22. Jahrgang | Nummer 4 | 18. Februar 2019

Antworten

Stephan Weil, Ministerpräsident Niedersachsens – Anfang der 1980er Jahre waren Sie als junger Student und Sozialdemokrat Angehöriger einer Generation, deren Sozialisation maßgeblich von der Angst vor einem thermonuklearen Krieg geprägt wurde. Sie engagierten sich damals in der Friedensbewegung gegen den NATO-Doppelbeschluss, insbesondere gegen die darin vorgesehene Stationierung neuer US-Kernwaffensysteme auf deutschem Boden. Im Bonner Hofgarten versammelten sich am 10. Oktober 1981 etwa 500.000 Menschen zur größten Friedensdemonstration, die die alte Bundesrepublik je gesehen hat. Sie waren dabei.
Kürzlich zeigten Sie sich nun „bestürzt über das bevorstehende Ende des INF-Vertrags“, sie meinten, ein „neues Wettrüsten muss unbedingt verhindert werden“. Und dann kam’s: „Wahrscheinlich brauchen wir eine neue Friedensbewegung.“
Es ist bei führenden Sozialdemokraten ja schon häufiger so gewesen, dass es, wenn sie endlich aus Muspott kommen, dann sofort nach „Jetzt wollen wir aber mal ganz schnell das Fahrrad neu erfinden!“ klingt. Die Friedensbewegung war ja nie weg, werter Genosse Weil. Die Ostermärsche fanden die ganze Zeit statt, wenn auch – im Vergleich zur Hofgarten-Zeit – auf Häuflein der letzten Aufrechten beschränkt. Und ohne Rückenwind der SPD-Führung. Wie wäre es denn, nur mal so als Vorschlag, wenn Sie die Kräfte in Ihrer Partei hinter sich sammelten, die auch kein neues atomares Wettrüsten wollen, und marschierten im Frühjahr einfach mal mit?

Sigmar Gabriel, Ex-Außenminister und Ex-SPD-Chef – Das Recht der Meinungsfreiheit sei Ihnen ja unbenommen. Dass allerdings einem Ex in der Regel wenig Gehör geschenkt wird, beruhigt uns in Ihrem Fall aber denn doch sehr. Gerade haben Sie sich nämlich wieder mit einem umwerfenden Vorschlag in Erinnerung gebracht: „Wegen der historisch bedingten Zweifel der Ost-Europäer an der Beistandsbereitschaft des Westens wird der erste Schritt sein müssen, deutlich mehr Verantwortung für die militärische Sicherheit dieser Länder zu übernehmen. Sprich: mehr europäische und damit auch deutsche konventionelle Truppenverbände in Osteuropa zu stationieren.“
Und um noch den letzten Zweifel zu beseitigen, dass Sie auf dem für Sie augenscheinlich unakzeptablen oder bloß unerträglichen politischen Abstellgleis offenbar zugleich Ihren visionären Zenit hinter sich gelassen haben, stellten Sie diesen Nonsens überdies unter die Überschrift „Eine neue Zeitrechnung beginnt“ (Der Tagesspiegel, 31.01.2019).
Da muss man ja froh sein, dass die Bundeswehr derzeit praktisch über keine einsatzfähigen konventionellen Großverbände verfügt, um solchen (Un)Ratschlag zu exekutieren.
Ein weiterer Ex, Gerhard Schröder, hatte Ihnen kürzlich attestiert: „Sigmar Gabriel ist vielleicht der begabteste Politiker, den wir in der SPD haben.“ Hätte Schröder Recht, wäre das schade für die SPD. Aber eigentlich kommt es darauf bei dieser Partei ja wirklich schon gar nicht mehr so richtig an …

Peter Altmaier, Bundeswirtschaftsminister mit fremdgebremsten Ambitionen – Nur einen Tag, nachdem Sie Ihre Strategie verkündet hatten, nationale industrielle Champions entwickeln und den Anteil der Industrie an der Wertschöpfung auf 25 Prozent heben zu wollen, fuhr Ihnen die schnöde Realität brutal in die Parade: Die EU-Kommission verbot den geplanten Champion zwischen Siemens und Alstom, mit lyrischem Herzblut auch „Airbus der Schiene“ geheißen. Doch damit nicht genug: Die globalen Abnehmer der deutschen Exportindustrie haben laut Statistischem Bundesamt ihre Bestellungen im Dezember um 1,6 Prozent gekürzt, was natürlich kein Schritt in Richtung Ihrer 25-Prozent-Marke ist.
Trösten Sie sich mit dem einstigen britischen Premierminister David Lloyd George, der folgende Erfahrung sein eigen nennen konnte: „Der Beweis von Heldentum liegt zuweilen nicht im Gewinnen einer Schlacht, sondern im Ertragen der Niederlage.“

Beate Klarsfeld, antifaschistische Legende – Unvergessen ist jene Ohrfeige, die Sie 1968 während eines CDU-Parteitages in der Berliner Kongresshalle dem damaligen Kanzler Kurt Kiesinger verpassten und ihn vor aller Öffentlichkeit als das bezeichneten, was er zumindest einst gewesen ist: „Nazi, Nazi, Nazi!“ Das war gewiss eine spektakuläre Tat, um auf die nationalsozialistische Vita immerhin des Bundeskanzlers aufmerksam zu machen, mehr noch haben Sie und Ihr Ehemann Serge, Sohn eines in Auschwitz Ermordeten, über viele Jahre hinweg dafür getan, deutsche Kriegsverbrechen zu dokumentieren, deren Töter in der diesbezüglich „befriedeten“ Bundesrepublik aufzuspüren und ihrer Bestrafung zuzuführen: Kurt Lischka, Klaus Barbie, Alois Brunner … In diesen Tagen sind Sie nun 80 Jahre alt geworden, auch wir gratulieren.

Bernd Lucke, einst AfD-Gründer – Sie haben die gemäßigten Anhänger jener Partei, die Sie nach Ihrer Abwahl als Chef 2015 verlassen hatten, nun dringend aufgefordert, mit Rechtsextremisten zu brechen. Nicht nur Holocaust-Leugner und Skinheads gehörten dazu, sondern auch Deutsche, die sich „über Menschen anderer Herkunft erheben, nur weil diese nicht deutsch sind“. Wer dazu schweige, dass Rechtsextreme in der AfD eine Heimstatt gefunden hätten, mache sich mitschuldig. Ihrer Aufforderung: „Machen Sie Ordnung im eigenen Haus, indem Sie zumindest sagen, wo es stinkt“, ist als Minimalforderung schwerlich zu widersprechen; immerhin stinkt es ja beträchtlich.

Claudia Wangerin, junge Welt-Autorin – „Sozenrevolte/SPD im Revoluzzermodus“ haben Sie einen Text über den Vorstoß der SPD zur Abkehr von Hartz IV und anderen sozialen Missständen überschrieben. Nun sind die Vorstellungen der SPD ganz sicher auch kritisch zu hinterfragen – dass dies nun allerdings auf diese zutiefst abfällige Weise in einer Zeitung geschieht, die an Revoluzzertum nur schwer zu toppen ist, birgt denn doch eine paradoxe Ironie in sich. Mit dieser Tonart gewinnt man ganz sicher politische Bundesgenossen; Glückwunsch also zu solch ideologischer Festigkeit.

Gerhard Schröder, elder statesman – Würde es Klarsichtigen überhaupt an Belegen dafür fehlen, dass und wie das Großkapital in Ihrem Sinne die Politik am Gängelband hat, eine längere Passage im jüngsten Spiegel-Interview mit Ihnen veranschaulicht die Sachlage aufs feinste. Auf die Frage, warum Sie seit jeher gegen ein Tempolimit seien, haben Sie mit entwaffnender Offenheit so geantwortet: „Na, weil die Autos hierzulande so ausgelegt sind, dass man sie schnell fahren kann. Ein Tempolimit ist der falsche Weg, mit dieser für uns so wichtigen Industrie umzugehen.“ Nun trifft nicht immer zu, was Anton Kuh dereinst in den Satz gekleidet hat, dass die Weltgeschichte genauso sei, wie Klein-Moritz sie sich vorstellt, hier allerdings schon; Respekt, verehrter Altkanzler.

Heinrich Zille, Empathischer – „Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genau so töten wie mit einer Axt“, haben Sie einst mit Blick auf die menschenunwürdigen Behausungen von großstädtischen Proletariern namentlich in Keller- und Hinterhauswohnungen resümiert. Vermag man es, vom Los der Obdachlosen in unseren Städten abzusehen, dann spielen besagte Wohnbedingungen in unserem Gemeinwesen heute keine große Rolle mehr. Die Rolle der axtähnlichen Bedrohung des Wohnens hat indes der Mietzins übernommen.

Antje Kapek, Grünen-Fraktionschefin im Berliner Abgeordnetenhaus – Als letztes Mittel, um bezahlbaren Wohnraum zu sichern, können Sie sich auch eine Enteignung von Berliner Wohnungseigentümern vorstellen. „Im Grundgesetz steht: Eigentum verpflichtet“, haben Sie gegenüber der Deutschen Presse-Agentur geäußert. Hauptproblem sei, „dass etwa der Konzern Deutsche Wohnen dieser Verpflichtung nach unserer Interpretation nicht nachkommt. Deshalb sollte auch der Senat aus meiner Sicht überlegen, ob man in besonders krassen Fällen nicht auch diesen letzten Schritt einmal geht.“ Nun mag man nur ungern mit jemandem polemisieren, der Vernünftiges von sich gibt. Warum es (auch) in Berlin angesichts besagter Verfassungslage aber erst zu solch perfidem Justiz-Gerangel zwischen Kapital und Politik um das Menschenrecht auf menschenwürdiges und also auch bezahlbares Wohnen kommen musste, um zu dieser Einsicht zu gelangen, erschließt sich nur schwer. Eigentlich gar nicht.

Mathias Brüggmann, Thronanwärter – Vom Handelsblatt als International Correspondent apostrophiert ließen Sie dieser Tage in demselben das Publikum zur Aufklärung über die Ursachen der verschärften Spannungen im Verhältnis zu Russland wissen: „Mit der Annexion der Krim begann die Verschiebung der seit dem Ende des Kalten Krieges festgezurrten Grenzen.“ Dabei weiß doch jeder, der nicht auf dem betreffenden Auge blind ist, dass die „festgezurrten Grenzen“ bereits mit der Separation des Kosovo von Serbien durch den Westen zu einem Muster von – im Falle des Falles – zweifelhaftem Wert gemacht worden waren.
Ihnen zum Trost: Zumindest unter den Blinden ist der Einäugige noch allemal König, selbst wenn er den Splitter im Auge seines Gegenübers besser sieht als das Kantholz im eigenen, wie es bei Matthäus 7,3 so schön (oder so ähnlich?) heißt …

Olaf Gersemann, Ressortleiter Wirtschaft, Finanzen, Immobilien der Welt – „Nachdem mehrere Konjunkturindikatoren nach unten weisen, geht die Angst vor einer Rezession um. Fachleute glauben aber nicht an eine Abwärtsspirale und halten sogar einen neuen Aufschwung für möglich“, fassen Sie im Vorspann eines langen Beitrags Ihrer Zeitung dessen Inhalt zusammen. Das ist das Schöne an Konjunkturprognosen in (vermutlich nicht nur) unserem Gemeinwesen: Für die Herzerwärmung jedes Interesses steht ein Wirtschaftsinstitut mit seinen Experten bereit. Wer sich die Mühe macht, etwa ein Vierteljahr lang allein die Überschriften von Wirtschaftsbeiträgen bei Spiegel online zu sammeln und in einer Liste als Abfolge zusammenzustellen, bekommt ein sehr merkwürdiges Bild vom Sachverstand der Sachverständigen …