen Ländern längst Alltag ist. Alles mit sehr überschaubaren Ergebnissen. Immer wieder bleiben die herrschenden Verhältnisse Sieger im Ring.

Auch die jüngste Bilanz des Gremiums vom Herbst vergangenen Jahres lässt sich mit einem Wort zusammenfassen – ernüchternd:

  • Seit 2011 haben sich die Bürokratiekosten für die Wirtschaft um insgesamt um knapp fünf Milliarden Euro erhöht.

  • Zwar wurden die Kostenbelastung der deutschen Unternehmen 2017 durch den Wegfall von Vorschriften und Gesetzen um etwa 880 Millionen Euro Doch seither verursachten neue Regelungen einen Mehraufwand von 831 Millionen Euro.

  • Die 2014 erlassene „Bürokratiebremse“ sollte dafür sorgen, dass neue Vorschriften und Gesetze nur durch Entlastung an anderer Stelle in Kraft gesetzt werden dürfen (sogenannten One-in-one-out-Prinzip). Ein „Fehler im System“ sorgte jedoch dafür, dass die Bremse nicht bei der Umsetzung von EU-Richtlinien gilt. Betroffenen Unternehmern ist es allerdings völlig gleichgültig, ob sie Vorgaben aus Brüssel oder Berlin folgen müssen.

  • Bei der Digitalisierung der Verwaltung liegt Deutschland hoffnungslos zurück. Der elektronische Personalausweis ist weiter in weiter Ferner, ein Behördenportal für alle Verwaltungsvorgänge bloßes Wunschdenken. Seine elektronische Steuererklärung muss selbst derjenige noch mühsam selbst ausfüllen, der keine anderen Einkommen als sein Arbeitsentgelt oder seine Rente hat. In Schweden kommen diese Steuererklärungen vorausgefüllt aufs Handy. Ein Tastendruck als Zustimmung genügt.

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WeltTrends aktuell

Wie gleichberechtigt sind Frauen in Friedensverhandlungen und sicherheitspolitischen Entscheidungsprozessen? Wie können Menschen vor geschlechterspezifischer und sexualisierter Gewalt geschützt werden? Welche Rolle spielen Frauen bei Konfliktprävention und Abrüstung? Im Thema legen Autorinnen aus verschiedenen Weltregionen ihre Perspektiven zur Umsetzung der Agenda zu „Frauen, Frieden und Sicherheit“ dar.

Auch der Kalte Krieg mit seiner nuklearen Bedrohung entzündete den Protest von Frauen in Ost und West. In der Historie schildert Ruth Leiserowitz die Geschichte der „Frauen für den Frieden“ in der DDR.

Im WeltBlick diskutiert Laleh Rashidi die Rolle der Revolutionsgarden für das politische System Irans; Alexander Dubowy analysiert die von Präsident Putin angestrebten Verfassungsänderungen.

Vor 30 Jahren wurde Namibia unabhängig. Das Forum widmet sich der Geschichte des Landes, den Beziehungen zu Deutschland und der aktuellen Politik Namibias.

Was es mit Präsident Trumps „Jahrhundertplan“ zur Regelung des israelisch-palästinensischen Konflikts auf sich hat, analysiert Nahost-Expertin Angelika Timm im Kommentar. Für sie ist er ein Paradigmenwechsel, jedoch ein rückwärtsgewandter.

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WeltTrends – Das außenpolitische Journal, Heft 161 (März) 2020 (Schwerpunktthema: „Frauen und Frieden“), Potsdam / Poznan, 4,80 Euro plus Porto. Weitere Informationen im Internet.

Aus anderen Quellen

Der NATO-Oberbefehlshaber Europa (SACEUR), der US-General Tod D. Wolters, bekannte am 25. Februar in einem Hearing des Streitkräfteausschusses des US-Senats, er sei „Fan“ eines flexiblen Ersteinsatzes von Kernwaffen. Und das in einer Situation, in der gerade das größte US-Manöver seit Ende des Kalten Krieges läuft – in der Nähe russischer Grenzen. (Siehe dazu den Beitrag von Wilfried Schreiber in dieser Ausgabe.) Da darf man, wie Scott Ritter, ein ehemaliger US-INF-Vertrags- und späterer UN-Waffeninspektor, durchaus der Auffassung sein, dass Wolters Einlassung „unter jedweden Umständen breiteste Aufmerksamkeit erregen“ sollte. „Geradezu explosiv ist Wolters Erklärung jedoch im Zusammenhang mit der jüngsten Umrüstung von U-Boot-gestützten interkontinentalen ballistischen Raketen des Typs Trident auf Nuklearsprengköpfe von verminderter Sprengkraft. Bedenkt man, dass die USA kürzlich eine Stabsübung durchgeführt haben, bei der laut US-Verteidigungsminister die Verfahren für den Abschuss eben dieser ‚Waffe mit geringer Sprengkraft‘ gegen ein russisches Ziel im Verlaufe einer simulierten Auseinandersetzung zwischen Russland und der NATO in Europa geübt wurden, sollte die Stärke der Reaktionen in der Öffentlichkeit normalerweise jede Skala sprengen. Und doch herrschte und herrscht sowohl in der europäischen als auch in der US-amerikanischen Presse ‚ohrenbetäubendes‘ Schweigen zu diesem Eingeständnis.“

Scott Ritter: Gefahr eines Atomkrieges zwischen USA und Russland so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr, deutsch.rt.com, 04.03.2020. Zum Volltext hier klicken.

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„Es ist ein revolutionäres Urteil. Es ist ein in seiner Klarheit, seiner Wahrheit und seinen Folgen umwälzendes Urteil. Es ist ein Urteil, das Rechts- und Gesellschaftsgeschichte schreibt und das Schicksale entscheidet“, wertet Heribert Prantl. „Dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts erlaubt nicht nur die Hilfe beim Sterben, es erlaubt ausdrücklich die Hilfe zum Sterben; es erlaubt also die Sterbehilfe, es erlaubt jedwede Beihilfe zum Suizid, auch die bisher verbotene geschäftsmäßige Beihilfe. Es bleibt freilich bei der Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen – die dann vorliegt, wenn der Sterbehelfer nicht nur hilft, sondern als Täter den Handlungsablauf dominiert.“

Heribert Prantl: Prantls Blick – die politische Wochenvorschau, sueddeutsche.de, 01.03.2020. Zum Volltext hier klicken.

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„Im Amerikanischen Bürgerkrieg“, so André Kieserling, „waren die Verlustraten pro Schlacht recht gering, und die große Gesamtzahl der Toten spiegelt nur die große Gesamtzahl der Schlachten, nicht aber den besonders blutigen Charakter einzelner Kämpfe. Man führt dies auf eine Art von Schießhemmung der Soldaten zurück, und auch die Waffenfunde auf dem Schlachtfeld von Gettysburg scheinen dies zu belegen: Fast alle der gut 27.000 Flinten, die man dort fand, waren noch geladen.

André Kieserling: Ein Märchen aus der Militärpsychologie, faz.net, 02.03.2020. Zum Volltext hier klicken.

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„Parität in der Rüstung anzustreben, klingt gut. Jedenfalls zunächst“, meint Leo Ensel. „In Wirklichkeit erwies sich das Streben nach Gleichgewicht allzu oft als Motor einer wechselseitigen Aufrüstungsspirale. Was statt dessen nottut, ist eine Renaissance des „Neuen Denkens“.

Leo Ensel: Mythos Gleichgewicht – Paritätsstreben als Motor der Aufrüstung, deutsch.rt.com, 03.03.2020. Zum Volltext hier klicken.