von Detlef D. Pries
„Wenn ich genug gearbeitet habe, nicht mehr schreiben, nicht einmal mehr lesen mag, dann gehe ich hinaus und durchstreife ein Stück Berlin.“ Erhard Weinholz, 1949 in Brandenburg an der Havel geboren, lebt mit kurzer Unterbrechung seit 1976 im Prenzlauer Berg. (Oder muss es „am Prenzlauer Berg“ heißen?) Als ihm eines Tages im Frühjahr 1979 bewusst geworden sei, dass er – damals in der Schwedter Straße wohnend – nicht einmal die nächste Parallelstraße kannte, habe er sich die Jacke angezogen und sei losgegangen. Zunächst wohl ohne literarische Ambitionen: „Wenn man nur wandert, um zu schreiben, wird der Text nämlich nichts.“
Eine Zeitenwende später hat er sich wieder auf den Weg gemacht, hat Stätten und Orte aufgesucht, die er zu kennen glaubte, die sich aber – wie soll’s anders sein – deutlich verändert haben: das Bötzowviertel etwa, die Gegend um die Schwedter Straße, den Alexanderplatz (den der echte Berliner natürlich nur Allex nennt), Friedrichsfelde, das inzwischen gründlich gewandelte Ostkreuz oder den Kiez um den Nöldnerplatz. Nur im Einzelfall folgte er der Parole „Go west!“ Sein Motto laut Klappentext: „Habe die Orte, dann folgen die Worte.“ Herausgekommen sind Miniaturen voller bisweilen witziger, bisweilen beschaulicher, den Zeitgenossen häufig nachdenklich stimmender Erinnerungen an Alltag und politische Zustände, an private und gesellschaftliche Geschehnisse.
Weinholz ruft jüngere und ältere Geschichte an, und er bemerkt, dass manches verschwunden ist, was ihm lieb geworden war. Angesichts der Biografie des Autors, der 1982 seinen Arbeitsplatz an der Akademie der Wissenschaften der DDR aus politischen Gründen verlor und sich danach als freiberuflicher Übersetzer durchschlug, dürfte sich von selbst verstehen, dass Verklärung keinesfalls sein Anliegen ist und dass er manches ganz und gar nicht vermisst. Wohl aber – nur ein Beispiel – die Bockwurst aus der Fleischerei am Wismarplatz. Gerade hat er dem Leser Appetit darauf gemacht, da muss er mitteilen, dass auch dieser Laden längst geschlossen ist.
Der Titel des Büchleins, „Lokaltermin. Berliner Ansichten“, fasst allerdings nicht dessen ganzen Inhalt, denn Weinholz überschreitet die Stadtgrenzen und begibt sich auf Landpartien in die Mark Brandenburg – nach Wiesenburg, von Brandenburg nach Rathenow, von Bad Belzig nach Borne. Zu Fuß wohlgemerkt, und „nicht in natur- oder kulturgeschichtlicher Absicht“. Ein Bild ist ihm von diesen Landstreichereien nicht immer in Erinnerung geblieben, aber „ein Gefühl des Behagens“ in der vertrauten und doch verwandelten brandenburgischen Landschaft.
Mehrere seiner literarischen Skizzen und „Ansichtskarten“ sind zuerst im Blättchen erschienen, andere in Ossietzky, in der Berliner Zeitung oder im Freitag. Die meisten hat er für dieses Buch in der ihm eigenen Sorgfalt überarbeitet, einige werden aber zum ersten Mal veröffentlicht. Sowohl Ur- als auch Alt- und Neuberlinern sind sie allesamt zu empfehlen, denn sie weiten den eigenen Blick.
Erhard Weinholz: Lokaltermin. Berliner Ansichten, Trafo Verlagsgruppe, Berlin 2018. 174 Seiten, 9,80 Euro.
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