von Wolfgang Brauer
1910 lehnt die Jury der Berliner Secession unter dem Einfluss Max Liebermanns die Aufnahme von 27 expressionistischen Künstlern in ihre Jahresausstellung ab. Diese gründen daraufhin die „Neue Secession“. Die Sache könnte man als einen der üblichen Richtungskämpfe der Kunstgeschichte abhaken, wenn sie nicht bis heute nachwirkende Folgen gehabt hätte.
Zu den abgewiesenen Bildern gehört Emil Noldes „Pfingsten“ (1909). Und Nolde platzt der Kragen. Von nun an meint er, die Gegner seiner Kunst genau verorten zu können: „Die Führer der Sezessionen sind […] Juden, die Kunsthändler alle sind Juden, die führenden Kunstschriftsteller und Kritiker sind es auch“, schrieb er 1911 an seinen Hamburger Sammler Gustav Schiefler. Der Kampf gegen die „Malerjuden“ wurde ihm und Gattin Ada fortan zur Herzenssache. 1935 teilt Thekla Hess, die Frau des verstorbenen Erfurter Sammlers Hans Hess – dem hatte Kirchners „Berliner Straßenszene“ (1913) gehört, die 2006 zum Objekt eines mit äußerster Heftigkeit geführten Restitutionsstreites werden sollte – Emil Nolde mit, „daß mich Ihre Einstellung zu uns Juden tief erschüttert hat und ich sehr froh bin, daß meinem Mann, der mit solcher Bewunderung zu Ihnen aufsah, […], diese bittere Enttäuschung erspart geblieben ist“.
Thekla Hess bezieht sich auf Noldes Autobiographie „Jahre der Kämpfe“ (1934), aus der man – so die Verlagsankündigung – habe erfahren können, „daß Nolde schon vor 25 Jahren den Kampf gegen den Kulturbolschewismus aufnahm und für eine rein deutsche Kunst eintrat“. Den Brief zitiert der Historiker Bernhard Fulda (Universität Cambridge) im Katalog der Ausstellung „Emil Nolde. Eine deutsche Legende“, die derzeit in Berlin Furore macht.
Noldes enge Verbandelung mit dem Nationalsozialismus ist nichts Neues, seine verbohrte Judenfeindschaft auch nicht. 2013 setzte sich die hallesche Moritzburg damit auseinander, 2014 problematisierte das Städel in Frankfurt/Main Noldes Antisemitismus. Und dass Emil Nolde selbst und sein Clan nach 1945 die Biographie des Künstlers quasi „auf Widerstand“ umschrieben – gerade die autobiographischen Schriften wurden konsequent „gesäubert“ –, ist seit längerem bekannt und gehört zum großen Thema der Verleugnung der braunen Vergangenheit in der bundesdeutschen Kulturgeschichte. Auch in der DDR umschrieb man Noldes braune Weste gerne schamvoll: „Zeitlebens litt N. unter den Widersprüchen der spätbürgerlichen Gesellschaftsordnung“ ist in Meyers Neuem Lexikon 1963 zu lesen. Kam man um die Darstellung seiner „Blut- und Boden“-Positionen nicht herum, wurde in West wie Ost auf die exzessive Verfolgung im Rahmen der NS-Aktionen gegen „entartete Kunst“ verwiesen. Das bediente Noldes Eigendarstellung als prominentestes Kunstopfer der braunen Diktatur.
Die Kuratoren der Berliner Schau – neben Fulda sind das Christian Ring, Direktor der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde sowie die Kunsthistorikerin Aya Soika – haben eine Fülle von Dokumenten zur Noldeschen politischen Biografie zusammengetragen und diese in einen spannungsgeladenen Dialog mit insgesamt 100 teils hochkarätigen Werken versetzt. Natürlich gehört das erwähnte „Pfingsten“ dazu. Es bildet mit „Verlorenes Paradies“ (1921) und „Die Sünderin“ (1926) das atemberaubende Entree der Ausstellung, für die die Seebüller Stiftung eine Vielzahl von Leihgaben beisteuerte. Vom Detroiter Institut of Arts Museum kamen „Reife Sonnenblumen“ (1932), vom New Yorker Guggenheim „Junge Pferde“ (1916) – in Korrespondenz mit der Seebüller „Familie“ (1931) ermöglichen diese Bilder einen Hauch des Eindruckes, den die zwei (!) Nolde-Säle im Berliner Kronprinzenpalais Unter den Linden bis immerhin 1937 hinterlassen haben mögen.
„Familie“ ging durch die Bilderstürmerei der Nazis nicht verloren. Als Leihgabe Noldes an die Nationalgalerie kam das Bild zurück nach Seebüll. Dennoch wurden insgesamt 1052 Werke Noldes aus den deutschen Museen entfernt. Dazu gehörte auch ein Konvolut von 455 grafischen Arbeiten aus dem Essener Folkwang, das erst 1935 fast das komplette grafische Werk des Künstlers angeschafft hatte. Nolde, der der Meinung war, er werde von seinen NSDAP-Parteigenossen nur nicht richtig verstanden, war zwischen die Fronten des NS-Kunststreites geraten. Schon 1928 hatte der unsägliche Paul Schultze-Naumburg in seinem Buch „Kunst und Rasse“ den Figuren aus „Verlorenes Paradies“ Fotografien von körperlich und geistig behinderten Menschen gegenübergestellt. 1937 verunglimpfte Wolfgang Willrich Noldes Bilder in der Hetzschrift „Säuberung des Kunsttempels“ als „figürliche Machwerke“, die nur als „Rauscherreger“ für die „Rauschbedürftigen“ unter den „Kunstbolschewisten und Literaten“ nutzten. Ein gewisser W. Hansen hatte den Künstler schon im April 1936 in der Zeitung Die Bewegung des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes als „kulturellen Falschmünzer“ bezeichnet.
Dennoch sucht Nolde immer wieder Anerkennung durch das Regime zu finden – so durch die Umstellung auf vermeintlich harmlosere Blumen- und Seestücke oder gar nordisch-germanische Motivik wie auf den Wikinger-Bildern 1938. Zumindest mit den Landschaften gelingt Nolde die Kurve der Anpassung nicht. 1936 malt er die „Heuernte“ – stark im Ausdruck, fast schmerzend in einer Farbgebung, wie er sie im expressionistischen Jahrzehnt benutzte. Von Sujet und Bildaufbau her eine Bedrohungsszenerie. Hier war die Hand des Künstlers klüger als sein Kopf. Ähnliches widerfährt auch Franz Radziwill im ostfriesischen Dangast.
Die Buhlerei mit der Macht, der Verrat an der eigenen Kunst, sollte Emil Nolde nur wenig nutzen. Er gehört zwar zu den Großverdienern unter den Malern im Dritten Reich – für das Jahr 1940 versteuert er 80.000 RM Einnahmen –, im August 1941 erfolgt dennoch der Ausschluss aus der Reichskammer der bildenden Künste. Das war das Berufsverbot.
Noch 1940 hatte er in einem langen – nicht beantworteten – Brief an Adolf Hitler um dessen Zuneigung gerungen. Im November desselben Jahres schreibt er an Ada: „Sehr stark war gestern die Führerrede […] Einiges, wie es auch in meinem Briefe [gemeint ist der Hitler-Brief – W.B.] betreffs der Juden steht, poentiert er sehr. Es darf nicht aussehen als ob ich deswegen so geschrieben hätte, meines war ja schon da.“ Stimmt, „betreffs der Juden“ kann er wirklich als „Alter Kämpfer“ gelten. Und den Nazis hält er bis in das Frühjahr 1945 hinein die Treue. Bis fast ganz zuletzt hofft er noch auf den „Endsieg“. Kann man der Datierung seiner „Worte am Rande“ – scheinbar wahllos dahin geschriebene Zufallsnotizen – trauen, setzt erst im April eine geistige Absetzbewegung vom Regime ein.
Nach 1945 sind es nur wenige, die sich den Noldeschen Reinwaschungsritualen widersetzen. Zu ihnen gehört der Kunstkritiker Adolf Behne, ein wagemutiger Begleiter der Moderne. In der Zeitung Berlin am Mittag veröffentlicht Behne am 19. September 1947 eine Ausstellungsbesprechung: „Er war bereit, seine Kunst den Nazis darzubringen, und nur deren Ablehnung war das Hindernis. Er ist ein entarteter ‚Entarteter‘. […] Ich liebe Emil Nolde zu sehr, um zu dem Fall Emil Hansen [Hans Emil Hansen ist Noldes eigentlicher Name – W.B.] ‚taktvoll‘ schweigen zu können […].“
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat kurz vor der Eröffnung der Berliner Ausstellung Emil Noldes „Brecher“ (1936) und den „Blumengarten (Thersens Haus)“ (1915) aus ihren Räumen im Kanzleramt entfernen lassen und der Nationalgalerie ausgerichtet, dass sie auch künftig keinen Nolde mehr wolle. „Brecher“ ist ein Bild voller Dramatik, die Summa der Auseinandersetzungen des Künstlers mit den Gewalten der Natur. Metaphorisch ein Bild über die Unmöglichkeit den allgegenwärtigen Bedrohungen ausweichen zu können. Für mich zählt es zu den Kunstwerken – es entstand im selben Jahr wie die „Heuernte“ –, die klüger sind, als der Künstler selbst es war. Das Bild hängt in einer staubig wirkenden Ecke im Halbdunklen, erdrückt von einer Wandinstallation, die sich Siegfried Lenz’ Roman „Deutschstunde“ widmet. Das hat es nicht verdient. Damit wird am Ende des Ausstellungsrundganges der beabsichtigte Diskurs über die Ambivalenz von Leben und Werk dieses großen Künstlers und kleinen Menschen wieder abgewürgt. Es bleibt die Verurteilung. Das ist billig.
Emil Nolde. Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin, bis 15. September 2019; der zweibändige Katalog des Prestel-Verlages kostet in der Ausstellung je Band 39,00 Euro.
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