von Margit van Ham
Das Bild des nächtlichen Tagebaus mit seiner Mondlandschaft und dem riesigen beleuchteten Schreitbagger geht mir nicht aus dem Kopf. In der Baggerkabine hoch über der toten Landschaft entstanden Gerhard Gundermanns Lieder, voller Liebe zur Natur und den Menschen, die sie zerstörten, um Wärme und Energie zu erzeugen. – immer wieder wächst das gras / klammert all die wunden zu / manchmal stark und manchmal blass / so wie ich und du –
Der Abspann des Films lief, Gundermann-Alexander Scheer war zu hören mit ich mache meinen frieden mit dir du grosser gott / ich nehm’ was du mir bieten kannst, leben oder tod – es blieb völlig still im Publikum, niemand verließ den Berliner Kinosaal, niemand redete. Keinen Ton, kein Wort wollte man verpassen … Regisseur Andreas Dresen und Drehbuchautorin Laila Stieler haben einen wunderbaren Film geschaffen, einen, der berührt, der einen nicht loslässt, der Nachdenken und Reden geradezu fordert. Ich konnte nicht gleich nach Hause gehen, musste mit Freunden sprechen und mit den Leuten vom Nebentisch in der Kneipe, die ebenfalls nur ein Thema diskutierten: Gundermann. Beides – die Person und den Film mit dem Hauptdarsteller Alexander Scheer, der auch mit seinem eigenen Gesang so sehr zu Gundi geworden war.
Vermutlich ist das die Reaktion von Zuschauern, die mit Gundermann und in seiner Zeit gelebt haben, bei denen der Film an persönliche Erinnerungen anknüpft. Dresens Anspruch ging darüber hinaus. Er wollte einen Beitrag zur Differenzierung des Lebens in der DDR liefern, weg vom Klischee, zeigen, dass es keine einfachen Antworten gibt. Das widersprüchliche Leben und die Kunst von Gerhard Gundermann lieferten dafür eine perfekte Vorlage.
Ein Dichter, Liedermacher, der von seiner Hände Arbeit im Braunkohlentagebau lebt, um unabhängig sein zu können. Ein Liebender, der um die Frau eines Anderen kämpft. Der poetische Wegbegleiter des Ostens nach der Wende. Er hat den „Verlierern“ eine poetische Heimat gegeben (hier bin ich geborn / wo die kühe mager sind wie das glück). Und er ist ein Zerrissener. Mit dem Kopf in den Wolken und den Stiefeln im Schlamm der Braunkohle, wie Dresen sagt. Und nicht nur in diesem Schlamm. Der IM Grigori will nicht zu dem Poeten Gundermann passen, zu dem kritischen Kommunisten, der sich nicht fürchtet, Parteioberen die Meinung zu sagen.
Der Film kreist in verschiedenen Rückblenden um diese Lebensbereiche seines Helden. IM Grigori bildet aber neben den Liedern von Gundermann (nochmal: großartig Alexander Scheer) den Rahmen. Birgit Walter, die in der Berliner Zeitung eine sehr bewegende Rezension zum Film veröffentlicht hat, schreibt, dass die Konzentration auf den Stasi-Konflikt unangemessen wirke, „weil er den Blick auf diesen fesselnden widersprüchlichen Künstler völlig überlagert“. Mag sein, aber gerade weil dieser Dresen-Film auch den unangenehmen Wahrheiten verpflichtet ist, scheint er mir so wichtig.
Er lässt den Zuschauer verstehen, dass Gundermann in der Überzeugung gespitzelt hat, den Sozialismus so zu schützen. Dass er hoffte, Einfluss zu nehmen, um Missstände in seinem Land, der DDR, bekämpfen zu können. Durchaus niederdrückend dann die Erkenntnis, dass dieser Gundermann-Grigori nicht nur Kritik an den Zuständen übte, sondern auch Leute anschwärzte. Das Warum bleibt offen. Gundermann beantwortet diese Frage nicht, Scham steht dazwischen – und damit ist er durchaus nicht allein.
Der Film erzählt vom Weg des rausgeschmissenen Offiziersanwärters (er wollte kein Loblied auf einen General singen) zum Tagebauhilfsarbeiter und späteren Baggerführer, der auf Arbeitsschutzmaßnahmen drängt. Die Warnung wird überhört. Es stirbt ein Kollege. – „Engel über dem Revier“ wird Gundermann später schreiben, eines der Lieder, die so sehr unter die Haut gehen und für die ihn viele bis heute vermissen. – da fliegt ein engel durch den rauchigen himmel über dem revier / er hat jetzt fast ein halbes leben auf mich aufgepasst / jetzt trennt er sich von mir –
Der Partei ist er zu unbequem; er kämpft um sein Parteibuch, bis er 1984 endgültig ausgeschlossen wird und auch die Stasi nicht mehr interessiert ist, im Gegenteil – sie observiert ihn.
Es gehörte nach der Wende viel Mut dazu, sich als IM zu outen, zu den Bespitzelten zu gehen und sich öffentlich im Konzert zu erklären. Auch das gehört zur Wahrheit dieser Tage, als ein IM-Fall immer klare Richter fand. Ich bitte nicht um Verzeihung, sagt Gundermann, ich kann mir selbst nicht verzeihen.
Conny, wunderbar dargestellt von Anna Unterberger, ist bei ihm in dieser schwierigen Situation. Sie rät ihm, selbst an die Öffentlichkeit zu gehen. Sagt, ich bin bei dir, als er sie verzweifelt fragt: „Schämst du dich für mich?“ Er hatte seine Täter-Akte gelesen. Eine bedrückende Szene.
Sie hat sich nach langem Ringen (und zwei Kindern) für Gundi entschieden. Die Geschichte einer Liebe. Die Männer tauschen die Wohnung – DDR-Wirklichkeit zwang zu Pragmatismus. Die Frau an der Seite des Künstlers, die früher mit ihm auf der Bühne stand, zahlt einen hohen Preis für dessen kompromisslosen Weg – Dreischicht-Arbeit im Bagger, Proben, Konzerte, Aufnahmen. Gundermann ist selten zu Hause, dabei wartet nun auch Linda (du bist in mein Herz gefallen …) auf ihn.
Gundermann ist bewusst, dass er mit dieser exzessiven Lebensweise an Connys Glück „frisst“, aber er meint, nichts ändern zu können. Wusste er vielleicht, dass er keine Zeit hatte? – und ich habe keine zeit mehr, ich nehm den handschuh auf / ich laufe um mein leben und gegen / den lebenslauf –
Conny war auch da, als Gundis Vater starb, zu dem eine sehr komplizierte Beziehung bestand. Lange Jahre hatte der nicht mit dem Sohn reden können. – vater sag ist in dem koffer dem gelben, noch / der alte projektor ich spul den film zurück / bis zu dem tag bis zu jener stelle / als es noch nicht weg war das glück. – Berührender kann ein Lied kaum sein …
Die Schließung der Grube holt Gundermann aus den „Wolken“ seines Schaffens hoch über dem Abraum, macht seine Kumpel arbeitslos. Sie wird etwas kurz – immerhin hat er danach kein Lied mehr geschrieben – mit dem Lied „Brigitta“ abgehandelt. Die Kumpel stehen beim Konzert nicht nur sprichwörtlich im Regen. – ach meine grube brigitta ist pleite / und die letzte schicht lang schon verkauft / und mein bagger der stirbt in der heide / und das erdbeben hört endlich auf –
Es war eine mutige Entscheidung der Filmemacher und auch von Conny Gundermann, dem Tabu-Thema nicht aus dem Weg zu gehen. Im Osten wird man wohl weiter seine Texte lieben, auch wenn „Held“ Gundermann Kratzer bekommen hat.
Die Frage ist, wie ein Publikum im Westen, das Gundermann meist nicht kennt, darauf reagiert. Ob nicht doch eher die alten Klischees bedient werden? Oder gewinnt auch dort das poetische Werk? Weckt die Ehrlichkeit des Filmes Verständnis für das andere Leben im zerrissenen Land?
„Gundermann“, Regie Andreas Dresen, Drehbuch Laila Stieler. Derzeit in den Kinos.
Der Soundtrack des Films wird bei Buschfunk produziert.
Die Schreibweise der Liederzeilen folgt der Wiedergabe bei Buschfunk, Liedtexte von Gerhard Gundermann.
Schlagwörter: Alexander Scheer, Andreas Dresen, Anna Unterberger, Gundermann, Laila Stieler, Margit van Ham