von Jan Opal, Gniezno
Kein anderes Thema treibt die Nationalkonservativen Polens geschichtspolitisch so um wie der Zweite Weltkrieg. Natürlich wurde heuer der 80. Jahrestag des Ausbruchs am 1. September entsprechend in Szene gesetzt. Da zudem heiße Wahlkampfzeiten sind, wird auch bei diesem Thema dem innenpolitischen Gegner – der breiter verstandenen demokratischen Opposition – kaum etwas geschenkt. Selbst Staatspräsident Andrzej Duda, der einst erklärt hatte, Präsident aller Polen sein zu wollen, findet angesichts der Erinnerung an die große, schier unfassbare Katastrophe, die in jenen Jahren das Land und seine Gesellschaft heimgesucht hatte, kaum versöhnlich klingende Worte, die als lagerübergreifend gelten könnten. Auch er polarisiert bei passender Gelegenheit und nach besten Kräften. Es geht den nationalkonservativen Kräften stets darum, das Regierungslager als den einzigen Garanten für Polens Identität, Sicherheit und Souveränität in einer Welt voller Fährnisse herauszustellen.
2017 wurde in Gdańsk das Museum des Zweiten Weltkriegs eröffnet, dessen Konzept und dessen Dauerausstellung noch zu Zeiten der Vorgängerregierung entwickelt worden waren. Wie sehr das dem Anführer der Nationalkonservativen ein Dorn im Auge war, verdeutlichte die böse Unterstellung Jarosław Kaczyńskis, das Museum sei ein Geschenk Donald Tusks an Angela Merkel. Also wurden alle Hebel in Gang gesetzt, sich dieses Museums inhaltlich zu bemächtigen. Ein Griff in die administrative Trickkiste – die Zusammenlegung mit einem noch gar nicht existierenden anderen Geschichtsmuseum – genügte schließlich, um das ungeliebte Tusk-Museum in den eigenen geschichtspolitische Hafen zu steuern. Jetzt werden dort klare Botschaften verteilt: „Wir wurden verraten“, „Wir retten die Juden“, „Die Kommunisten verlieren“, schließlich „Wir siegen“. Völlig verschwunden ist der ursprüngliche Ansatz, stärker das mit einem so gewaltigen Krieg verbundene menschliche Leid in den Vordergrund zu rücken, denn im Vordergrund steht jetzt der polnische Heldenmut – allerdings weitgehend nur unter dem patriotisch gemeinten Zeichen von „Gott, Ehre und Vaterland“. Es ist also ein polnisches Museum des Zweiten Weltkriegs, wie es sich die Nationalkonservativen vorstellen, nicht aber ein Museums des Zweiten Weltkriegs in Gdańsk als einem symbolischen Ort, wie es das ursprüngliche Konzept vorgesehen hatte.
Gäbe es in Polen unter den Erwachsenen eine Befragung, welches Ereignis im Zweiten Weltkrieg jenes mit der größten Bedeutung sei, käme ganz klar der am 1. August 1944 ausgebrochene Warschauer Aufstand an die erste Stelle, wobei die Zustimmung mit abnehmenden Lebensjahren eine immer größere wäre. Auch das kommt den Nationalkonservativen sehr entgegen, denn an diesem schwierigen Thema lässt sich die gebrauchte These von den beiden ewigen Feinden Polens – Deutschland im Westen, Russland im Osten – wie kaum sonst noch wirkungsvoll illustrieren. Aus dem komplizierten Kontext herausgehoben wird der aufopferungsvolle Befreiungskampf des kämpfenden Polens – militärisch gegen die deutschen Besatzer, politisch gegen die sich nach den Beschlüssen aus Jalta durchsetzende Ordnung, also gegen die von Osten anrückende Rote Armee. Stalin habe, mit der Roten Armee am rechten Weichselufer abwartend, das aufständische Warschau absichtsvoll verbluten lassen, also dem deutschen Messer ausgeliefert, um freie Bahn zu haben für seinen Weg nach Berlin. Nichts indes soll noch durchdringen an kritischen Stimmen in Polen selbst, mit denen nach der politischen und moralischen Verantwortung derjenigen gefragt wird, die in London und Warschau den Beschluss zum Aufstand fassten, der von Anfang an keine Aussichten auf militärischen Erfolg hatte. In der Folge – so der nationalkonservative Diskurs – habe in Polen mit dem Kriegsausgang lediglich die Besatzungsmacht gewechselt – die deutsche in die sowjetische. So verstehen sich dann Äußerungen des Regierungschefs Mateusz Morawiecki, für den es ein staatliches Polen bis 1989 gar nicht gegeben hat. Und regelmäßig äußern sich Kaczyński-Leute kryptisch, der Zweite Weltkrieg sei für Polen eigentlich erst 1989 zu Ende gegangen.
Bei passender Gelegenheit beschwört Jarosław Kaczyński den Kampf gegen die „Pädagogik der Schande“, wie er es nennt. Die sei eine direkte Folge des Siegeszugs der deutschen Geschichts- und Erinnerungspolitik. Alle Welt spreche, wenn es um den Massenmord an den Juden Europas im Zweiten Weltkrieg geht, immer von den Nazis als Tätern, von Nationalsozialisten, nicht von den Deutschen. Sobald die Sprache auf Mittäter komme, die in den okkupierten Ländern an den Verbrechen beteiligt waren, seien es plötzlich aber Litauer, Letten, Ukrainer oder eben auch Polen. Diese Schieflage müsse beseitigt werden, indem polnische Geschichts- und Erinnerungspolitik in die Offensive gehe. Unter „Pädagogik der Schande“ fallen also alle Versuche, den heutigen Polen Scham und Schuldgefühl einzureden, indem die Schuld der deutschen Besatzer am Holocaust im besetzten Polen gemildert, die Frage der Mitschuld vereinzelter Polen übertrieben gesteigert werde. Weltweit anerkannte polnische Holocaustforscher, die sich immer detaillierter mit den Vorgängen im besetzten Polen befassen, werden von den Nationalkonservativen zwangsläufig der „Pädagogik der Schande“ zugeschlagen.
Zum Schluss noch ein ganz kurzer Blick auf die andere Seite der Debatte, die die teils abenteuerlichen Behauptungen des Kaczyński-Lagers im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg nicht unwidersprochen hinnehmen will. Der renommierte Warschauer Historiker Włodzimierz Borodziej brachte es in einem Zeitungsinterview kürzlich so auf den Punkt: „Unser Bündnis mit Deutschland ist unser Bündnis mit EU-Europa. Das ewige, einst tatsächlich bestehenden und gefährliche Problem der geografischen Lage Polens zwischen zwei feindlichen Mächten ist verschwunden.“
Schlagwörter: Geschichtspolitik, Jan Opal, Nationalkonservative, Polen, Zweiter Weltkrieg