Den Puhdys gelang 1976 ein Mitsinge-Hit. „Alt wie ein Baum möchte ich werden, genau wie der Dichter es beschreibt“, hatte Burkhard Lasch der Band getextet – und sich dabei an ein Gedicht von Louis Fürnberg (1909 bis 1957) angelehnt. „Alt möcht ich werden wie ein alter Baum, mit Jahresringen, längst nicht mehr zu zählen …“
Es war Fürnberg nicht vergönnt. Beinah vergessen ist der jüdische Dichter heute, der stets dem Bedürfnis lebte, sich und den anderen Mut zu machen und, so schwer die Zeit sich auch bestehen ließ, Hoffnung zu schöpfen aus dem Gang der Jahreszeiten, der geliebten Landschaft Böhmens, der Liebe zwischen zwei Menschen und zwischen solchen, die das gleiche Ziel verbindet. Das „Liebeslied“ („Was weiß denn ich, wie lang mein Herz / noch schwillt im Überschwang, / wenn es sich in die Zukunft hebt, / was weiß denn ich, wie lang …“) ist eines der schönsten Beispiele dafür.
Viele identifizieren mit Louis Fürnberg bis heute allenfalls das Lied „Die Partei“, das der Dichter, nach der Flucht vor den Nazis, nach seiner Odyssee durch Europa und Palästina, nach dem Krieg endlich heimgekehrt, für die tschechische Kommunistische Partei geschrieben hatte und das zum Mantra wurde – für die Selbstgefälligkeit der in Stalins Spuren mächtig Gewordenen und als Geißel gegen die eigenen, anschwellenden Zweifel. Als Dank wohl auch, nachdem er sich vor der Welle der Prozesse und Säuberungen mit Hilfe des Dichters KuBa in die junge DDR retten konnte, wohin es inzwischen auch sein früheres Publikum, soweit nicht ermordet, zum größeren Teil verschlagen hatte. Wie aber hat der Poet seine Sanftheit retten können, den federleichten Tanzschritt seiner Poesie?
Der Berliner Liederdichter Frank Viehweg hat sich dieses Teils von Fürnbergs Werk nun angekommen und gemeinsam mit Holger Saarmann das Album „Herbsteskommen“ produziert. 17 Titel, darunter auch zwei fürnbergsche Nachdichtungen von Vítězslav Nezval und Josef Václav Sládek, hat Viehweg erstmals oder neu komponiert. Mit gewohnt sparsamer Instrumentierung (Gitarre, Flöte und Akkordeon) lauscht Viehweg vor allem dem volksliedhaften Klang der meisten Verse nach. Ihm geht es weniger darum, Biografie oder dichterische Perioden nachzuzeichnen, als darum, jene einzigartige Atmosphäre aufzuheben und zu bewahren, in der die Poesie selbst Kraft spendet, wie die Natur, der sie lauscht und in der aus dem Wissen um die Vergänglichkeit nicht nur die Melancholie der Vergeblichkeit fließt: „Die bunten Wälder gingen in mich ein.“
Am lautesten war der Dichter Fürnberg, wenn er leise war, wenn niemand ihn, auch er selbst sich nicht, zur Ordnung rief. Dann folgte er, bis in den Schmerz und die Verzweiflung hinein, seinem ureigenen Rhythmus. „Im Grunde war auch er ein Geschlagener“, sagte der Freund, Literaturwissenschaftler und Dichter Erhard Scherner einmal über ihn. Halb verbannt ins Weimarsche Archiv. Mit ein paar schmalen Bändchen im Gepäck, ein bisschen Prosa, einigen Poemen, die nur wenige verstanden und die kaum jemand haben wollte in den polternden Jahren. Manchmal wäre es schön gewesen, wenn von diesem Leben gegen den Strich, von dieser Zerrissenheit etwas mehr eingedrungen wäre in die heutigen Kompositionen.
So bleibt das Album vor allem eine Verneigung, eine Hommage an den Dichter, in dessen Versen oft das viel zu frühe Ende vorgezeichnet war. Der sich voller Zärtlichkeit zu den Menschen wandte, die um ihn waren. Es war das Leben, das Fürnberg sich und anderen wünschte, erhoffte, auch zu erkämpfen bereit war – und das er nicht fand in seinen nicht einmal fünf Jahrzehnten. „Wo ich ende, bist du mein Beginn“, schrieb er seiner Tochter Alena. Und sie konnte es bei der Premiere des Albums in Berlin hören.
Frank Viehweg und Holger Saarmann: Herbsteskommen. Nach Gedichten von Louis Fürnberg, Raumer Records 2019, 15,00 Euro.
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