von Hannes Herbst
Das zweihundertvierzig Kilometer südöstlich der polnischen Hauptstadt gelegene Städtchen Zamość ist nach seinem Begründer benannt, dem polnischen Aristokraten und Staatsmann Jan Zamoyski, einer der politischen Hauptfiguren der polnisch-litauischen Konföderation in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Der hatte unter anderem in Padua studiert und ein Faible für die italienische Renaissancearchitektur entwickelt. Daher beauftragte er mit Bernardo Morando einen venezianischen Baumeister mit der Planung der Stadt, deren Erbauung ab 1578 erfolgte. Was entstand erhielt später den Beinamen Padua des Nordens.
Die deutsche Schreckensherrschaft im Zweiten Weltkrieg währte dort vom Herbst 1939 bis zum Sommer 1944. Die ganze Gegend, die dem sogenannten Generalgouvernement zugeschlagen war, sollte für deutschstämmige Ansiedler frei gemacht werden, wozu die einheimische Landbevölkerung 1942-43 vertrieben wurde – insgesamt etwa 110.000 Personen aus fast 300 Dörfern. Dabei starben insbesondere tausende von Kindern an Hunger und Kälte.
Die jüdische Bevölkerung von Zamość – etwa ein Drittel davon war während eines kurzen sowjetischen Besatzungsinterregnums in der Stadt, das vom 27. September bis zum 5. Oktober 1939 dauerte, in die UdSSR geflohen – wurde in ein Ghetto gepfercht. Im Mai 1942 kamen noch 1000 Juden mit einem Transport aus Nordrhein-Westfalen hinzu. All diese Menschen wurden überwiegend im nur 50 Kilometer entfernten Vernichtungslager Bełżec ermordet.
In Zamość selbst richteten die Deutschen zwar kein KZ ein, nutzten jedoch eine Befestigungsanlage in Gestalt einer Rotunde aus dem 19. Jahrhundert als Gefangenenlager und Stätte für Massenerschießungen. Mit 6000 bis 8000 beziffert die „Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ die Anzahl der Opfer.
Auch ein Lager für sowjetische Kriegsgefangene bestand im Stadtgebiet von Zamość – erst in der ulica Okrzei, dann in der ulica Powiatowa – , in dem nach polnischen Quellen 30.000 Menschen verhungerten oder anderweitig umgebracht wurden.
Seit 1947 ist die Rotunde – umgeben von Gräberfeldern – Gedenkstätte. Das Areal macht derzeit einen dringend restaurierungsbedürftigen Eindruck und ist aus diesem Grunde seit Juni 2019 geschlossen. Das mag ein Grund dafür sein, dass wir bei unserem Besuch lediglich auf ein älteres französisch sprechendes Paar trafen.
Die Aufschrift in deutscher Frakturschrift auf dem massiv hölzernen verwitterten Eingangstor der Rotunde ist noch zu lesen: „Gefangenen-Durchgangslager Sicherheitspol.“ Das Tor selbst stand offen, und der einzige Arbeiter auf dem Gelände hinderte uns nicht daran, einen Blick in das backsteinerne Rondell sowie in die dunklen Gefängniszellen zu werfen, in denen die Menschen auf ihren Tod oder den Weitertransport in andere Lager warten mussten.
Die Restaurierung der Gedenkstätte soll bis Mitte 2021 abgeschlossen sein.
In Treblinka II, nordöstlich von Warschau, waren schon 1945 keine überirdischen Zeugnisse des dortigen Vernichtungslagers mehr erhalten.
Treblinka II war – neben Bełżec und Sobibor – eines der drei Lager, die im Rahmen der sogenannten „Aktion Reinhard(t)“ eigens zur industriellen Vernichtung der gesamten jüdischen Bevölkerung des Generalgouvernements errichtet worden waren und in denen von Juli 1942 bis Oktober 1943 zwischen 1,6 und 1,8 Millionen Juden sowie 50.000 Roma ermordet wurden. Der Hauptanteil mit um die 900.000 Opfer entfiel dabei auf Treblinka II, die nächst Auschwitz somit zweitgrößte Vernichtungsstätte im Rahmen des Holocaust.
Die „Aktion Reinhard(t)“ wurde wahrscheinlich nach Reinhard Heydrich benannt und war ein unmittelbarer Ausfluss der sogenannten Wannsee-Konferenz. Die hatte Heydrich in seiner Funktion als Chef des Reichssicherheitshauptamtes auf den 20. Januar 1942 anberaumt, um die auf oberster Ebene des NS-Staates beschlossene Vernichtung der europäischen Juden mit allen involvierten Ämtern, Behörden und Ministerien organisatorisch abzustimmen. (Gemäß dem nach dem Krieg im Aktenbestand des Auswärtigen Amtes, das einen Staatssekretär nach Wannsee entsandt hatte, aufgefundenen Protokoll des Treffens sollten insgesamt 11 Millionen Juden beseitigt werden.)
Auch nach Treblinka II wurden die Opfer mittels Eisenbahntransporten verfrachtet, die – wie in Auschwitz-Birkenau – an einer Rampe endeten. Doch anders als dort erfolgten hier keine Selektionen, die einem geringen Teil der Ankömmlinge zumindest noch ein temporäres Überleben ermöglichten. In Treblinka II wurden die Transporte vielmehr nach ihrer Ankunft komplett ins Gas geschickt. Als Tötungsmittel dienten die Abgase eines Dieselaggregats eines sowjetischen Panzermotors. Die Leichen wurden zunächst in Massengräbern verscharrt, aber später wieder exhumiert, um sie zur möglichst vollständigen Spurenbeseitigung auf Rosten aus 30 Meter langen, auf Betonsockeln angeordneten Eisenbahnschienen zu verbrennen.
Nach einem Häftlingsaufstand am 2. August 1943 mit dem Ziel von Massenflucht und Zerstörung des Lagers wurde Treblinka II geschlossen und vollständig abgerissen, dem Erdboden gleich gemacht.
Während unserer Polen-Rundreise* war es vor dem Besuch dieser Gedenkstätte zu einer Begegnung mit Blättchen-Autor Jan Opal gekommen, der uns auf einen weiteren Aspekt des Auschwitz-Tourismus hingewiesen hatte: Der betreffe ausschließlich das größte Vernichtungslager. „Wenn ihr zum Beispiel nach Treblinka fahrt, werdet ihr dort allein sein.“
Und so war es dann auch. Auf dem gesamten Areal verlor sich kein halbes Dutzend Besucher.
Neben einem Teil des Weges vom Parkplatz durch den Wald zur Freifläche des ehemaligen Lagers markieren wie Eisenbahnschwellen in regelmäßigen Abständen auf dem Waldboden verlegte Betonquader die frühere Bahntrasse und führen zu einer angedeuteten Rampe. Im Anschluss an diese erinnern ein Mahnmal aus grauen Natursteinquadern an die Opfer. Ein symbolischer Friedhof, bestehend aus 17.000 unbearbeiteten Steinen, teils versehen mit Aufschriften, und Symbolisierungen der Installationen zur Leichenverbrennung. Eine Aufschrift verweist auf den Leiter des jüdischen Waisenhauses im Warschauer Ghetto, an den polnischen Militär- und Kinderarzt, Pädagogen sowie Kinderbuchautor Janusz Korczak, und die ihm anvertrauten Kinder. Korczak ging freiwillig mit ihnen im Sommer 1942 nach Treblinka II in den Tod.
* – Die bisherigen Beiträge sind in den Blättchen-Ausgaben 14 bis 16/2019 erschienen.
Schlagwörter: Auschwitz, Hannes Herbst, Heydrich, Holocaust, Treblinka, Wannsee-Konferenz, Zamosc