von Erhard Crome
„Wahl der Wut. Amerika ist demoralisiert, gespalten, zornig“. Das schrieb SpiegelOnline am 3. November 2010 zum Ergebnis der Zwischenwahl nach zwei Jahren Barack Obama. Die Republikaner hatten mit dem Erringen der Mehrheit im Repräsentantenhaus einen Triumph über den verhassten Präsidenten erzielt. Die tiefe Spaltung der Gesellschaft ist geblieben, das Personal hat gewechselt. Der nun – diesmal unter den Demokraten – verhasste Präsident heißt Donald Trump. Und er hat jetzt das Repräsentantenhaus verloren.
Der Journalist Christoph von Marschall, bekannt vom Berliner Tagesspiegel, hatte mit einem Stipendium der ZEIT-Stiftung und des German Marshall Fund zehn Monate lang die Möglichkeit, mit einflussreichen Regierungsbeamten, Parteipolitikern und Medienvertretern nicht nur in Berlin, sondern auch in Paris und Warschau, Brüssel und Washington über die Zukunft der transatlantischen Beziehungen zu reden. Herausgekommen ist ein kürzlich erschienenes Buch zum Thema: „Wir verstehen die Welt nicht mehr. Deutschlands Entfremdung von seinen Freunden“. Das „Wir“ meint natürlich die offizielle deutsche Außenpolitik, deren Vertreter und „Vordenker“. Des Autors politische Schlussfolgerungen erweisen sich bei näherem Hinschauen denn auch als Teil des Problems und nicht der Lösung: von seiner anti-russischen und anti-chinesischen Lageeinschätzung über das Plädieren für die Anhebung des deutschen Rüstungsetats auf die berüchtigten zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis hin zum Infragestellen des Parlamentsvorbehalts in Sachen Auslandseinsätze der Bundeswehr.
Informativ und aufschlussreich sind jedoch seine journalistischen Berichte über die geführten Gespräche in den besuchten Städten. Darunter eine besonders interessante Aussage von Karen Donfried, früher Obama-Beraterin und seit 2014 Präsidentin des German Marshall Fund: Deutschland stehe nach wie vor im Banne von Trump, habe jedoch keine Antwort auf ihn, wörtlich: „in Italien reden alle über Italien, in Frankreich über Frankreich, nur die Deutschen reden alle über Trump“.
Die deutschen Medien, vor und nach der US-amerikanischen Zwischenwahl vom 6. November dieses Jahres, stellten dies erneut unter Beweis. So meinte Die Welt einen Tag vor der Wahl, es sei „ein Referendum über den US-Präsidenten“ und es gehe vor allem darum, „welche Idee von Amerika sich durchsetzt“. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung orakelte Anfang September: „Die Stimmung in Amerika kippt gegen Trump“ und warf sofort wieder die Frage nach dessen Amtsenthebung auf. So war deutlich: die deutsche Politik- und Medienkaste sitzt seit der Trump-Wahl vor zwei Jahren trotz zuweilen anders lautender Bekundungen der Selbstermunterung überwiegend noch immer in Schockstarre und agiert unter der Voraussetzung selbstverschuldeter Hilflosigkeit.
Tatsächlich stand nicht Trump zur Wahl, sondern das gesamte Repräsentantenhaus (435 Abgeordnete, die alle zwei Jahre neu gewählt werden), ein Drittel des Senats (35 Sitze) und die Gouverneure in 36 Bundesstaaten sowie in drei Überseegebieten der USA. Strategen der Demokratischen Partei hatten einen „blauen Tsunami“ ersehnt – blau ist traditionell die Farbe der Demokraten und rot die der Republikaner. Tatsächlich gab es eine blaue Welle, der Tsunami blieb aus. Die Demokraten eroberten die Mehrheit des Repräsentantenhauses. Es gilt in den USA als ungeschriebene Regel, dass die Partei, die nicht den Präsidenten stellt, in der Zwischenwahl besser abschneidet. So konnte Barack Obama seine ersten zwei Jahre als Präsident mit demokratischen Mehrheiten in beiden Häusern regieren; bei der Zwischenwahl 2010 verloren die Demokraten die Mehrheit im Repräsentantenhaus, 2014 auch im Senat. Das war auch das Wahlergebnis von 2016, weshalb Trump seine ersten beiden Jahre mit republikanischen Mehrheiten in beiden Häusern regieren konnte.
Die Zeitung neues deutschland titelte nach der diesjährigen Zwischenwahl: „Trump nicht mehr allmächtig“. Das war weit jenseits der Realität: Trump war nie „allmächtig“. Die Gewaltenteilung zwischen Regierung und Parlament war zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt und wurde es auch von Trump nicht. Da er jedoch kein altgedienter Republikaner war und ist, hatte er nie die ganze Partei und alle Abgeordneten auf seiner Seite. Erinnert sei nur an seinen lautesten innerparteilichen Widersacher, den kürzlich verstorbenen Senator John McCain.
Deshalb konnten wichtige Trump-Projekte nicht verwirklicht werden, etwa die Abschaffung der Krankenversicherung „Obama-Care“. Schlichtweg, weil die Republikaner sich nicht einigen konnten, ob sie die Versicherung einfach nur abschaffen wollen oder etwas anderes an dessen Stelle setzen sollten, um die Armen, die des Arztes bedürfen – und nun oft Trump und die Republikaner gewählt hatten – nicht wieder unversichert zu lassen. Die Demokraten brauchten nur zuzuschauen und mussten aktiv nichts tun, denn sie hatten Obama-Care ja eingerichtet. (Nebenbei: Ein Spiel, das die britischen Konservativen im Stück: „Brexit“ auch gerade aufführen. Und die Labour Partei und die Brexit-Gegner warten ab.)
Trump verfolgte das Ziel, als Kandidaten der Republikaner solche Personen durchzusetzen, die seine Politik ausdrücklich unterstützen. Das schien weitgehend gelungen, ist angesichts der Mehrheit der Demokraten im Repräsentantenhaus momentan aber nicht mehr so entscheidend. Hier erhielten die Demokraten 222 Sitze, die Republikaner 200, sieben sind noch offen. Damit steht dort die Mehrheit der Demokraten fest. Im Senat gelten 51 Sitze der Republikaner als sicher. Allerdings erlangte in Arizona für die Demokraten erstmals eine Frau einen Senatorenposten; der Vorsprung auf die republikanische Konkurrentin war so hauchdünn, dass sieben Tage gezählt wurde. In Florida war es ebenfalls knapp, so dass per Gericht eine Neuauszählung veranlasst wurde. In Mississippi muss noch eine Stichwahl stattfinden.
Insgesamt werden verschiedene Sieger ausgemacht: Kyrsten Sinema, die Senatorin aus Arizona, ist laut Tagesspiegel „eine bisexuelle, ex-grüne Demokratin“. Der Anteil der Frauen ist überhaupt höher denn je. Erstmals sind zwei indigene Frauen und zwei muslimische Frauen Abgeordnete im Repräsentantenhaus. Eine bekennende demokratische Sozialistin aus New York, die Latina Alexandria Ocasio-Cortez, wird mit 29 Jahren die jüngste Abgeordnete sein. In Colorado wurde Jared Polis, ein offen schwuler Demokrat, neuer Gouverneur – der erste in der Geschichte der USA. Die Wahlbeteiligung lag bei 113 Millionen (48 Prozent), vor vier Jahren waren es nur 83 Millionen US-Bürger (37 Prozent). 59 Prozent der Frauen und 90 Prozent der Schwarzen haben für die Demokraten gestimmt, ebenso etwa zwei Drittel der 18- bis 29-Jährigen.
Die Kampagne der Demokraten hatte zu einer sichtlichen Mobilisierung der Trump-Gegner geführt, die jedoch von einer stärkeren Mobilisierung seiner Anhänger beantwortet wurde – woran sich Trump selbst aktiv beteiligte. Für 2020 hat er seine erneute Kandidatur für die Wiederwahl zum Präsidenten angekündigt, zusammen mit seinem Vize Michael „Mike“ Pence. Trump ist dann 74 Jahre alt.
Und die Demokraten? Nancy Pelosi, die jetzt wieder als Sprecherin des Repräsentantenhauses zur Wahl steht, ist 2020 80 Jahre alt, Joe Biden, der unter Obama Vizepräsident war, ist dann 78 Jahre, und der vielgelobte Bernie Sanders 79 Jahre alt. Hillary Clinton ist in zwei Jahren 73, die jüngste in diesem Reigen: die Bild-Zeitung meldete kürzlich, sie wolle 2020 wieder antreten. Robert Francis „Beto“ O’Rourke dagegen (Jahrgang 1972) ist einer, der für die Demokraten dem Republikaner Ted Cruz den Senatssitz von Texas abnehmen sollte und als jung-dynamischer Hoffnungsträger der Demokraten hochgeschrieben wurde. Er hat sein Ziel verfehlt.
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