21. Jahrgang | Nummer 25 | 3. Dezember 2018

Auf ins Fontane-Jahr

von Mathias Iven

In den letzten Wochen ist bereits einiges auf den Buchmarkt gekommen, das sich dem 2019 anstehenden Fontane-Jubiläum verdankt. Neben den großen Monographien von Regina Dieterle und Iwan-Michelangelo D’Aprile kommt den Büchern von Bernd W. Seiler und Robert Rauh sicherlich eine besondere Stellung zu.
Seiler hat vor ein paar Jahren mit „Fontanes Berlin“ bereits ein bemerkenswertes Buch vorgelegt. Ging es damals um die Berliner Wohnsitze Fontanes einerseits, vor allem aber um die Handlungsorte seiner Berliner Romane und Erzählungen andererseits, so beschäftigt er sich dieses Mal mit dem „Urlauber“ Fontane.
Wenn Fontane reiste, so unterscheidet Seiler, handelte es sich entweder um Bildungsreisen, Arbeitsreisen oder Urlaubsreisen, sprich Sommerfrischen. Von 1872 an wurden diese Sommerfrischen zu den zeitlich ausgedehntesten Reisen. Manchmal war Fontane vier, sechs, acht Wochen und länger unterwegs. Einziger Grund: Er wollte nicht in Berlin bleiben. Er hatte nichts gegen die Stadt, beileibe nicht. Allerdings bescherte ihm die Lage seiner Wohnung in der Potsdamer Straße und damit die Nähe zum Landwehrkanal in der warmen Jahreszeit „einen schwer erträglichen Gestank“. Fontane litt unter der Berliner Luft. 1886 erklärte er, „läge mein Haus, statt dreihundert Schritt vom Kanal, auf dem Kreuz- oder Windmühlenberg, so würd’ ich meine Reisekoffer zum Trödler schicken“.
Fontane suchte „Naturluft statt Berliner Stadt- und Kanalluft“. Anfangs reiste er zumeist allein. Erst im letzten Jahrzehnt ihrer Ehe begleitete ihn seine Frau Emilie oder sie besuchte ihn wenigstens für eine gewisse Zeit an seinen Urlaubsorten. Blieb sie in Berlin oder erholte sich anderswo, berichtete er ihr – fast täglich – per Brief.
Die erste „eigentliche ,Sommerfrische‘“ war ein Aufenthalt auf Usedom im August 1863. Fontane wollte Swinemünde, die Stadt seiner Kindheit wiedersehen. Doch er wurde enttäuscht. „Es ist alles anders geworden“, schrieb er an seine Frau. Die vom Vater geführte Apotheke sei nur noch ein „schmieriger Kaufmannsladen“. Vielleicht reiste er deshalb nie wieder dorthin?
Um dem sommerlichen Kanalmief zu entfliehen, schien keine Gegend besser geeignet als das Riesengebirge. Zwischen 1868 und 1892 hielt sich Fontane insgesamt zehn Mal dort auf. Er genoss es, so seine Worte, „bei jedem Atemzuge mich erquickende Luft zu atmen“. Von Berlin aus war das Riesengebirge in sieben bis acht Stunden mit dem Zug zu erreichen. Fontane wählte seine Quartiere in einem Umkreis von 50 Kilometern im Hirschberger Tal, möglichst mit Blick auf die Schneekoppe. Er logierte in Erdmannsdorf und Bad Warmbrunn. In Krummhübel hielt er sich 1885 gar für dreieinhalb Monate auf – die längste Sommerfrische überhaupt. Schmiedeberg, die „Hochburg der Romantik“, war für ihn ein Ort, „wo alle vierzehn Tage mehr los ist als in einem Märkischen Nest während eben so vieler Jahre“. Natürlich ging es bei diesen Sommerfrischen um die Erholung. Doch der „wichtigste Gewinn aus den Aufenthalten im Hirschberger Tal“, so Seiler, „bestand für Fontane in der Einfühlung in einen großen, anderen Lebenskreis“. Zusammengefasst heißt das: „Nirgendwo anders hat sich Fontane fremdem Leben so zugewandt wie in dieser Gegend, und von nirgendwoher sonst hat er so viele Einsichten und Ansichten bezogen.“
Seine letzte Reise führte Fontane 1898 zum wiederholten Male nach Karlsbad. Am 10. September kehrte er von dort zurück nach Berlin, wo er 10 Tage später starb. In dem letzten Brief an seine Frau, geschrieben am Tage seines Todes, ist zu lesen: „man arbeitet am Trapez immer weiter und leistet dasselbe wie andre, aber es fehlt […] die rechte Freudigkeit weil die Kräfte nicht ausreichen“.
Fontane wäre jedoch nicht der große Wanderer, wenn er sich nur einer Gegend zugewandt hätte. Seiler gibt auch eine detaillierte Übersicht zu den Aufenthalten in Bad Kissingen, auf der Insel Norderney, im Harz oder am Tollensesee – wo Fontane den „Stechlin“ beendete. Auch nah bei Berlin suchte Fontane Erholung. 1887 hielt er sich im Seebad Rüdersdorf auf. Der Ort hielt eine „Welt von Beobachtungen und kleinen Erlebnissen“ für ihn bereit. Alles in allem, so berichtete er weiter, eine „wahre Studienmappe behufs Ergründung des Berliner Vorstadt-Bourgeois’“. Und gerade das war es ja, was Fontane suchte: Jede Sommerfrische verschaffte ihm neue Begegnungen. Ob es die „kleinen Leute“ waren oder die besser betuchten. Er traf in jedem Fall auf Menschen, „die er in seinem Berliner Umfeld nicht beobachten konnte“ – und die auf die eine oder andere Weise Eingang in seine Romane fanden.
Der mit reichem Karten- und Bildmaterial ausgestattete Band macht Lust aufs Reisen. Und warum sollte man nicht einmal dort Urlaub machen, wo sich schon Fontane vom Großstadtleben erholte.

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Erst im vergangenen Jahr haben Robert Rauh und Erik Lorenz unter dem Titel „Fontanes Fünf Schlösser“ die Ergebnisse einer beachtlichen Spurensuche vorgelegt. Nun präsentiert Rauh im Alleingang mit „Fontanes Frauen“ ein weiteres, äußerst spannungsreiches „Fünferpack“.
Da geht es zunächst um Elisabeth Baronin von Ardenne, das Vorbild für Effi Briest. Rauh hat nicht nur ihren Geburtsort Zerben besucht, er folgte ihr und ihrem Ehemann nach Schloss Benrath, ließ die in Lindau am Bodensee verbrachten letzten Lebensjahre Revue passieren und stand auf dem Stahnsdorfer Friedhof an ihrem Grab. Doch eine Frage blieb offen: Hat die Baronin, über deren Leben ansonsten wenig bekannt ist, Fontanes Roman jemals gelesen?
Martha Fontane, die „Mete“ genannte einzige Tochter des Schriftstellers, ist die zweite im Bunde. Sie diente Fontane als Vorbild für Corinna Schmidt in seinem Roman „Frau Jenny Treibel“. Ihr Leben, so Rauh, „wird meist als tragisch und unglücklich“ beschrieben. Im Januar 1899 heiratete sie den 22 Jahre älteren Architekten und Autor Karl Emil Otto Fritsch. Das Paar zog nach Waren an der Müritz. Martha kannte den Ort, hatte sie doch hier drei Jahre zuvor mit ihren Eltern die Sommerfrische verbracht. „Hoch auf Sand, unter uns der See und hinter uns Fichten“ – die von ihr beschriebene Lage des Hauses war ideal, fast zwei Jahrzehnte konnte sie sie genießen. Am 10. Januar 1917 endete ihr Leben mit einem tragischen Sturz vom Balkon, der Eintrag im Kirchenregister spricht von „Nervenleiden“ als Todesursache. Doch bis heute will man wissen: Was geschah wirklich an diesem Tag? War es Selbstmord?
Hat Grete Minde, die dritte der Fontane-Frauen, im September 1617 Tangermünde angezündet oder war es doch ihr Mann? In seiner gleichnamigen, 1880 veröffentlichten Novelle hat Fontane der 1619 Hingerichteten ein Gesicht und einen Charakter gegeben. Wenn auch die von ihm erzählte Geschichte wenig gemein hat mit den historischen Tatsachen, so bewegt sie doch bis heute die Gemüter. Die Aktenlage ist dürftig und die ganze Wahrheit über die Geschehnisse vor 400 Jahren wird wohl nie ans Licht kommen. Eine Frage, die sich Rauh in diesem Zusammenhang gestellt hat, lautet: Was wurde aus Gretes Sohn Balthasar?
Was weiß man über die Rolle der einstigen Hofdame Gräfin Karoline de La Roche-Aymon am Rheinsberger Hof von Prinz Heinrich? Zumindest hat sie Fontane, der sie hätte noch kennenlernen können, so beindruckt, dass sie gleich mehrmals in seinem Werk auftaucht: im ersten Band der „Wanderungen durch die Mark“ – wo er ihr ein eigenes Unterkapitel widmete, im „Stechlin“ und als Gräfin Amelie von Pudagla in dem Roman „Vor dem Sturm“. Und auch in diesem Kapitel bleibt eine Frage im Raum stehen: Wie war das mit der Affäre zwischen ihr und Prinz Louis Ferdinand? Drei überlieferte Versionen versuchen eine Antwort darauf.
Als fünfte in der Runde tritt schließlich die 1819 verstorbene Luise Henriette Charlotte von Arnstedt, geborene von Kraut, auf. Mit ihr, der drei Mal unglücklich Verheirateten, hat sich Rauh bereits in „Fontanes Fünf Schlösser“ befasst. In den „Wanderungen“ sind ihr zwölf der vierzehn Hoppenrade-Kapitel gewidmet – für den Fontane-Forscher Gotthard Erler zählt dieser Text zu Fontanes „besonders gelungenen historisch-biografischen Arbeiten“. Doch wie war das mit dem geheimnisvollen Badehäuschen „Mon Caprice“?
Rauh hat zu all dem Gesagten umfassend vor Ort recherchiert. Seine „topografische Annäherung“ zwingt zu neuen Sichtweisen, vor allem aber hat sie im Gespräch mit Fontane-Enthusiasten und Chronisten eine Fülle unbekannter Fakten zu Tage gefördert. Und wer wissen will, wie die Antworten zu den von ihm aufgeworfenen Fragen lauten: Lesen Sie selbst – und vor allem: Lesen Sie wieder einmal Fontane!

Bernd W. Seiler: Fontanes Sommerfrischen, Quintus-Verlag, Berlin 2018, 184 Seiten, 28,00 Euro.
Robert Rauh: Fontanes Frauen. Fünf Orte – fünf Schicksale – fünf Geschichten, edition q im be.bra verlag, Berlin 2018, 256 Seiten, 22,00 Euro.