von Herbert Bertsch
„Wenn man einen Text mit einer Farbe belegt,
dann den gleichen Text mit einer anderen Farbe,
bringt die Oberfläche den Untergrund zur Wirkung.“
Heiner Müller („Krieg ohne Schlacht“)
Kürzlich gab es einige Aufregung um einen Gauland-Text in der FAZ, zu dem ein aufmerksamer Leser herausfand, dass sich Parallelen zu einem wenig bekannten Hitlertext ergeben. Als Folge dieses angeprangerten Zusammenhangs sind die, wie man so sagt, „namhaften“, Zeithistoriker Wolfgang Benz und Michael Wolffsohn, nach dem Tagesspiegel vom 9. Oktober, „mit Gauland ins Gericht“ gegangen. Er habe sich bei seinem Text – so Benz – „ganz offensichtlich eng an den Hitlers geschmiegt“. Es handele sich zwar nicht um ein Plagiat von Hitler, sondern eine Paraphrase, die wirke, „als habe sich der AfD-Chef den Redetext des Führers von 1933 auf den Schreibtisch gelegt, als er seinen Gastbeitrag für die ‚FAZ‘ schrieb.“ Und Wolffsohn: „Es ist schlimm, dass Gauland seinen gebildeten Anhängern signalisiert, dass er Rede und Duktus Hitlers kennt und dass er die gegen die Juden gerichteten Vorwürfe Hitlers nun auf die Gegner der AfD von heute überträgt.“ Wer die Hitler-Rede hingegen nicht kennt, dem jubele Gauland ‚Adolf Hitler light‘ unter, setzte der Tagesspiegel hinzu und zitierte zusätzlich SPD-Gabriel: „Hitlers Anhänger verstanden ihn und schrien bei seinen Parolen gegen die internationalen Eliten ‚Juden‘ dazwischen – selbst dort, wo er sie nicht direkt erwähnte […] Genau das solle dieser Text von Gauland jetzt wieder erreichen. Nur das nicht die Juden gemeint sind, sondern wir. Die Demokraten dieses Landes.“
Diese Vermutungen wies Gauland zurück mit der simplen Mitteilung, er habe den Hitler-Text nicht gekannt. Nun weiß man sich mit Goethe ziemlich einig in Erkenntnis und Erfahrung: „Alles Gescheite ist schon gedacht worden. Man muss nur versuchen, es noch einmal zu denken.“ Heißt: Beim Auf- oder Abschreiben aufpassen und die Umstände bedenken. Das besondere Engagement des Tagesspiegel hat seine Ursache nicht nur darin, dass Gauland diese Zeitung sehr geprägt hat. Jedenfalls gab es dort vor zwei Jahren einen Beitrag von Michael Seemann mit genau diesem Anliegen und Ausführungen, wozu der Autor am 11. Oktober mitteilte, dass es sein Text sei, den Gauland von ihm abgeschrieben habe: „Der Beitrag von Herrn Gauland in der ‚FAZ‘ enthält mit leichten Abwandlungen eins zu eins Sätze aus meinem Text für den ‚Tagesspiegel‘. Das sind eindeutige Plagiate. Das hat mich erschreckt.“ Der Pressesprecher der AfD dazu, dass Herr Gauland auch diesen Text nicht kannte.
Das war’s? Ja, wäre da nicht, bisher von Kritikern unbedacht oder unerkannt, ein Satz im Text, der ein Schulbeispiel geistigen Missbrauchs zu politischen Zwecken ist. Bei Gauland heißt es: „Der Regen, der in ihren Heimatländern fällt, macht sie nicht nass“. Gemeint ist die von ihm „globalisierte Klasse“ genannte internationale Gesellschaft von „Weltbürgern“ ohne nationale Bodenhaftung, die er heftig kritisiert, und wie es ähnlich auch in der Hitlerrede thematisiert wird.
Nun mag ihm auch dieses Bild, dieser Satz spontan eingefallen sein; aber es gibt ihn schon, mit einer anderen Aussage und in anderem Kontext: „Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer. […] Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen. Der Regen von gestern macht uns nicht naß, sagen viele. Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod.“ Das schrieb Brecht im November 1952 für den „Völkerkongreß für den Frieden, Wien 1952“. Es ging um den seinerzeit akut bedrohten Frieden infolge der Systemauseinandersetzung, was sich glücklicherweise ziemlich dauerhaft im kalten Krieg verfing, also die beginnende atomare Vernichtungsfähigkeit als Versuchung nicht freisetzte. Vielleicht haben solche Appelle und Verhaltensweisen wie von Brecht dazu beigetragen. Ausgerechnet Brecht nun als Vorlage für die AfD? Es ist zumindest unredlich, seinen Satz als moralische Begründung für nationale Bodenhaftung zu nutzen. Ob Plagiat, Paraphrase oder himmlischer Einfall, das mag ein diskussionswerter Gegenstand für manche sein. „In nicht-diktatorischen Ländern kann von ‚Gelehrten‘ auf gelehrt alles gesagt werden – zu niemandes Nutzen“, so apostrophierte Ludwig Marcuse den Gehalt solcher Übungen.
Bei unserer Betrachtung ist der erneute Nachweis der weitverbreiteten Praxis bemerkenswert, weniger die inhaltliche Auseinandersetzung zu führen, sondern es bei der Anprangerung zu belassen. Also weniger substantiell zustimmend oder dagegen zu argumentieren, sondern den Mitbewerber oder Gegner zu denunzieren und möglichst dauerhaft Deutungshoheit zu gewinnen. Dazu gehört auch als Methode, den Kontrahenten mit seinen eigenen Worten und Taten zu konfrontieren, wobei auch zu bedenken ist, dass die Ein- und Auswirkung von Information nicht nur vom Aussender, sondern, vermutlich mehrheitlich, vom Empfänger geleistet wird.
In Nummer 21/2018 dieser Zeitschrift ist ein Beitrag erschienen, der insbesondere eine gute Nachschlagehilfe für relativ neue gesellschaftliche Erscheinungen im bundesdeutschen Parteiensystem ist: „Die AfD – eine Kriegspartei“ von Reiner Braun, kenntnisreich und zielgerichtet zur Position der AfD in ihrer Militär-und Sicherheitspolitik. Dazu eine Zusatzüberlegung: Für alle angeführten Beispiele – vielleicht mit Ausnahme der Bewertung des Verhältnisses zu Russland – gibt es hinreichend Nachweise, dass nicht nur die Positionen der staatstragenden Parteien, sondern die von diesen Parteien entschiedene Staatspolitik ähnlich oder identisch bereits praktiziert werden. In dieser Lage müsste man also diese Parteien – wie die AfD als „eine“ – auch als Kriegsparteien benennen. Wenn bei deren Außen- und Sicherheitspolitik Russland nicht nur als Gegner, sondern als Feind behandelt wird, kommt einer davon abweichenden Konzeption schon besondere Aufmerksamkeit zu, sowohl hinsichtlich der Akteure als auch der Beobachter. Hier ist nicht der Platz, wenngleich schon der Ort, um dies gelegentlich sowohl sachlich als auch als nützlich zu bewerten. Im weitesten Sinne hat dies mit Fundamentalismus, also Grundüberzeugungen zu tun; keineswegs auf religiöse begrenzt, diese aber eingeschlossen. Holzschnittartig begründet in „nichts zu verlieren“ haben, oder „alles zu verlieren“ haben. Aber das bedarf ausführlicherer Betrachtung.
Wichtig sind die Feststellung und die Konsequenz von Braun, dass die AfD bei/trotz ihrer verkündeten allgemeinen Opposition in der Friedens- und Sicherheitspolitik kein Partner der klassischen Friedensbewegung ist, sondern prinzipiell eher noch darum bemüht, die Regierungsparteien zu übertreffen. Nicht ziellos und nicht ohne Aussicht auf Erfolge auch bei Gesellschaftsschichten mit besonderer Affinität zu Bundeswehr und starkem Staat – diesen aber mit anderem Management. Dafür gibt es eine lange Tradition in Bundesdeutschland, unabhängig davon, ob in rechten Parteien oder ohne solche Bindungen, wobei gegenwärtig die etablierten Parteien ihnen – gewiss unterschiedlich in der Tonart – speziell bei Wahlen „Heimat“ anbieten. Auch in Konkurrenz zur AfD, die mit anderer Qualität als die bisher „klassischen“ Rechten auftritt, wofür es offenbar neue, günstige Bedingungen gibt.
Schlagwörter: AfD, Alexander Gauland, Herbert Bertsch, Kriegspartei