22. Jahrgang | Nummer 6 | 18. März 2019

Ein Witz – wie ernst das klingt

von Henryk Goldberg

Ich sag’s ungern, aber: Das wird man ja wohl noch sagen dürfen. Zum Beispiel, dass Kramp-Karrenbauer ein irgendwie komisch klingender Name ist, wenn auch nicht ganz so komisch wie Leutheusser-Schnarrenberger und nicht annähernd so wie Dr. Müller-Lüdenscheidt. Eine Thüringer Mitbürgerin hatte eine Karnevalsbühne geentert, um den dort blödelnden Witzemacher darob in die Schranken zu weisen. Das tut man nicht.
Dann machte die Frau mit dem mehr oder weniger, eigentlich weniger, komischen Namen ihrerseits vor einem sogenannten Narrengericht eine Aussage, will sagen: Witz. Den, es seien die Toiletten für das dritte Geschlecht „für die Männer, die noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder schon sitzen müssen“. Woraufhin große Teile der Republik, sozusagen, standen wie ein Mann gegen diese Diskriminierung einer Minderheit, während andere vor Lachen von ihren Sitzen fielen. Ich, wäre ich dabei gewesen, wäre weder aufgestanden vor Wut noch umgefallen vor Lachen.
Das Ding ist so müde wie die meisten Männer-Frauen-Witze zur Faschingszeit; ins Visuelle gewendet, sind es die vier kleinen Schwäne, dargeboten von Männern mit Strapsen. Gähn. Und von dem Dr. Hubert G. aus Witterda könnten ganz viele von ihnen ganz viel lernen, beim Fasching des Männerchores Cäcilie. Aber ist das ein politischer Skandal?
Ich finde es, darin ist kein Hauch Ironie, großartig, dass intersexuelle Menschen nun als Geschlecht „divers“ angeben können, überfällig war es schon lang, über die Verfahrensweise mögen Berufenere diskutieren.
Wie über vieles, was gegen in Jahrhunderten tradierte Normen und Konventionen verstößt, wird auch darüber zunächst gelacht und gelästert. Und der Gedanke an ein drittes Geschlecht ist zunächst, das muss man einräumen, gewöhnungsbedürftig. Als Ernst von Wolzogen 1899 den Roman „Das dritte Geschlecht“ schrieb, da vertraute er auf den damals absurd wirkenden Widerspruch des Titels, so wie Gerd W. Heyse, als er „Die dritte Seite der Medaille“ beschrieb. Darf man über eine solche Minderheit, die lange darum kämpfen musste, überhaupt als solche wahr- und ernstgenommen zu werden, solche Witze machen?
Im Grunde hat die CDU-Vorsitzende Witze über Weicheier, Softis, Schattenparker, Warmduscher et cetera gemacht. Und sie hat die Intersexuellen, das heißt die Toiletten, die das von drei politischen Gegnern regierte Land Berlin für sie einrichten will, als Vehikel benutzt. Ihr Schuss, wohin immer er losgegangen sein mag, war auf Berlin und die dortige Regierung gerichtet. „Da seht ihr doch die Latte-Macchiato-Fraktion, die die Toiletten für das dritte Geschlecht einführen.“ Und dann kommt der Satz mit den Männern, die nicht mehr richtig wissen, wie sie richtig pinkeln sollen. Es geht primär gegen die Kaffee-mit-Milch-Trinker in Berlin, gegen die Softis von Rot-Rot-Grün. Am Rande will sich da eine Frau, von der es ironisch heißt, sie habe ihre Partei „entmannt“, als rechter Kerl erweisen. Das klingt ein wenig wie dieser Mario-Barth-Humor, das mag man mehr oder weniger geschmackvoll und witzig finden – aber ein politischer Skandal? Man kann, ohne antisemitisch zu werden, auch Witze über Juden erzählen, die sind, zugegeben, wenn sie gut sind, intelligenter als diese Pinkel-Nummer.
Immer wenn über eine Gruppe dekretiert wird, sie sei nicht witzetauglich, wenn sie also gleichsam in eine Art von moralisch geschützter Werkstatt einquartiert wird, ist das dieses eine Signal: Das ist, die sind etwas Besonderes, für die gilt nicht, was sonst für alle gilt. Eine, sozusagen, spezielle, gut gemeinte Art gruppenbezogener Ausgrenzung aus der gesellschaftlichen Normalität: Die sind anders, für die gelten andere Regeln.
Ich verstehe, wenn unmittelbar Betroffene, also Intersexuelle, hier empört waren. Aber ich denke, wenn die politischen Gegner, die SPD, die Linke, die Grünen, sich mit Juchu! und Gebrüll auf die CDU-Vorsitzende stürzen, dann werden die Intersexuellen von ihnen nicht weniger benutzt als von der lustvoll attackierten Gegnerin.
Im Übrigen denke ich, erst wenn ein Witz über Schwule und Transsexuelle auf die gleiche Weise blöd erzählt und verstanden wird wie ein Blondinenwitz, also einfach nur blöd ohne hämischen Untertext, ist Normalität erreicht.
Da wir gerade beim Karneval sind, eine Hamburger Kita hatte darum gebeten, dass die Kinder nicht als Indianer oder Scheichs erscheinen mögen. Das nämlich ist eine „kulturelle An­eignung“. Irgendwann werden sie entdecken, dass auch Chinesisch essen eine kulturelle Aneignung ist. Denn eine Peking-Ente schmeckt in Peking deutlich anders als in Hamburg. Und besser mit den Stäbchen können sie auch.