von Wolfgang Brauer
Nachdem Ende der vierziger Jahre die Nazigrößen merkten, dass die Entnazifizierung in den Westzonen auf einen durch die Erbringung von Ehrenerklärungen recht einfach zu erlangenden „Persilschein“ hinausläuft, hatten die noch vor kurzem Verfolgten und Verfemten viele Freunde: „Arno Breker lässt auch mich indirekt bestürmen, aber diese Entnazifizierung scheint mir wirklich nicht möglich, obwohl er zum Unterschied von den Schweinehunden Nolde und Naziwill sich anständig und hilfsbereit verhalten hat.“ So Karl Hofer 1947 in einem Brief an Gerhard Marcks. Mit „Naziwill“ ist der Maler Franz Radziwill (1895 – 1983) gemeint.
Radziwill gehört zu den umstrittensten deutschen Künstlern des 20. Jahrhunderts. Sicher, das liegt auch an seiner eigenwilligen Bildsprache, einem streckenweise fast übersteigerten Verismus, in den mit den Jahren zunehmend symbolistische Elemente einflossen. Das Beharren auf gegenständlichem Arbeiten machte ihn zudem in der Bundesrepublik zum isolierten Außenseiter. In der DDR hingegen zählte sein Werk – wohl auch zu seinem eigenen Erstaunen – zum Kanon realistischer Kunst. Hauptwerke Radziwills gehörten zum Bestand der Nationalgalerie, 1975 legte Roland März eine würdigende Monographie in der überaus populär gewesenen Reihe „Welt der Kunst“ vor. Dennoch: Es ist seine politische Biographie, die den Umgang mit ihm erschwert. In den zwanziger Jahren fast als KPDnah zu bezeichnen trat er 1931 in Berlin der „Novembergruppe“ bei. Bei genauerem Hinsehen war es allerdings nur noch deren Name, der revolutionär klang. Am 1. Mai 1933 wird er Mitglied der NSDAP. Nun war der braune Fleck auf der Weste bei vielen deutschen Künstlern so ungewöhnlich nicht. Während es aber dem bekennenden Nationalsozialisten Emil Nolde und seinem Anhängerkreis nach dem Kriege erfolgreich gelang, den Künstler quasi zum „Opfer“ zu stilisieren, ist das bei Radziwill alles schwieriger.
In den letzten Monaten versuchte ein Kooperationsprojekt von fünf norddeutschen Museen von Emden bis Oldenburg gleichsam in einer konzertierten Aktion den Maler wieder stärker im bildnerischen Gedächtnis der Öffentlichkeit zu verorten und zugleich die problematischeren Seiten von Werk und Biographie neu zu belichten. Das Franz Radziwill Haus Dangast, das zum Museum umgestaltete Wohnhaus des Künstlers im kleinen Badeort am Jadebusen, und die Kunsthalle Wilhelmshaven stellten sich dem Thema „Franz Radziwill in der Zeit des Nationalsozialismus“. Es erschien ein lesens- und anschauenswerten Katalogbuch. Der Befund ist eindeutig: Radziwill war kein zufällig naiv in den Reihen der NSDAP Angestrandeter, er war keiner der nach dem Reichstagsbrand vor den Parteibüros der Nazis Schlange gestanden habenden Karrieristen – „Märzgefallene“ spottete man damals. Der vielen einst als links geltende Künstler Franz Radziwill ging den Schritt in die Nazipartei konsequent: „Jedenfalls scheine ich als Nazi in Berlin schwer verrufen zu sein, dieses ist mir aber bester Lohn, weiter für diese hohe Bewegung zu werben, die den schönsten Sinn hat, Deutschland! Wenn Ihr am 30. Juli zur Wahl geht, dann gebt Hitler eure Stimme.“ So schrieb er einem Freund am 1. Juli 1932. Nach dem Parteieintritt erfolgte im Juli 1933 die Berufung zum außerordentlichen Professor und Leiter einer Malklasse an der Kunstakademie Düsseldorf. Dies in unmittelbarer Nachfolge des am 1. Mai 1933 „beurlaubten“ Paul Klee. Radziwill wusste, dass er Mittäter am Austreiben der Moderne und der Linken war. Er übte nicht nur diverse politische Ämter aus – er bezeichnete sich selbst als „politischer Leiter der NSDAP“, er fungierte unter anderem als „Kreiskulturhauptstellenleiter“ im Kreis Friesland –, Franz Radziwill läuft auch ganz gern in der braunen Uniform durch die Gegend. Es gibt ein Foto, das ihn 1934 in dieser zu Besuch bei den Bontjes van Beeks in Fischerhude zeigt (deren Tochter Cato war damals 14 Jahre alt, 1943 wurde sie von Nazis umgebracht). Die Bontjes van Beeks bewirkten später die Annäherung des Malers an die Bekennende Kirche. Da befand er sich aber schon in innerer Distanz zu den Nazis. Weniger aus politischen Gründen: „Es war schließlich nicht etwa der Zweifel an der NS-Ideologie als vielmehr die Enttäuschung über seinen ausbleibenden persönlichen Erfolg, was Radziwill ab 1935 und in Wellenbewegungen vom Regime entfremdete“, erklärt die Wilhelmshavener Zeitung vom 12. März 2011 diesen Vorgang. Die Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Krieges und das Ahnen um die Unabwendbarkeit der Katastrophe (1941 malt er das aus seinem Atelierfenster heraus beobachtete Inferno des brennenden Wilhelmshaven) taten ihr Übriges. Radziwills „Ächtung“ durch die offizielle Kunstpolitik des Dritten Reiches war für seine Person durchaus ambivalent zu sehen. Während er 1935 aufgrund von Denunziationen seinen Lehrstuhl in Düsseldorf wieder verliert, in die Mühlen der „Entarteten Kunst“ gerät und sich die Feindschaft der Reichskammer der Bildenden Künste zuzieht – wie bei allen Hackordnungskämpfen in der Nazihierarchie spielten auch hier persönliche Zwistigkeiten, konkret mit des Führers Lieblingsaktmaler Adolf Ziegler eine Rolle –, kann er vor allem in Norddeutschland noch bis 1941 ausstellen. Er genießt lange die Protektion der Kriegsmarine. Mehrmals kann er als Gast längere Fahrten an Bord von Schiffen der Marine mitmachen, allein zweimal an Bord des Panzerschiffes „Deutschland“. Der malerische Ertrag war eher gering. 1938 war Radziwill vor Ort Zeuge der Beschießung der spanischen Hafenstadt Almeria durch die „Admiral Scheer“. Das handwerklich miserable Gemälde „Beschießung von Almeria“ (1938) entspricht in seiner künstlerischen Qualität durchaus der Erbärmlichkeit dieser Schießübungen der Reichskriegsmarine mit lebenden Zielen. Es lohnt dennoch, sich mit den Kriegsbildern jener Jahre auseinanderzusetzen. Zu den umstrittensten gehört zweifellos sein „Auslaufendes U-Boot“ aus dem Jahre 1936. Es zeigt das Boot kurz nach dem Passieren der Hafenschleuse, in eine dunkle Wolkenfront einbiegend. Die Schleusentore sind noch geöffnet, die Flut strömt mit großer Heftigkeit in den Hafen. Die ganze Szenerie ist düster, dem Betrachter ist klar – dieses Boot kehrt nicht zurück. Keine wehende Flagge und keine fröhlich-aufschäumende Gischt wie es sich für den Aufbruch zur „Feindfahrt“ gehörte, keine Ästhetisierung des Mordens, wie sie uns mit Wolfgang Petersens Film „Das Boot“ regelmäßig im Fernsehen belästigt. Dieses Bild erinnert an Caspar David Friedrichs „Chasseur im Walde“ (1813), das auch mehr Hoffnungslosigkeit als Siegesgewißheit ausstrahlt. Die Stadt Rüstringen hat das aber nicht gehindert, dieses Bild für ein HJ-Heim anzukaufen. In einer 1938 entstandenen Ölstudie baut Radziwill ein Dreieck zwischen drei U-Booten im Mittelgrund des Bildes, einem im Dünensand fast verschwundenen Schiffsskelett und drei Grabkreuzen im Vordergrund auf. Hier werden, ebenso wie in der ersten Fassung des Gemäldes „Der U-Boot-Krieg“ (1939), die Bezüge zu Friedrich überdeutlich. Die Kriegsmarine erkannte den abgrundtiefen Pessimismus des Bildes besser als der Maler selbst. Ein Ankauf kam nicht zustande. In der Folge übermalte es der Künstler bis etwa 1960 mehrmals – dadurch wurde das Gemälde neben anderen, zu einem Kronzeugen des „inneren Widerstandes“, der angeblichen Kriegsgegnerschaft des Künstlers des Künstlers „von jeher“ (zu dieser Behauptung lässt sich Rainer W. Schulze im Katalog hinreißen). Durch mehrfache Übermalung vom Künstler selbst uminterpretiert wurde auch „Flandern“ (1940). 1950 erhielt es unter dem Titel „Wohin in dieser Welt?“ eine Fassung, die es tatsächlich als erschütterndes Antikriegsbild ausweist. Da ist nichts mehr von Lüge und ästhetisch peinlicher Anbiederung an den „neuen Zeitgeist“, wie bei der versuchten „Ummalung“ seines SA-Verherrlichungsgemäldes „Revolution“ (1933/34), das jahrzehntelang im Depot versenkt blieb. Jetzt ist es im Dangaster Atelier des Künstlers zu sehen – und provoziert Ekel und Erschrecken. Allerdings anders, als es Radziwill einst wollte. Manchmal sprechen die Werke eine deutlichere Sprache, als es ihre Maler beabsichtigten.
Der Maler Franz Radziwill in der Zeit des Nationalsozialismus, Franz Radziwill. Haus Dangast, noch bis zum 15. Januar 2012; Katalog (gemeinsam mit der Kunsthalle Wilhelmshaven) 29,50 Euro.
Schlagwörter: Dangast, Franz Radziwill, NS-Kunst, Wolfgang Brauer