von Stephan Wohanka
Eine CDU-Politikerin und die Medien – man mag es nicht mehr gemeinsam nennen. Nach Annegret Kramp-Karrenbauers schiefen Vergleichen war es die stellvertretende CDU-Vorsitzende und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, die mit ihrer unverhohlenen Nestlé-Werbung für einen medienpolitischen Eklat sorgte. Der verdeckte jedoch völlig ihre in einem Podcast geäußerten Ansichten zum Klimaschutz: Noch vor Kurzem sei das Thema Klima ohne Chance gewesen; im Fokus hätten der Zuzug von Migranten und die Flüchtlingsfragen, auch Islamismus und Terroranschläge gestanden. Und man gehe baden, stürze man sich ohne „gedanklichen Überbau“ auf ein Thema, das gerade en vogue sei. Bemerkenswert! Während sich in der Flüchtlingsdebatte Regierungspolitiker vielfach die Argumente von Populisten und Rechtsextremen zu eigen machten, die dadurch einen erheblich politischen Schub erfuhren (der Euro als Plot war erledigt), basiert das Thema Klimaschutz dagegen auf breiter wissenschaftlicher Evidenz. Klöckner fiel dazu lediglich ein: „Der Wissenschaftler ist kein Politiker“.
Der umgekehrte Fall geht so: 2015 antworteten Republikaner im US-amerikanischen Kongress auf Fragen nach dem Klimawandel offenbar konzertiert mit der Floskel „Ich bin kein Wissenschaftler“ – dies mit der absurden Unterstellung, Politiker könnten in Sachen globaler Erwärmung nur auf Basis eigenen Expertenwissens urteilen. Noch hat – denke ich – die Politik Spielräume dafür, was sie in der Sache tut oder unterlässt; die Verhinderung der Klimakatastrophe ist jedoch kein Politikfeld unter vielen, sondern ist offenbar existentiell nicht nur für unser Land, sondern die gesamte Erde. „Offenbar“ deshalb, weil natürlich niemand den exakten Beweis antreten kann, dass das Klima „kippt“, und wenn ja – wann. Die weltweite wissenschaftliche Expertise legt jedoch mehr als nahe, es nicht darauf ankommen zu lassen. Anders gesagt, die Klimafrage ist im Grunde eine naturwissenschaftliche, eine physikalische – und Physik hat sich noch nie menschlichem Willen und Wollen und schon gar nicht jahrzehntelangem politischen Finassieren gebeugt. Mehr Glöcknerscher „gedanklicher Überbau“ geht wohl nicht. Und mit „grün“ hat das alles nichts gemein, auch wenn das unter anderem im Blättchen – „… ist unter der Hand ein ‚grünes‘ Juste Milieu akademisch gebildeter, urbaner, global orientierter, meist gut verdienender Menschen entstanden, deren idealtypische Gestalt der vegane Radfahrer ist und deren Kinder und Enkel jetzt revoltieren“ – immer wieder so abgetan wird.
Im Gegenteil. Gerade die von Schülern und Studenten ausgehende Protestbewegung kann eine neue und ernsthafte Perspektive für die Umwälzung tiefsitzender Gesellschaftsstrukturen eröffnen. Und gerade durch ihren relativ privilegierten Status und den immateriellen Charakter ihrer Kritik an einer möglicherweise jetzt menschheitsgefährdenden Zuspitzung ökonomischer Verwertung von Ressourcen und Natur gibt diese Jugendbewegung erstmals wieder den Blick frei auf eine mögliche ökologische Transformation respektive einen Ausstieg aus dieser Verwertungslogik! Und dass es dabei um Gesellschaftspolitik gehen muss, die ganz selbstverständlich die Auswirkungen unseres Verhaltens auf das Klima als Priorität einbindet.
Das alles ist kein Plädoyer für eine Ökodiktatur. Man muss sich nicht – natürlich nicht – von obiger Expertise beeindruckt zeigen und kann den (anthropogenen) Klimawandel in Abrede stellen, und man sollte auch Skeptiker nicht gleich mit „Flacherdlern“ beispielsweise in einen Topf werfen. Desgleichen ist festzuhalten, dass die Art des Umgangs mit dem Klimawandel zu einer Projektionsfläche ideologischer Referenzen geworden oder auch verkommen ist. In den öffentlichen Äußerungen dazu zeichnen sich ebenso viele Vorurteile wie Wertvorstellungen ab. Einerseits ist es ernüchternd, ansehen zu müssen, wie oft die immer gleichen, längst widerlegten Thesen aufgewärmt werden, nur um dem Klimaschutz Steine in den Weg zu legen. Ehrliche Zweifler sollten sich von solchem Obskurantismus fern halten. Aber ob andererseits jemand Freiheit oder Gleichheit höher schätzt, ob jemand Staat oder Wirtschaft misstraut – auch das wirkt sich auf die Einstellung zum Klimaproblem aus. Denn mangelt es an Toleranz für die Vielfalt weltanschaulicher Prämissen, fällt bei aller hohen Dringlichkeit notwendiger Maßnahmen die Verständigung darüber noch schwerer. Das alles macht aus, dass politische Parteien – wollen sie als solche gelten – gehalten sind, ihre Auffassung zu einer ökologisch orientierten Gesellschaftspolitik zu entwickeln, fortzuschreiben und für diese zu werben.
So halten es nach der vergeigten Europawahl namentlich CDU und SPD (die Bündnis-Grünen hatten da bekanntlich keinen oder wenig Nachholbedarf); und so hält es auch die AfD. Ihr Umweltpolitiker Karsten Hilse führte kürzlich aus: „Die AfD sagt hier und heute (März 2019 – St.W.) der Irrlehre des von Menschen gemachten Klimawandels den Kampf an“; weiter: „Wir wollen den Ausstieg aus allen diesbezüglichen nationalen und internationalen Verträgen und Gremien.“ Nota bene gehört die AfD unter Europas Rechtspopulisten zu den Radikalsten in der Klimafrage; warum wohl? Bekanntlich hatte auch die AfD ein „Jugendproblem“, das der Jungen Alternative (JA) die Beobachtung als „Verdachtsfall“ im Bereich Rechtsextremismus durch den Verfassungsschutz einbrachte. Jetzt aber, man stelle es sich vor, ein Schwenk um 180 Grad – von rechts außen nach links grün außen: Ableger der JA sind unter die Greta-Jünger gegangen! Ein Berliner Jung-AfDler fordert zum „Kurswechsel“ auf; das Thema Klimawandel und Umweltschutz müsse von der AfD „stärker besetzt werden“. Und: „Wir fordern die Mandats- und Funktionsträger unserer Partei dazu auf, von der schwer nachvollziehbaren Aussage Abstand zu nehmen, der Mensch würde das Klima nicht beeinflussen“. Natürlich könne man darüber streiten, wie stark dieser Einfluss sei. Unstrittig sei jedoch die Tatsache, „dass sich das Klima wandelt und dass Schadstoffe, wie jene in Autoabgasen, nicht gut für den Menschen und genauso wenig für die Umwelt sind“. Einsicht oder Opportunismus? Jedenfalls konnte die AfD mit sechs Prozent bei jungen Wählern desgleichen wie CDU und SPD bei der Europawahl kaum punkten.
Ein von der Dringlichkeit einer ökologischen Gesellschaftspolitik Überzeugter, der US-amerikanische Nobelpreisträger für Ökonomie Joseph Stiglitz, hört sich so an: „Als die USA während des Zweiten Weltkrieges angegriffen wurden, fragte niemand ‚Können wir uns das leisten, diesen Krieg zu kämpfen?‘ Es war eine existentielle Sache. Wir konnten es uns nicht leisten, ihn nicht zu kämpfen. Gleiches gilt für die Klimakrise. Wir sind schon mittendrin, dabei der direkten Kosten gewahr zu werden, die uns durch die Vernachlässigung der Sache entstehen – im laufenden Jahr hat das Land schon fast 2 % des Bruttoinlandsproduktes durch wetterbedingte Desaster wie Überschwemmungen, Hurrikans und Waldbrände verloren. […] Der Klimanotstand ist unser Dritter Weltkrieg“. Neben der Unabweisbarkeit in der Sache macht Stiglitz auch auf das ökonomische Moment aufmerksam – was kostet uns das Nichtstun?
Wir werden für den Klimawandel so oder so zahlen; es ist wohl vernünftiger, jetzt Geld und Ressourcen für die Reduktion schädlicher Klimagaseinträge in die Atmosphäre aufzuwenden als später wesentlich mehr für die Beseitigung der wachsenden, sich heute schon abzeichnenden Schäden zu zahlen: Steigende Meeresspiegel, Versteppung großer Land- und Ackerflächen, Erwärmung der Weltmeere, was wiederum die Zahl und Heftigkeit von Unwettern wie Starkregen und Wirbelstürmen erhöht mit allen Folgen für davon betroffene Menschen. Wir wissen, dass wir uns die Suppe eingebrockt haben und es ist an uns, sie auszulöffeln – und die Bereitschaft dafür ist da. Sie steigt. Die Menschen hierzulande erwarten nach vertanen Jahren endlich politische Führung, die dieses Wollen umsetzt!
Schlagwörter: Jugendbewegung, Julia Klöckner, Klimaschutz, Klimawandel, ökologische Gesellschaftspolitik, Stephan Wohanka