22. Jahrgang | Nummer 3 | 4. Februar 2019

Angela, nicht allein

von Erhard Crome

Angela, nicht allein zu Haus. Im Bundeskanzleramt ohnehin nicht, da gibt es genug Domestiken. Aber auch nicht in Davos. Dort drohte zunächst Promi-Mangel. Klaus Schwab, deutsch-schweizerischer Fabrikantensohn und Wirtschaftsprofessor, Gründer und seit 1971 Vorsteher des Weltwirtschaftsforums von Davos, musste zunächst Absagen von Wladimir Putin und Xi Jinping hinnehmen. Da hoffte er auf Donald Trump als Star-Redner. Der sagte wegen der Haushaltssperre ebenfalls ab, untersagte schließlich überhaupt die Teilnahme US-amerikanischer Regierungsvertreter, und lediglich Außenminister Mike Pompeo wurde am Ende per Video dazugeschaltet. Der lobte die Politik seines Präsidenten. Dann sagte Theresa May ab wegen der Brexit-Turbulenzen in London und Emmanuel Macron wegen der Gelben Westen in Paris. Blieben der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe, der neue, rechte Präsident Brasiliens, Jair Bolsonaro, und Deutschlands Angela Merkel.
Schwab ist laut Wikipedia Mitglied des „Steering Committees“ der „Bilderberger“. Das ist die jährliche Beratung der Großkopferten von Kapital und Politik zur Weltlage aus abendländischer Sicht. Über jene im Taschenbergpalais in Dresden vom Juni 2016 schrieb die Mitteldeutsche Zeitung (7. Juni 2016), es hätten etwa 130 „hochrangige Vertreter von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Militär und Medien“ teilgenommen. Unter den deutschen Teilnehmern waren Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (die jetzt auch in Davos gesehen wurde), der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble, Joe Kaeser von Siemens, Springer-Chef Mathias Döpfner und Julia Jäkel von Gruner + Jahr; außerdem der frühere US-Außenminister Henry Kissinger, Google-Chef Eric Smith, Michael O‘ Leary von Ryanair sowie zahlreiche Banker und Hedgefonds-Manager. Thematisch ging es unter anderem um „China, Europa, den Mittleren Osten und Russland“, „Geopolitik“ und die innere Stabilität der westlichen Gesellschaften. Die „Bilderberger“ gelten als geheime Weltregierung des Neoliberalismus, weshalb Bilderberger-Kritik gern als „Verschwörungstheorie“ diffamiert wird. Davos-Kritik dagegen war bisher allgemein geduldet, galt doch das „Weltsozialforum“ der Globalisierungskritiker in Porto Alegre, das ursprünglich ebenfalls jährlich im Januar stattfand, als Gegenformat zum „Weltwirtschaftsforum“ in Davos. Das veranstaltete nunmehr vom 22. bis 25. Januar sein 49. Jahrestreffen.
Etwas ironisch könnte man sagen: Wenn Bilderberg die Vorstandstagung der neoliberalen Weltelite ist, stellt Davos die Hauptversammlung dar. Immerhin rechnen die Veranstalter mit jährlich etwa 3.000 Teilnehmern. Die waren es, trotz der Absagen, wohl in diesem Jahr wieder. Aus Deutschland hatte auch Wirtschaftsminister Peter Altmeier seinen Auftritt in Davos. Unter anderem frühstückte er mit dem umstrittenen Milliardär George Soros. In einem Tweet meinte Altmaier: „Gutes Frühstückstreffen mit George Soros. Vielen Dank für Ihre Unterstützung für Europa und unsere globalen Werte.“ Das klingt nach Anti-Trump-Fronde. Worüber sie wirklich gesprochen hatten, war auch auf der Webseite des Bundeswirtschaftsministeriums nicht zu erfahren. In der vorher platzierten Pressemitteilung hieß es nur, dass Altmaier in Davos über „offene Märkte“, eine „Modernisierung“ der Welthandelsorganisation WTO – was immer das heißen mag – und über „künstliche Intelligenz“ reden wollte. Das passte. Immerhin lautete das Jahresmotto von Davos: „Globalisierung 4.0: Gestaltung einer globalen Architektur im Zeitalter der vierten Industriellen Revolution“.
Die Kanzlerin legte ganz in diesem Sinne einen Schwerpunkt auf Digitalisierung, Umgang mit Daten und Big Data. Hier machte sie zwei „Pole“ aus: In den USA seien die Daten stark in privater Hand, in China dagegen gäbe es „einen sehr großen Zugriff des Staates auf alle Daten“. Wer hier innehält, sich die Augen reibt und fragt, ob da nicht etwas war mit dem netten Obama und der NSA, der wird zwei Abschnitte später scheinbar nicht enttäuscht: „als wir Schwierigkeiten mit dem amerikanischen Nachrichtendienst NSA hatten“, so Merkel weiter, da habe sich Deutschland „bemüht, in der Generalversammlung der Vereinten Nationen und auch im UN-Menschenrechtsrat immer wieder Resolutionen einzubringen, um uns mit der Privatheit von Daten im digitalen Zeitalter zu befassen“.
Eine der vernichtendsten Einschätzungen in einem Arbeitszeugnis lautet bekanntlich: „Er/sie bemühte sich stets“ – meint: hat aber nichts zustande gebracht. Also wie nun? Hat die deutsche Diplomatie unter der Kanzlerschaft Merkels nun Resolutionen eingebracht, oder sich nur bemüht das zu tun? Wenn sie eingebracht wurden, sind sie auch angenommen worden? Dazu schweigt die Rednerin, sagt nur, es sei „ein mühseliger Prozess“.
Rabulistisch ist es jedoch ausgebufft. Selbst der Hinweis auf das unverfrorene Ausspähen deutscher Regierungsstellen, Firmen und Privatpersonen durch die unersättlichen Geheimdienste der USA wird im Kontext der zwei Pole so eingeordnet, dass er argumentativ gegen China gewendet ist. Ein weiterer rabulistischer Trick geht so: Die Kanzlerin stellt sich in die Tradition von Max Webers „Verantwortungsethik“. Dann verwendet sie das Wort „Fußabdruck“ – der im neueren Sprachgebrauch gemeinhin für den „ökologischen Fußabdruck“ und so eher in einem pejorativen Sinne gebraucht wird; wir verbrauchen zu viel Energie und produzieren zu viel CO2 – und benutzt ihn positiv: Weil wir wirtschaftlich stark sind, wollen wir „international Fußabdrücke hinterlassen“, aber natürlich nicht, um einfach unsere Interessen zu verfolgen. Nein, Deutschland macht es nicht unterhalb des Selbstverständnisses: um „ethische Maßnahmen“ durchzusetzen. Dabei argumentiert Merkel für eine „Stärkung Europas“ – meint: der EU – und deutsch-französische Zusammenarbeit, setzt am Ende aber das „europäische“ und das deutsche Vorgehen in eins. Während sie Chinas Politik in Kooperation mit Russland in Gestalt der Asiatischen Investitionsbank und der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit als Bedrohung ansieht, wieder vorsichtig umschrieben „ein Warnschuss“. Angesichts der gegenwärtigen Turbulenzen im internationalen Handel wollte sie es sich mit niemandem verderben. Deutschland hat ja spezifische handelspolitische Verflechtungen mit den USA wie mit China, mit Russland wie mit Großbritannien und Frankreich. Über siebzig Jahre nach dem zweiten Weltkrieg sind die Deutschen wieder von einer Militaristen- zu einer Krämernation geworden, was sie vor dem Dreißigjährigen Krieg ja auch waren.
Den ganz dicken Knüppel gegen China schwang in Davos George Soros. Der Milliardär spielte sich erneut als der Lautsprecher einer Verteidigung der überkommenen Machtpositionen der nordatlantischen Welt des weißen Mannes, in seinen Worten „der offenen Gesellschaft“, auf. „Xi Jinping ist der größte Feind der offenen Gesellschaft“, tönte er. Dabei nahm er nicht nur das Projekt „Neue Seidenstraße“ ins Visier, mittels dessen Investitionen in Nachbar- und Schwellenländern China wirtschaftlichen und politischen Einfluss verschaffen sollen. Vor allem kritisierte er Chinas Fortschritte im Digitalbereich: „China ist nicht das einzige autoritäre Regime der Welt, aber es ist unzweifelhaft das reichste, stärkste und das in den Bereichen maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz am meisten entwickelte.“ China wolle „die Regeln und Prozeduren kontrollieren, die die digitale Ökonomie bestimmen“. Mithilfe der Künstlichen Intelligenz verfüge das „autoritäre Regime“ Chinas über Kontrollinstrumente, die ihm „einen inhärenten Vorteil gegenüber der offenen Gesellschaft verschaffen“ würden.
Soros konnte sich nicht zu einem Lob seines bisherigen Lieblingsgegners Donald Trump aufraffen, nannte es aber positiv, dass der China als „strategischen Rivalen“ eingestuft habe. Statt jedoch „Handelskrieg mit praktisch der ganzen Welt anzuzetteln“, solle sich Trump ganz auf China konzentrieren. War Davos vor zwei Jahren ein Ort des Lobes für China angesichts von Präsident Xis Plädoyer für einen freien Welthandel, so mündete das Treffen jetzt in Kriegsgeschrei gegen China. Daran konnten auch Abe, Merkel und andere Redner aus der zweiten und dritten Reihe nichts ändern.