von Hubert Thielicke
„Eine neue Weltordnung: Vom Ende amerikanischer Hegemonie“ – Mit diesem Thema hatte das Deutsch-Russische Forum für seine Diskussionsveranstaltung am 5. März eine hochinteressante Fragestellung gewählt. Davon zeugte nicht zuletzt der Besucherandrang; schon Tage zuvor waren alle Plätze ausgebucht.
Wohin strebt die Welt? Lösen sich gerade die bekannten Muster der Geostrategie, der Bündnis- und Machtkonstellationen auf? Was tritt an ihre Stelle? Welches Gewicht haben Absprachen und Verträge in einer Welt der konkurrierenden Wahrheiten? Darüber diskutierten unter der Moderation des USA-Experten Josef Braml (DGAP) der Politik- und Islamwissenschaftler Michael Lüders (Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft) und Alexander Rahr (Deutsch-Russisches Forum). Die drei Politologen sind auch bekannte Autoren, hatten erst kürzlich gewichtige Veröffentlichungen vorgelegt: „Trumps Amerika – auf Kosten der Freiheit“ (Braml), „Armageddon im Orient” (Lüders) und „2054 – Putin decodiert“ (Rahr).
Die Transatlantische Ordnung sei bedroht, angesichts Trumps Auftretens müsse man nun selber denken, meinte eingangs Josef Braml. Zudem beanspruchten Russland und China ihren Platz in der Weltordnung, im Nahen Osten seien Regionalmächte im Kommen. Die Weltordnung von Jalta hätte 1989 ihren Geist aufgegeben, schätzte Alexander Rahr ein, aber auch die „Ordnung der Charta von Paris“ sei hinfällig. In Russland würde die Pariser Charta von 1990 als Kapitulation betrachtet, da Moskau sie im damaligen Chaos nur um des Überlebens willen unterschrieben hätte. Nun bilde sich eine multipolare Weltordnung heraus. Während man sich in Westeuropa noch an die USA klammere, treten Russland und China gegen die unipolare Ordnung auf, China mit seiner Neuen Seidenstraße leise und pragmatisch, Russland unter Verweis auf seine Militärmacht lauter. Die EU müsse sich anstrengen, um in der Sicherheitspolitik eine wichtige Rolle zu spielen. Wenn Russland in Europa kein Mitspracherecht erhalte, werde es stärker in Richtung Asien gehen, wovon die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit bereits zeuge.
Präsident Trump wolle eigentlich einen Deal mit Russland, woran ihn der Kongress hindere, während Europa ihn nicht interessiere, schätzte Rahr ein. In Russland sei das anders: Putin habe freie Hand, so dass ein Übereinkommen möglich sei. Europa werde von Russland noch aus dem Blickwinkel des 19. Jahrhunderts betrachtet – dem „Konzert der Mächte“ des Wiener Kongresses. Moskau interessierten nur die europäischen Großmächte, was ein Fehler sei. Zugleich habe die NATO ein neues Feindbild Russland aufgebaut und sich in den postsowjetischen Raum ausgedehnt, was Moskau nicht akzeptieren könne. Für Deutschland komme nun die Zeit, die Frage einer Äquidistanz zwischen Russland und den USA zu prüfen. Auch die Schieflage in der europäischen Sicherheitsarchitektur müsse bereinigt werden. Für die USA gehe es eigentlich nur um den Raum von Vancouver bis zum Donbass, während Deutschland an der Region bis Wladiwostok interessiert sein müsse, auch angesichts der riesigen russischen Rohstoffressourcen. Darauf weise gerade die deutsche Wirtschaft, insbesondere ihr Ostausschuss, nachdrücklich hin. Nicht zuletzt stelle sich angesichts der Aussetzung des INF-Abkommens die Frage eines neuen Wettrüstens. Mit Frankreich solle Deutschland eine aktive Rolle bei der Lösung der Ukrainekrise spielen. Es müsse um UN-Blauhelme statt US-Waffen für Kiew gehen, betonte Alexander Rahr.
Nach Auffassung von Michael Lüders haben der Irak-Krieg von 2003 und die spätere Banken- und Finanzkrise die weltpolitische Rolle der USA stark getroffen, parallel dazu seien China und Russland aufgestiegen. Zugleich sei es nicht zu einer Annäherung zwischen dem Westen und Russland gekommen, während sich die NATO nach Osten ausdehnte, was schließlich in der Krim-Krise kulminierte, eine Reaktion darauf, dass der Westen eine „rote Linie“ überschritten hatte. Als Weltmacht im Niedergang müssten die USA eigentlich an Deals mit China und Russland interessiert sein, einschließlich der Abgrenzung ihrer Interessensphären. Washington reagierte aber mit verstärktem Druck, während die EU hilflos agiere und nicht bereit sei, sich mit beiden Seiten ins Benehmen zu setzen. Viele „Transatlantiker“ verstünden sich noch immer als Juniorpartner der USA, beriefen sich auf „westliche Werte“, statt ihre europäischen Interessen zu vertreten.
Was den Nahen Osten betreffe, habe Iran den Wiener Nuklear-Deal von 2015 eingehalten, so Lüders. Das könnte auch die Trump-Regierung nicht bestreiten, weshalb sie sich auf Irans Verstöße gegen den „Geist des Abkommens“ und das Eingreifen in Syrien berufe. Dahinter stehe die Feindschaft gegen das einzige Land im Nahen und Mittleren Osten, das sich Interessen der USA nicht füge. Deutschland, Frankreich und Großbritannien stünden nun vor einem Dilemma: Sie seien nicht gewillt, klare Kante zu zeigen, um nicht ins Visier der völkerrechtswidrigen Sanktionspolitik der USA zu geraten, möchten aber das Abkommen erhalten. Dafür müsste die EU jedoch mehr tun, insbesondere auf wirtschaftlichem Gebiet. Den USA gehe es im Grunde um einen Regimewechsel in Iran, sie wollten durch ihren Druck Wirtschaft und Gesellschaft des Landes implodieren lassen. Eine militärische Option sei schwierig, Krieg durch Versehen aber nicht auszuschließen. Washington und seine Verbündeten hätten den Stellvertreterkrieg gegen Russland und Iran verloren. Beide Staaten erwiesen sich als sehr rationale Akteure und ließen sich nicht provozieren. Auch hier hätte Deutschland als Vermittler eine konstruktive Rolle spielen können, wozu aber das nötige Selbstbewusstsein gegenüber den USA gefehlt habe.
In der lebhaften Diskussion wurden die Doppelstandards westlicher Medien und Politik heftig kritisiert. Während der Irakkrieg der USA wie auch die Übergriffe Israels auf die Palästinenser hingenommen werden, werde Russland bei jeder Gelegenheit als „aggressiv“ verunglimpft. Russische Vorschläge wie die Medwedjew-Initiative von 2008 über einen europäischen Sicherheitsvertrag wurden mit dem Argument, sie seien auf „die Spaltung der NATO gerichtet“, nicht ernst genommen. Ein Diskutant sprach in dem Zusammenhang von einer „Lückenpresse“. Erfreulich trotz allem: Auch jüngste Umfragewerte belegten, dass die große Mehrheit der Deutschen in Russland keine Gefahr sehe.
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