21. Jahrgang | Nummer 20 | 24. September 2018

Film ab

von Clemens Fischer

Um gleich damit zu beginnen: Seit Bob Fosses unsterblichem Geniestreich „Cabaret“ vor 46 Jahren hat der Besprecher nichts so Fulminantes über diese Zeit (das Ende der „goldenen“ Zwanziger Jahre und das Aufdämmern der braunen Ära) in dieser Stadt (Berlin) und mit dieser Ausstattung (Kostüme und Szenenbild) mehr gesehen wie den am 13. September angelaufenen Streifen von Joachim A. Lang: „Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“. Auch wenn Lang, falls er denn Fosses Niveau zum Maßstab gewählt hätte, diese Latte doch gerissen hat. Das liegt zum einen am Vorsatz strikter Authentizität: Lars Eidinger als Brecht spricht nur in nachgewiesenen Brecht-Zitaten, was als Einfall zweifellos etwas hat, den Schauspieler aber leider zu einer stereotypen Darstellungsweise verurteilt, die ihm fast nichts abverlangt. Und zum anderen liegt es daran, dass ansonsten überdurchschnittlich gute Schauspielerinnen wie Claudia Michelsen (als Mrs. Peachum) und Hannah Herzsprung (als Polly) nicht über Singstimmen verfügen, mit denen sie ihren Rollen gerecht werden könnten.
Doch genug gemeckert: Andere Besetzungen erreichen die Ausstrahlung der Berliner Uraufführung von 1928, von der gottseidank Tonaufnahmen erhalten sind, oder übertreffen sie gar. Das gilt insbesondere für einen herausragenden Tobias Moretti als Mackie Messer (1928: Harald Paulsen). Aber auch Christian Redl als Tiger-Brown (1928: Kurt Gerron) und Joachim Król als Peachum (1928, schwerlich zu übertreffen: Erich Ponto) liefern hohe Kunst. Und wer den besseren Song der Seeräuber-Jenny abgeliefert hat – Lotte Lenya 1928 (damals im Programmheft vergessen!) oder Britta Hammelstein heute –, das mag der Besprecher hier gar nicht entscheiden.
Den Film kann man sich natürlich auch später auf DVD oder irgendwann im Fernsehen anschauen. Aber die Wirkung der großen Leinwand bliebe natürlich auf der Strecke. Anders gesagt: Wenn der Slogan irgendwo eine Berechtigung hat, dann hier: „Kino. Dafür werden Filme gemacht!“
„Mackie Messer – Brechts Dreigroschenfilm“, Regie: Joachim A. Lang. Derzeit in den Kinos.

*

Dass Andreas Dresens Film „Gundermann“ (Besprechung im Blättchen Nr. 19/2018) dem realen Pendler zwischen Bagger und Bühne, seinen Mitstreitern und Antipoden, aber auch der späten DDR ziemlich nahe kommt, was in der Darstellung der Hauptfigur vor allem Alexander Scheer zu danken ist, hat sich schnell herumgesprochen. Wie nahe allerdings, das verdeutlicht eine vergleichende Betrachtung von Richard Engels abendfüllendem Dokumentarfilm „Das Ende der Eisenzeit“ von 1999. Als Engel, der bereits 1981 die Doku „Gundi Gundermann“ gedreht hatte – 1983 nach langen Auseinandersetzungen mit der Zensur vom Fernsehen der DDR im Spätprogramm versteckt – in den 90er Jahren davon erfuhr, dass der Braunkohletagebau, der Gundermanns Arbeitsplatz war, geschlossen werden und dieser seinen Job verlieren würde, begann er mit den Arbeiten zu einem zweiten Film. Und so kann man sie nun alle leibhaftig erleben: Gundermanns Frau Conny, die Mitspieler seiner Band Seilschaft, Gundermanns Baggermutti, seinen ehemaligen Parteisekretär wie seinen früheren Betriebsleiter … Gundermanns überraschender früher Tod fiel mitten in die Filmarbeiten.
Nach der Kehre, wie der Kabarettist Uwe Steimle die „Wende“ auf eine Weise apostrophiert, die Gundermann womöglich gefallen hätte, änderte sich bekanntlich manches, wie es war. So hieß die Zensur zwar schon wieder nicht Zensur, fand aber gleichwohl statt: Bei der Ansicht des Rohschnittes befanden die Vertreter des RBB-Fernsehens: „Ein interessanter Film, aber der falsche Mann!“ Die Zusammenarbeit endete ohne Fertigstellung des Streifens. Die ist dem finanziellen Engagement des Buschfunk Musikverlages zu verdanken.
Das Berliner Kino „International“ war rappelvoll, als „Das Ende der Eisenzeit“ dort jetzt wieder zu sehen war. Wer diese Gelegenheit verpasst hat, der muss sich aber nicht grämen. Denn die DVD ist ja schon eine Weile erfunden.
„Das Ende der Eisenzeit“ (1999) und „Gundi Gundermann“ (1961), Regie: Richard Engel; Buschfunk, Berlin 2016, 16,95 Euro.